Mario Cuomo starb am 1. Januar an Herzversagen im Alter von 82 Jahren in Manhattan – wenige Stunden nachdem sein Sohn Andrew zum zweiten Mal als Gouverneur des Staates New York vereidigt worden war. Cuomo Senior war während drei Amtszeiten selbst Gouverneur des „Empire State“ gewesen, zwischen 1982 und 1994, und er wäre noch für höhere Ämter berufen gewesen, hätte er jeweils nicht zu lange gezögert oder sich verweigert.
Zum Beispiel 1988 und 1992, als ihn die demokratische Partei gern als ihren Präsidentschaftskandidaten gesehen hätte, oder 1993, als Bill Clinton ihn zum Obersten Richter in Washington DC ernennen wollte. Doch Cuomo zog es vor, im Gouverneurssitz in Albany zu bleiben, eine Bühne, die für seine politischen Talente eigentlich zu klein war. Folglich nannten die amerikanischen Medien den Gouverneur „Hamlet am Hudson“ – den grossen Zauderer und Zweifler.
"Unermüdliche Stimme für Toleranz"
Präsident Barack Obama lobte Mario Cuomo in einer Medienmitteilung aus dem Weissen Haus als „einen entschlossenen Verfechter progressiver Werte und eine unermüdliche Stimme für Toleranz, Fairness, Würde und Chancengleichheit.“ Untere anderem war Cuomo ein entschiedener Gegner der Todesstrafe und, obwohl gläubiger Katholik, ein Befürworter des Rechts auf Abtreibung.
Was viele als Mario Cuomos Schwächen sahen, waren gleichzeitig auch seine Stärken: sein Intellekt, seine Ehrlichkeit, seinen Humor, seine Fähigkeit zur Selbstkritik – alles Eigenschaften, die einem Politik das Leben nicht unbedingt erleichtern. Der Gouverneur habe, schreibt „New Yorker“-Autor Ken Auletta, im Gegensatz zu vielen Politikern stets ein aktives Innenleben gehabt. Cuomo habe während Stunden nachgedacht und in sein Tagebuch geschrieben - nicht um seine Grösse zu propagieren, sondern um sich über Dinge klar zu werden.
Er hasste das Händeschütteln
„Wir sollten so wenig Staat wie möglich haben“, sagte Cuomo anlässlich seiner Amtseinsetzung 1982: „Wir werden aber auf so viel Staat wie nötig bestehen und auch so viel Staat haben.“ Eine Regierung, sagte er, sei verpflichtet, „jenen zu helfen, die das Schicksal aus was für unerfindlichen Gründen auch immer vom Schicksal im Stich gelassen hat.“ New Yorks Gouverneur vertrat sein liberales Credo, seinen „progressiven Pragmatismus“, zu einer Zeit, als in Amerika das konservative Gedankengut unter Ronald Reagan stark im Aufstieg begriffen war.
Mario Cuomo hasste Wahlkämpfe: das Herumreisen, das Händeschütteln, das Sich-Anbiedern und –Zur-Schau-Stellen. Er mochte seinen Wählerinnen und Wählern nichts vormachen und wurde prompt dafür bestraft: 1977, als er gegen Grossmaul Ed Koch das Rennen um das Bürgermeisteramt in New York City verlor und 1994, als ihn der blasse, fast unbekannte republikanische Konkurrent George Pataki bei der Gouverneurswahl schlug. Es wäre Cuomos vierte Amtszeit in Albany geworden. Auch so aber diente er als Gouverneur in New York länger als seine 51 Vorgänger mit Ausnahme Nelson Rockefellers (1908-1979).
Baseball-Talent
Mario Cuomo war der Sohn mittelloser italienischer Einwanderer aus Salerno und wuchs im New Yorker Stadtteil Queens auf, wo seine Eltern einen kleinen Lebensmittelladen betrieben. Er studierte Jura, fand aber, obwohl Klassenbester, keine Stelle in einer der renommierten Anwaltsfirmen der City, was er seiner italo-amerikanischen Herkunft zuschrieb und ein lebenslanges Misstrauen gegenüber so genannten Eliten nährte. Während des Studiums traf er auch seine Frau Matilda Raffa, eine Lehrerin, mit der er fünf Kinder hatte, drei Töchter und zwei Söhne.
Doch Mario Cuomos erste Liebe hatte dem Baseball gegolten, und der 20-Jährige war auf dem besten Weg zu einer Erfolg versprechenden Profi-Karriere, als ihn im Sommer 1952 ein scharf geworfener Ball am Kopf traf und ihn für eine Woche erblinden liess. Ein Späher der „Pittsburgh Pirates“ stufte den jungen Cuomo seinerzeit als „möglicherweise grösstes Talent des Clubs“ ein. Er brauche zwar entsprechende Unterweisung, könne es aber „bis ganz Oben schaffen“. Doch nach der Verletzung war an Baseball nicht mehr zu denken.
Kritik an Reagan
Statt bei den „Pirates“ heuerte Cuomo bei einer Anwaltsfirma in Brooklyn an, für die wiederholt als gewiefter Schlichter bei vertrackten Streitigkeiten um lokale Grundstücke auftrat. Das wiederum liess New Yorks Demokraten auf ihn aufmerksam werden. Mit 42 Jahren stieg Cuomo aktiv in die Politik ein und kandidierte 1978 nach ersten politischen Niederlagen als stellvertretender Gouverneur und gewann. Sein Fazit aus den verlorenen Wahlkämpfen wie etwa jenem gegen Ed Koch in New York City: „Ich werde nie mehr ein Rennen mitmachen, in dem ich nicht mit ganzem Herzen dabei bin.“
Mario Cuomos grosse Stunde schlug 1984 als Hauptredner am Parteitag der Demokraten in San Francisco. Der Gouverneur kritisierte Präsident Ronald Reagan für dessen Charakterisierung Amerikas als eine „shining city on a hill“ (eine strahlenden Stadt auf einem Hügel). Die Nation, erklärte Cuomo, gleiche eher der „Tale of Two Cities“ (Charles Dickens’ Buch über das Los französischer Bauern vis-à-vis französischer Aristokraten vor der Revolution von 1789) als einer „shining city on a hill“: „Die Gesichter jener, die Sie nicht sehen, Mr. President, prägt Hoffnungslosigkeit, ebenso jene Orte, die Sie nicht besuchen, in Ihrer strahlenden Stadt.“
„Du kandidierst in Poesie, aber du regierst in Prosa“
Die inspirierende Rede am Parteitag in San Francisco machte Cuomo landesweit bekannt. Doch 1988 widerstand er allen Versuchungen seitens seiner Partei, selbst als Präsident zu kandidieren. Wie auch im Dezember 1991, als am Flughafen in Albany schon zwei Jets bereit standen, um ihn nach New Hampshire zu fliegen, wo er sich gerade noch rechtzeitig in die Wahllisten hätte eintragen lassen können.
Mario Cuomo blieb, zum Ärger und zum Unverständnis vieler, in New York - als ein Politiker, der am Ende das politische Tagesgeschäft nicht liebte. „Du kandidierst in Poesie, aber du regierst in Prosa“, pflegte er zu sagen. „Bei all seiner Eloquenz und Intensität blieb er als Gouverneur seltsam ziellos“, schreibt Elizabeth Kolbert, die für die „New York Times“ über ihn berichtete: „Es fiel ihm schwer, Prioritäten zu setzen und die Legislative zu lenken. Die Budgets des Staates kamen immer später unter Dach und Fach.“
Unter Umständen wäre Mario Cuomo, seinen grossen Talenten zum Trotz, in der Tat kein guter Präsident der Vereinigten Staaten geworden. Doch kandidiert eines Tages vielleicht sein 57-jähriger Sohn. Immerhin war der Vater noch am Abend vor seinem Tod mit Andrew die Rede für dessen Amtseinsetzung durchgegangen und hatte sie für gut befunden: „Er fand sie nicht schlecht, besonders für einen Gouverneur vor seiner zweiten Amtszeit.“
Quellen: „The New York Times“; “The Los Angeles Times”; “The Washington Post“; „The New Yorker“; „Wikipedia“