Am 1. und 5. Mai mobilisierte die Opposition gegen Emmanuel Macron, den sie als „selbstherrlichen Präsidenten der Reichen“ verunglimpft. Der traditionelle Umzug am Tag der Arbeit glich indes mehr einer Parade des bunten Regenbogens kleinerer Minderheiten in Frankreich. Ein Augenschein ergab, dass sich höchstens 10'000 Teilnehmer auf der Place de la Bastille, der traditionell linken Hochburg, versammelt hatten. Etwa 20 verschiedene Flugblätter mit verschiedenen Forderungen „an den Staat“ wurden verteilt. Im zentralistischen Frankreich gilt der Staatspräsident als „der Staat“.
Der Regenbogen
Alles war vertreten: Von linksanarchistischen Splittergruppen bis zu nationalkonservativen „Frexit“-Befürwortern, von „Sans-Papiers“ und temporären Migranten bis zu den klassischen Trotzkisten und Kommunisten. Auch Vertreter der bis vor kurzem mächtigen und seit der Präsidentenwahl dahinsiechenden Sozialisten waren präsent – ebenso die klassischen Trotzkisten und Kommunisten sowie Anhänger der syrischen, palästinensischen, türkischen und iranischen Auslandopposition. Dank unablässiger Wiederholungen über Lautsprecher weiss der Berichterstatter nun wie „la lutte finale“ auf Arabisch, Kurdisch oder in persischer Sprache tönt.
Auch Frankreichs drei grosse Gewerkschaften waren dabei, allerdings mit sehr kleinem Aufgebot. Sie hatten sich, nach eigenen Angaben, nicht auf einen gemeinsamen Auftritt einigen können. So fanden denn die offiziellen Maifeiern zweier Gewerkschaften anderswo statt. Immerhin waren die Eisenbahner, von denen viele immer noch streiken, lautstark zu hören. Zwar haben jetzt einige von ihnen die Arbeit wieder aufgenommen. Doch noch immer fehlt es an Lokomotivführern, weshalb der Bahnbetrieb weiterhin stark eingeschränkt ist.
Der schwarze Block
Plötzlich waren einige schwarz gekleidete Anarchisten aufgetaucht. Sie setzten sich nach halber Wegstrecke an die Spitze des Umzugs und setzten zwei Geschäfte und einige Autos in Brand. Im Weiteren zertrümmerten sie einige Unterstände an Bushaltestellen. Nach offiziellen Angaben verhaftete die Polizei rund 200 Mitglieder des „Schwarzen Blocks“. Unter ihnen befanden sich Italiener und Deutsche. Sie gehören wohl zur „Internationale der Casseurs“.
Fernsehbilder zeigten, wie Flammen aus einer Filiale eines McDonald’s-Geschäftes züngelten. Über einem Boulevard lag dicker, schwarzer Rauch. Man sah, wie Sicherheitskräfte der staatlichen Gendarmerie im Laufschritt die Aktivisten des Schwarzen Blocks verfolgten.
Das alles hatte allerdings nichts zu tun mit einer „vorrevolutionären Stimmung“, die die Demonstranten 50 Jahre nach den Pariser Mai-Unruhen herbeisehnten.
„La fête à Macron“
Am darauffolgenden Samstag demonstrierten dann die gegenwärtig linke Galionsfigur Jean-Luc Mélenchon und seine Bewegung „La France Insoumise“ (Unbeugsames Frankreich). Unter dem Banner „La fête à Macron“ versammelten sich auf dem Platz vor der „Opéra Garnier“ nach Angaben der Veranstalter 160'000 Menschen. Nach offiziellen Angaben waren es knapp 40'000. Sie kamen aus allen Teilen Frankreich, um ihre Empörung über die „Politik für die Reichen“ zum Ausdruck zu bringen.
Protestlawine?
Mélenchon ist ein begnadeter Populist. Er ist gegen fast alles, und er ist kaum für etwas. Immer wieder gelingt es ihm, Frustrationen zu schüren. In seiner Schlussrede wandte er sich einmal mehr „gegen die Machtgier des Geldes“. Die Worthülsen des 70-Jährigen fallen bei seinem erstaunlich jungen Publikum auf fruchtbaren Boden. Viele seiner Anhänger sind Schul- und Studienabgänger, die nur beschränkte berufliche Perspektiven haben. Viele sind unterbezahlt und nur auf Zeit angestellt. Mélenchon ist sicher im Moment der einzige Politiker, der dem Staatspräsidenten rhetorisch gewachsen ist. Ende Mai will er „eine Protestlawine“ gegen Macron in über hundert französischen Städten lostreten. Ob und wie er das Protestpotential findet, ist unklar.
Macron im Pazifik
Während in Frankreich demonstriert und gestreikt wird, weilt der Präsident am andern Ende der Welt. Dort will er, wie er in einem Interview in Australien sagte, „die Geschäfte Frankreichs führen“. In Canberra diskutierte er mit dem konservativen Premierminister Malcolm Turnbull über die traditionelle Führungsrolle Australiens im westlichen Pazifik.
In sechs Monaten stimmen die Stimmberechtigen in Neu-Kaledonien, einer französischen Inselgruppe im Südpazifik, über ihre Unabhängigkeit ab. Die Beziehungen zwischen dem Mutterland und Neu-Kaledonien sind seit der Kolonialzeit belastet. In Nouméa, der Hauptstadt der Inselgruppe, zog sich Macron zumindest rhetorisch glänzend aus der Affäre.
Bedenken gegenüber China
In einer Rede, die an Obama erinnerte, bezeichnete er sich als der erste französische Staatspräsident, der in Frankreichs nachkolonialer Geschichte geboren wurde. Deshalb bat alle Seiten um Grossmut. Bei der bevorstehenden Volksabstimmung solle nicht die Vergangenheit und der einstige Kolonialismus eine Rolle spielen, sondern die Zukunft. Unter den Zuhörern befand sich die Elite der Inseln sowie auch Vertreter der melanesischen Ureinwohner.
Die Zukunft, so Macron, werde in der Region von den dortigen Grossmächten, vor allem von China bestimmt. Peking verhandelt im Moment mit der unabhängigen Nachbarinsel Vanuatu über einen Flottenstützpunkt. Macron forderte sein Publikum nicht ausdrücklich auf, gegen die Unabhängigkeit zu stimmen. Doch er liess durchblicken, dass ein unabhängiges Neu-Kaledonien eine ungewisse finanzielle und politische Zukunft hätte, die von China mitgeprägt würde.
Asien-Pazifik und Indo-Pazifik
Bewusst bezeichnete Macron sowohl in Australien als auch in Neu-Kaledonien die Region immer wieder als „indo-pazifisch“. Für Japan, Australien und Indien bedeutet „indo-pazifisch“: der Grossraum Asien-Pazifik ohne chinesische Dominanz. Auch unter Trump wird „the Indo-Pacific“ als Kampfbegriff gegen Peking verwendet.
Mit diesem Begriff hat sich Macrons Frankreich klar politisch positioniert und eine Botschaft an die pazifischen Anrainerstaaten gerichtet: Frankreich sei das einzige EU-Land mit direkten Interessen in der Region. Es verfüge über die weltweit zweitgrösste Marine und vertrete eine demokratische, sozialliberale Gesellschaftsordnung – dies im Gegensatz zum autoritären Kapitalismus der Chinesen.
Innen- und aussenpolitisch spielt Macron mit hohem Einsatz, ohne Scheu vor Neuem. Für das wurde er in Frankreich mit klarer Mehrheit gewählt. Und für das wird er von einer klaren Mehrheit von Europäern geschätzt. Momentan gelingt ihm diese Dominanz erstaunlich gut.