Wenn die Wirtschaft verrückt spielt, reagiert auch der Wähler nicht ganz normal. Greifen wir aus dem bunten Strauss von desaströsen italienischen Wirtschaftszahlen nur zwei heraus. Tiefe Rezession, das BIP schrumpft um 5 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit steigt auf über ein Drittel, auch hier wächst eine verlorene Generation heran. Italien ist immerhin die drittstärkste Wirtschaftsmacht in der Eurozone und steht für mehr als 10 Prozent aller Hilfsmassnahmen für andere Krisenländer gerade. Der Lahme hilft den Blinden, bis er selbst Hilfe braucht. Gibt es ein passenderes Bild für Europa?
Unberechenbar
Abgesehen davon, dass sich alle Prognostiker bei den italienischen Wahlen genauso getäuscht haben wie es die Analysten im Wirtschaftsleben ständig vorführen, ist nun auch Italien im demokratischen Endspiel angelangt. Wie hier schon lange prognostiziert wurde.
Das Wahlergebnis stellt unter Beweis: Diese Krise ist innerhalb demokratischer Strukturen nicht lösbar. Die Folgen der Politik der Eurokraten haben voll auf die Politik durchgeschlagen. Das ist kein Ausdruck einer besonderen Italianità, kein Ausdruck von Unreife, gar Dummheit oder Verrücktheit des italienischen Wählers. Er ist nicht unberechenbar, sondern verzweifelt.
Die Wirtschaftskrise regiert
Es ist eine Binsenweisheit, dass die Wähler in einer Wirtschaftskrise massenhaft für diejenigen stimmen, die ihnen das Blaue vom Himmel versprechen. Hand aufs Herz, wer wäre nicht versucht, einen Berlusconi zu wählen, wenn der ankündigt, notfalls persönlich Steuerrückzahlungen vorbeizubringen?
Hand aufs Herz, wer würde nicht einen Komiker wie Grillo wählen, wenn der verspricht, dass man einfach Nein sagen sollte? Macht keinen Sinn, aber macht nichts. Denn wer würde schon jemanden wählen, der Blut, Schweiss und Tränen verspricht? Ausser, es ist Weltkrieg und der Mann heisst Churchill. Nun hinterlässt eine tiefe Wirtschaftskrise keine rauchenden Bombenkrater, die für alle sichtbar sind. Aber massenhaft Verzweiflung, persönliche Tragödien, Perspektivlosigkeit, Depression und nackte Angst.
Neue Dimension
Dass die EU selbst die undemokratischste Veranstaltung ist, die es in Europa seit den Zeiten des Absolutismus gegeben hat, muss nicht zum wiederholten Mal bewiesen werden. Eine neue Dimension erreichte die Arroganz der Eurokraten allerdings mit ihren massiven Einflussnahmeversuchen in Italien. Wie kommen Politiker anderer Länder dazu, Italienern Ratschläge zu erteilen, wen sie wählen sollten und wen nicht?
Erinnern wir uns an den damaligen griechischen Ministerpräsidenten, der in korrekter Anwendung der nationalen Souveränität ankündigte, dass er eine Volksabstimmung über die Anwendung der drakonischen Massnahmen abhalten wolle, mit denen die EU ihre Griechenlandhilfen verband. Bis ihm klargemacht wurde, dass er so einen Unsinn besser lassen solle.
Und die EU-Verfassung
Wir erinnern uns an die Wiederholungen von Abstimmungen über die EU-Verfassung, bis endlich das Resultat erzielt wurde, das den Eurokraten passte. Wir erinnern uns daran, dass weder der deutsche noch der italienische Steuerzahler über seine Volksvertreter mitbestimmen kann, was mit dem von ihm erarbeiteten Steuersubstrat im Rahmen der absurden Multimilliardenhilfsfonds angestellt wird. Können wir uns da wirklich wundern, dass sich der italienische Wähler fürs politische Chaos entscheidet?
Er lebt schon längst in einem wirtschaftlichen Chaos, ist von ökonomischem Wahnsinn umzingelt. Weiss im Innersten, dass weder Bersani noch Monti noch Berlusconi noch Grillo etwas an seiner Situation ändern können. Denn die eigentlichen Entscheidungen über sein Schicksal werden in Brüssel, in Dunkelkammern wie dem ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus, welch orwellsche Bezeichnung) gefällt.
Die Logik im Wahnsinn
Nun herrscht nur an der Oberfläche Gebrüll und Durcheinander. Darunter wirkt ein grundlegender Irrtum fort, offenbar bis zum unseligen Ende. Der Euro war und ist eine Fehlkonstruktion Der Versuch, 17 völlig verschiedene Länder mit unterschiedlicher Wirtschaftskraft, autonomer Fiskalpolitik und disparaten ökonomischen Entwicklungspotenzialen in der Korsett einer Einheitswährung zu pressen, ist der eigentliche Wahnsinn. Seine Auswirkungen zu kritisieren, heisst Ursache und Wirkung zu verwechseln.
Trost aus Griechenland
Was kann man dem italienischen Wähler als Trost zukommen lassen? Eigentlich nichts, da der Verweis auf grösseres Elend das Desaster in Italien auch nicht kleiner macht. Aber immerhin, in Griechenland rechnet man mit einem Schrumpfen des BIP im Jahr 2013 von sagenhaften 4,5 Prozent. Damit ist die hellenische Wirtschaftsleistung seit 2008 um ein Fünftel zurückgegangen. Das Leistungsbilanzdefizit (Importe versus Exporte) schrumpfte immerhin um ein Prozent. Allerdings nicht wegen mehr Exporten, sondern wegen weniger Importen. Die Lohnstückkosten, Gradmesser für die Wettbewerbsfähigkeit, schrumpften in Griechenland in den letzten Jahren um 7 Prozent. In der Güterproduktion, im Dienstleistungssektor stiegen sie um 11 Prozent. Es geht also noch schlimmer, mehr Trost für Italien ist da nicht.