An der syrischen Südfront geschieht gegenwärtig das gleiche, was sich bereits im Norden bei Aleppo abgespielt hat. Die russischen Flugzeuge fliegen derart aggressive Bombenangriffe, dass sie die Zivilbevölkerung der Dörfer und Kleinstädte in die Flucht treiben.
Alle Spitäler in Deraa bombariert
In der Stadt Deraa wurden alle Spitäler bombardiert. Wie die türkische Grenze, jedoch schon seit längerer Zeit als diese, ist die jordanische Grenze für die Flüchtlinge gesperrt. Da sie keinen anderen Ausweg haben, fliehen sie dennoch auf diese Grenze hin. Es gibt zwei Flüchtlingsströme, ein grösserer von möglicherweise 30 000 Menschen, wie immer in erster Linie Frauen und Kinder, ist unterwegs nach dem Grenzübergang von Ramtha, dem einzig offenen, jedoch für Flüchtlingsverkehr gesperrten, an der jordanischen Grenze. Einige Tausend sind dort bereits angekommen.
Ein kleinerer Strom, der auf 20 000 geschätzt wird, zielt auf die Golan Waffenstillstandslinie. Auf der anderen Seite liegt Israel. Auf der Linie liegt Quneitra, die weitgehend zerstörte einstige Hauptstadt der gleichbenannten syrischen Provinz, die heute zu grossen Teilen von Israel besetzt ist. In Qunaitra befindet sich das Hauptquartier der internationalen Beobachtungstruppe, die den dortigen Waffenstillstand - zwischen Syrien und Israel- aufrechterhalten soll. Die Flüchtlinge hoffen offenbar dort Schutz vor den russischen Bomben zu finden.
Asads Armee rückt vor
Den Bombenangriffen folgen Offensiven der syrischen Regierungsarmee. Sie stossen noch auf Gegenwehr der vielen zersplitterten Widerstandsgruppen. Doch der syrische Angriff, an dem auch Hizbullah- Milizen beteiligt sind und der von russischen Offizieren geleitet werden soll, hat den strategischen Flecken Scheich Meskin überrannt. Dieser ist nur noch eine menscheneere Ruinenstadt, jedoch von Bedeutung, weil er die Strassenverbindung zwischen Deraa, der Grenzstadt im Süden, und Damaskus sowie die südöstliche Verbindung nach Suwaida beherrscht.
Der syrische Vormarsch auf der Hauptstrasse zur jordanischen Grenze hat offenbar schon den nördlichen Eingang von Deraa erreicht. Dort soll eine grössere Einheit von Hizbullah eingezogen sein. Deraa, eine Stadt von 100 000 Einwohnern, liegt nur sieben Kilometer von Ramtha und 22 von Qunaitra entfernt. Damit rücken Hizbullah-Kräfte in bedenkliche Nähe der israelischen Waffenstillstandslinie, trotz einem Versprechen, das Putin den Israeli gemacht haben soll. Nach diesem, so heisst es, hätten die Russen den Israeli versichert, dass der Hizbullah nicht in ihren Grenzraum vorstossen werde.
Jordanien ist voll von Flüchtlingen
König Abdullah II von Jordan hat in einem Interview mit der BBC klar gemacht, dass er nicht in der Lage sei, weitere Flüchtlinge in seinem Land aufzunehmen. Jordanien beherbergt 630 000 offiziell eingeschriebene syrische Flüchtlinge. Viele von ihnen, rund 80 000, in den riesigen Lagern, tief in der Wüste bei Zerqa. Doch noch grössere Zahlen haben in den Städten und Dörfern Jordaniens Unterschlupf gefunden. In Amman leben über 340 000 von ihnen.
Jordanien hat 9,3 Millionen Einwohner. Das bedeutet, dass gegenwärtig auf ungefähr auf 15 Jordandier ein syrischer Flüchtling kommt. Der König sagte, sein Land drohe "überzukochen" ("at boiling point"). Die Gefahr, dass mit den Flüchtlingen Agenten des IS eindringen, kann nicht ausgeschlossen werden.
Flüchtlinge unter den Ölbäumen
In Zerqa und den dortigen Lagern sind die Flüchtlinge weitgehend isoliert in der Wüste. Doch der Grenzabschnitt zwischen Deraa und Ramtha und nödlich bis hinauf nach Qunaitra besteht aus dicht bebautem und besiedeltem Land. Die dortigen Bauern nehmen Flüchtlinge auf, um sie nicht in der Kälte stehen zu lassen. Doch ihre Aufnahmemöglichkeiten sind begrenzt.
Viele der Flüchtlingsgruppen irren einfach von Dorf zu Dorf, stets in der Hoffnung den russischen Luftangriffen und den Fassbomben des Regimes zu entgehen. Die jordanischen Behörden fürchten Infiltrationen über die Grenze, weil diese besiedelte Region schwerer zu kontrollieren ist als die Wüstengebiete.
Eine verborgene Präsenz des IS?
Unter den zahlreichen Rebellengruppen, die zur Zeit weiterkämpfen, befinden sich eine, die als verdächtig gilt, mit dem IS zusammenzuarbeiten oder gar heimlich zu IS zu gehören. Sie nennt sich die "Bewegung der Verhüllten". Sie beherrscht den syrischen Teil des Distrikts von Qunaitra. Zwischen dieser und anderen Widerstandsgruppen, besonders jenen der FSA (Freien Syrischen Armee) ist es oft zu blutigen Zusammenstössen gekommen. Den "Verhüllten" wird vorgeworfen, Führungsfiguren von Rivalenmilizen entführt und ermordet zu haben, wie es den Gepflogenheiten von IS entspricht.