Judith Miller war einst ein Star. Star-Reporterin der „New York Times“, Pulitzerpreis-Trägerin, Bestseller-Autorin. Sie war aggressiv, ehrgeizig und skrupellos. Sie liebe, sagte sie über sich, Abenteuer, Sex und Martinis. Ihr Stern leuchtete hell vor Ausbruch des Krieges im Irak am 20. März 2003, als ihre Seite-1-Geschichten über angebliche Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins mithalfen, Amerika auf den Waffengang im Nahen Osten einzustimmen.
Zwei Jahre später trennte sich die „Times“ von ihr. Es hatte sich herausgestellt, dass Miller etlichen Warnungen zum Trotz unzuverlässigen Quellen zu viel Glauben geschenkt hatte. Im Mai 2004 hatte sich die „New York Times“ zwar in einer Aufsehen erregenden Redaktionsmitteilung für ihre Irak-Berichterstattung entschuldigt, aber ohne Judith Miller im Besonderen zu erwähnen. Was den Journalisten Greg Mitchel zur Bemerkung veranlasste: „Selbst nach Ansicht der ‚Times‘ war Miller die Hauptschuldige, obwohl sie zögern, oder sich schämen, sie namentlich zu nennen.“
Aus dem Paradies verstossen
Judith Miller, aus dem journalistischen Paradies New York verstossen, verstummte. Doch heute äusserst sie sich, lautstark, erneut in jenen Medien, die ihr noch eine Bühne geben. Die 67-Jährige ist Kommentatorin des konservativen Fernsehkanals „Fox News“ und Mitarbeiterin der ähnlich konservativen Denkfabrik „Manhattan Institute“. Unter Vertrag bei der Agentur Harry Walker, hält sie gut bezahlte Vorträge zu Themen wie der Stand der nationalen Sicherheit, die bedrohte Pressefreiheit in den USA oder die Gefahren des militanten Islamismus.
Den Nahen Osten kennt Judith Miller gut. Von 1983 bis 1987 war sie, als erste Frau auf dem Posten, Korrespondentin der „New York Times“ in Kairo - eine Zeit, über die sie später das Buch „God Has Ninety-Nine Names“ verfasste. Das informative 574-seitige Werk stiess einigen Kritikern sauer auf, weil sich dessen Autorin wiederholt ihrer Nähe zu nahöstlichen Potentaten brüstete. So berichtete sie zum Beispiel, wie König Hussein von Jordanien erfolglos versucht habe, ihr das Wasserskifahren beizubringen. Übergrosse Nähe zu einzelnen Quellen war eine Eigenschaft, die Miller auch im Büro der „New York Times“ in Washington DC an den Tag legte.
Wenig Einsicht
In ihrem jüngsten Buch mit dem nüchternen Titel „The Story. A Reporter’s Journey“ rechnet Judith Miller jetzt mit all jenen ab, von denen sie sich ungerecht behandelt oder unfair kritisiert fühlt. Sie zeigt dabei wenig Einsicht, dass sie vor dem Einmarsch der USA im Irak Falschinformationen aufgesessen ist – und schon gar kein Bedauern, dass ihre Stories der Regierung von George W. Bush wohl geholfen haben, einen in der Folge desaströsen Krieg unter falschem Vorwand anzuzetteln.
„Während Jahren sonnte sich im Einfluss und im Prestige jener Zeitung, die als Amerikas Geschichtsschreiberin gilt. Sie benutzte den Einfluss und das Prestige des Blattes, um Primeurs zu landen, die ihr einen Pulitzerpreis und andere Ehrungen eingetragen haben“, moniert in der „Washington Post“ Medien-Blogger Erik Wemple: „Doch dann missbrauchte sie denselben Einfluss und dasselbe Prestige.“
"Wenn sich die Quelle irrt, irrst du dich auch"
In einem Artikel für das „Wall Street Journal“ hat Judith Miller vor kurzem ironisch geschrieben: „Ich habe Amerika in den Krieg gegen den Irak geführt. Es war alles mein Fehler.“ Spass beiseite: Weder hätten, sagt sie, Vertreter der Regierung Bush seinerzeit gelogen noch sie als Reporterin bewusst in die Irre geführt. Wie sie habe sich auch das Weisse Haus bei der Einschätzung der Bedrohung durch Saddam Hussein auf Geheimdienstinformationen gestützt. Was Miller verschweigt: George W. Bush liess schon früh nach 9/11 vom Pentagon erste Pläne für einen Angriff auf den Irak ausarbeiten. Auch gab es innerhalb der CIA abweichende Meinungen, was die Gefährlichkeit des irakischen Diktators betraf.
Judith Miller selbst erklärt die Irrtümer in ihren Artikeln damit, dass nicht sie sich geirrt habe, was Massenvernichtungswaffen betraf, sondern ihre Informanten falsch gelegen seien: „Wenn deine Quellen sich irren, dann irrst du dich auch.“ Unter anderem vertraute die „Times“-Journalistin dem irakischen Dissidenten Adnan Ihsan Said al- Haideri. Der erzählte ihr, er habe persönlich mindestens 20 Installationen besucht, die seiner Ansicht nach mit Projekten zur Herstellung biologischer oder chemischer Waffen betraut waren.
Von ABC-Waffen keine Spur
Doch als die US-Armee 2003 nach dem Fall Bagdads die fraglichen Installationen inspizierte, fand sie von Saddam Huseins angeblichen ABC-Waffen keine Spur. Sie habe damals, argumentiert Miller heute, ihre Geschichten stets mit der nötigen Vorsicht formuliert. Leser dagegen, meint ein Rezensent ihres Buches, nähmen lediglich die Stossrichtung eines Artikels wahr, nicht aber abschwächende Formulierung wie: „Es gab keine Möglichkeit, Al-Haideris Angaben von unabhängiger Seite prüfen zu lassen“.
Ähnlich daneben wie im Falle Al-Haideris lag Judith Miller mit einer Story, die dokumentieren sollte, wie Saddam Hussein weltweit Bauteile für eine Atombombe zu akquirieren suchte. Wichtigste Quelle für ihre Geschichten über das angebliche irakische Waffenprogramm war der mit allen Wassern gewaschene Ahmad Chalabi, Führer des von der CIA gesponserten Irakischen Nationalkongresses (INC). Chalabi erfreute sich damals im Pentagon und unter Washingtons Neokonservativen höchster Beliebtheit. Seither hat sich die US-Regierung von Chalabi distanziert - nicht zuletzt, weil seine politischen Aktivitäten im Irak nach 2003 den Interessen der USA zu schaden begannen. Heute gibt es Gerüchte, wonach der 71-Jährige als Agent des Iran tätig ist.
Vertuschte Nachlässigkeit
Zu den Kritikern von Judith Millers Rechtfertigungsversuch gehören schliesslich auch frühere amerikanische Geheimdienstmitarbeiter, unter ihnen die Gruppe „Veteran Intelligence Professionals for Sanity“ (VIPS). „Wie ihre frühen Berichte aus dem Irak, hält Ms. Millers Umschreibung der Geschichte, um ihre Vergehen und Nachlässigkeiten als Reporterin zu vertuschen, einer näheren Betrachtung nicht Stand“, schreibt Scott Ritter, während sechs Jahren Waffeninspektor der Uno im Irak und Mitglied von VIPS: „Sie allein hat ihren Mangel an Integrität zu verantworten, und dieser Umstand wird ihrem Ruf als Journalistin für immer schaden, egal wie angestrengt sie versucht, die Fakten zurechtzubiegen und eine Geschichte neu zu schreiben, die für sie höchst peinlich ist. Und was natürlich am schlimmsten ist, ihre Mängel hatten Folgen – fast 4500 tote US-Soldaten und eine Million toter Iraker.“
Quellen: „The New York Times“; „The Washington Post“; „The Los Angeles Times“; „New York”; consortium.com; Wikipedia.