Zwischen Syrien und Iran gab es seit Beginn der Khomeiny- Revolution eine Allianz. Sie ging ursprünglich auf die gemeinsame Feindschaft gegenüber Saddam Hussein zurück. Als der Krieg zwischen Iran und dem Irak begann, war Syrien das einzige Land der arabischen Welt, das zu Iran hielt.
Die iranisch-syrische Allianz
Um Syrien dafür zu bestrafen, unterbrach Saddam Hussein den Erdölfluss durch die irakisch-syrische Rohrleitung, die von Kirkuk ans Mittelmeer führte. Der Irak exportierte sein Erdöl nur noch über den südlichen Erdölhafen von Fao bei Basra am Ende des Persischen Golfs. Syrien verlor dadurch seine Transitgebühren durch die Rohrleitung und konnte auch nicht mehr, wie bisher Erdöl aus der Leitung für seine Raffinerie in Homs verwenden.
Iran kompensierte Syrien für diese Verluste, indem iranisches Erdöl an Syrien geliefert wurde. Es gelangte in die syrischen Erdölhäfen am Mittelmeer nach Durchfahrt durch den Suezkanal. Von den Erdölterminalen Banyas und Tartus wurde das iranische Rohöl auf dem umgekehrten Weg als bisher ins Innere Syriens gepumpt, um in Homs raffiniert zu werden. Gelder, um diese Operationen während der ganzen acht Kriegsjahre zu finanzieren, schoss Iran seinem Verbündeten vor. Sie wurden später zum Teil dadurch amortisiert, dass iranische Pilger in grosser Zahlen nach Syrien reisten, um dort die Heiligtümer der Schiiten zu besuchen.
Diese Heiligtümer selbst, in erster Linie das Grab vom Saiyda Zainab, einer Schwester al-Hussains, südlich von Damaskus, wurde von den Iranern im Stil der persischen Moscheen ausgebaut und geschmückt. Darum herum entwickelte sich ein Markt und eine ganze Stadt mit persischen und syrischen Händlern und Geistlichen.
Das Rolle der Alawitischen Religion
Die langandauernde enge politische Verbindung zwischen Syrien und Iran trug dazu bei, dass die dem Schiismus verwandte aber keineswegs mit ihm identische Religion der Alawiten, der Asad selbst und viele der entscheidenden Machthaber unter ihm in Armee und Sicherheitskräften angehörten, enger an den 12er-Schiismus heranrückten. Der 12er-Schiismus war der gemeinsame Nenner zwischen Iran und Südlibanon, in dessen Namen Hizbullah entstand und wuchs.
Der Umstand, dass der syrische Machthaber dem Alawitentum angehörte, zählte anfänglich nur insofern mit, als die Alawiten keine Sunniten waren und daher leichter mit den Iranern zusammenarbeiten konnten als diese. Im religiösen Bereich erhielten die iranischen Schiiten Erlaubnis, ihre Heiligtümer in Syrien auszubauen, zu schmücken und zum Ziel ihrer Wallfahrten zu machen. Doch die beiden Religionen, jene der Alawiten und die der 12er-Schiiten blieben getrennt. Es handelte sich von Beginn an um eine politische Allianz, nicht um eine religiöse, und das blieb so.
In den Augen der Saudis jedoch erschien Syrien als ein Bindeglied, das – infolge der religiösen Sonderposition seiner Führerschaft – den Iranern erlaubte, ihre Macht bis nach Libanon auszudehnen. Sie argwöhnten, dass Teheran das gleiche mit anderen schiitischen Minderheitsgruppen versuchen werde, ja bereits im Begriff sei zu versuchen. Sie sahen iranische Agitation unter der eigenen schiitischen Minderheit, welche die Erdölgebiete von Dharan bevölkert und in den Protest- und Aufstandsversuchen auf den benachbarten Inseln von Bahrain, später auch im Jemen, wo sich an der saudischen Grenze die Huthi-Bewegung entwickelte.
Die Zaiditischen Huthis in Jemen
Die jemenitische Huthi-Bewegung war eine Wiederbelebung des 5er- Schiismus der Zaiditen, hervorgerufen mindestens teilweise durch den Versuch der Saudis, über die Grenze hinweg ihrem Religionszweig, dem wahhabitischen Sunnismus, Geltung in Nordjemen zu verschaffen, indem das Königreich jenseits der Grenze die grosse Lehrschule von Dammaj wahhabitischer Ausrichtung finanzierte und auch unter den Stämmen für die eigene Religionsrichtung warb. Die Huthi-Bewegung begann 1992 als eine Jugendbewegung zur Wiederbelebung des zaiditischen Zweigs des Schiismus.
Diese Bewegung war ohne Zutun Irans zustande gekommen. Als sie sich ausbreitete, geriet die Bewegung in Streit mit der Regierung von Sanaa, obwohl der dortige Machthaber, Präsident Ali Saleh Abdullah, selbst der zaiditischen Islamvariante angehörte. Es ging dabei mehr um politische Fragen, etwa Autonomie für die zaiditischen Landesteile, als um Belange der Konfession.
Der Streit wurde dadurch erbittert, dass die jemenitische Armee den charismatischen Gründer der Huthi-Bewegung, Hussein Badr ad-Din al-Huthi, zu Beginn der Auseinandersetzung im Jahr 2004 erschoss. Sein Vater und seine Brüder übernahmen die Führung der Huthi- Gemeinschaft, die sich selbst „Ansar Allah“ (Helfer Gottes) nennt. Sie führten Kriege mit der Armee des jemenitischen Staates, die durch Waffenstillstände unterbrochen wurden. Man zählt vier oder gar sechs dieser Kriege. Heute sollen etwa 70 Prozent der jemenitischen Zaiditen der Huthi-Bewegung angehören.
Nasser und der Bürgerkrieg in Jemen
Die Zaiditen bilden gute 50 Prozent der gesamten jemenitischen Bevölkerung. Ihr Religionszweig ist in den nördlichen Landesteilen konzentriert. Die Bewohner des Südens sind „Schafiiten“, das heisst Angehörige der schafiitischen Rechtsschule, die auch in Ägypten überwiegt und damit Sunniten.
Zaiditische Imame hatten fast tausend Jahre lang in Nordjemen regiert. Oftmals hatten sie ihre Macht tief in den Süden hinab ausgedehnt. Der letzte Imam, al-Badr, war 1962 unmittelbar nach seiner Einsetzung nach dem Tod seines Vaters durch eine Offiziersrevolution vertrieben worden. Dies hatte zu einem Bürgerkrieg in Jemen geführt, in den die Ägypter auf Seiten der „Revolution“, die Saudis und Grossbritannien auf Seiten des Imams eingriffen. Dieser Krieg wurde erst 1967, nach der Niederlage Ägyptens im Sechstage-Krieg, durch einen Kompromiss beendet, der den endgütigen Thronverzicht des Imams beinhaltete.
Vor der ägyptischen Niederlage von 1967 gegenüber Israel sahen die Saudis in Abdel Nasser ihren Hauptfeind, und sie unterstützten daher den Imam der Zaiditen. Im November 1967, verliessen die Engländer ihre Kolonie in Aden im Zuge einer Liquidation der britischen Interessen „östlich von Suez“. Ein Unabhängigkeitsringen um Aden hatte schon 1963 begonnen.
Die Rolle Irans und der Saudis in Jemen
Wie weit der Huthi Aufstand gegen Sanaa Hilfe aus Iran erhielt ist umstritten. Nach dem Sturz des langjährigen Präsidenten Ali Saleh Abdullah vom Jahr 2012, ging dieser - er war in Sanaa verblieben - ein Bündnis mit seinen bisherigen Feinden, den Huthis ein. Damit wollte er seinen Nachfolger und einstigen Vizepräsidenten, Abdrabbo Mansour al-Hadi, den er als einen Verräter einstufte, seinerseits zu Fall zu bringen. Er soll seine neuen Verbündeten, die Huthis, ermuntert haben, Hilfe in Teheran anzufordern.
Wie weit genau diese Hilfe ging, ist ungewiss. Offenbar wurden Versuche gemacht, den Huthis Waffen aus Iran zukommen zu lassen. Finanzielle Hilfe ist wohl ebenfalls geflossen. Diplomatische und propagandistische Unterstützung wurde den Huthis offen gewährt.
In saudischen Augen bestand die Gefahr, dass die Huthis in Jemen und an ihrer Südgrenze eine ähnliche Stellung einnehmen könnten, wie Hizbullah in Libanon gegenüber Israel. Als es den Huthis gelang, mit Hilfe jener Teile der jemenitischen Armee, die Ex-Präsident Ali Saleh Abdullah treu geblieben waren, aus Nordjemen nach Süden vorzurücken, sich der Hauptstadt, Sanaa, zu bemächtigen (August 2014) und weiter nach Süden zu ziehen, bis sie Aden erreichten und Präsident al-Hadi aus dem Lande vertreiben konnten, verdichteten sich die Befürchtungen der Saudis. Sie erblickten nun in den Huthis ein Instrument der iranischen Expansion, das dazu bestimmt sei, ihre Südgrenze zu gefährden.
Der Umstand dass es drei saudische Provinzen gibt, Jizan, Najran und Abha, deren Bevölkerung südarabischen Ursprungs ist und die erst 1934 nach einem Krieg mit Jemen dem saudischen Königreich einverleibt worden waren, bestärkte die Befürchtungen Riads.
Der saudische Luftkrieg in Jemen
Diese Befürchtungen führten dazu, dass das Königreich am 26. März 2015 durch eine Luftaktion in Jemen eingriff und erklärte, sein Eingriff habe zum Ziel, die Huthis zu entwaffnen und Präsident al-Hadi als den legalen Machthaber nach Jemen zurückzuführen. Riad forderte die anderen arabischen und muslimischen Staaten auf, ihm zu Hilfe zu kommen. Eine grössere Zahl von ihnen entsandte Kriegsflugzeuge, um sich an den Luftangriffen zu beteiligen. Ägypten steuerte Kriegsschiffe bei, die mithalfen, Jemen vom Meer her zu blockieren.
Doch nur wenige Staaten entsandten Bodentruppen. Einzig die Vereinigten Arabischen Emirate stellten grössere Teile ihrer Landarmee zur Verfügung. Die Luftangriffe dauerten bis zur Gegenwart ununterbrochen an. Mit ihrer Hilfe konnten die Huthis aus Aden und aus den südjemenitischen Provinzen vertrieben werden. Die Soldaten, die zu diesem Zweck eingesetzt wurden, bestanden aus Truppen des kleineren Teils der jemenitischen Armee, die weiterhin zu al-Hadi hielten, aus neu ausgehobenen jemenitischen Soldaten, die in Saudi-Arabien ausgebildet wurden, aus Truppen aus den Emiraten und aus Hilfskräften von lokalen Milizen, die sich gegen die Huthis erhoben hatten.
Verheerende Folgen des andauernden Krieges in Jemen
Die Huthis als Nordjemeniten und Angehörige des Zaidismus waren den Südjemeniten unwillkommen. Sie sahen in ihnen Eroberer aus dem Norden. Doch diese Milizen waren auch vom Geist der südjemenitischen Bewegung inspiriert, die Unabhängigkeit oder Autonomie des jemenitischen Südens von Sanaa anstrebt.
In den zentralen und nördlichen Provinzen Jemens, vermochten die Huthis sich trotz der verheerenden Bombenangriffe der saudischen Koalition zu halten.
Die Luftangriffe der Saudis und ihrer Verbündeten in Jemen zielten zwar in erster Linie auf militärische Einrichtungen der Huthis und ihrer Verbündeten aus der jemenitischen Armee. Munitionslager, Armeekasernen, Waffendepots, Ausbildungslager, Armeetransporte waren ihre bevorzugten Ziele. Doch oftmals wurden Zivile getroffen. Schulen, Spitäler, Wohnhäuser, Regierungsgebäude wurden zerstört und die Zahl der zivilen Todesopfer und Verwundeten wuchs beständig.
Der Boykott der jemenitischen Häfen wurde offiziell damit begründet, dass Saudi-Arabien und seine Verbündeten verhindern wollten, dass den Huthis Waffen aus Iran geliefert würden. Doch in der Praxis wurden alle Schiffe, die in Jemen landen wollten, einem derartig langen Warteprozess unterzogen, bevor sie inspiziert werden konnten, dass viele von ihnen abdrehten. Jemen ist für die Versorgung seiner Bevölkerung mit Brot auf Weizenimporte angewiesen. Dies führte zu Knappheiten, zu Schwarzmarktpreisen und Unterernährung für die ärmeren Familien, besonders deren Frauen und Kinder.
Verhandlungen ohne Durchbruch
Je länger der Bombenkrieg andauert, desto mehr ist eine katastrophale Hungersnot für Jemen zu befürchten, die zum Hungertod von Millionen zu führen droht. Es steht auch zu befürchten, dass eine Generation von jungen Jemeniten heranwachsen wird, die keine Schulen besucht haben. Dass es den Saudis gelingen könnte, durch den Einsatz ihrer Luftwaffe und nur einer geringen Zahl von Truppen die Huthis zu schlagen und zu einer Kapitulation zu zwingen, wird immer unwahrscheinlicher je länger die Bombardierungen andauern.
Versuche, mit Hilfe der Uno einen Waffenstillstand zu erreichen und Friedensverhandlungen zu beginnen, zuerst in Genf, dann in Kuwait, schlugen bisher fehl. Es gibt eine Uno-Resolution, nach welcher die Huthis sich aus den von ihnen eroberten Gebieten, einschliesslich Sanaas, zurückziehen und ihre schweren Waffen an die jemenitische Armee abliefern sollen. Präsident al-Hadi und seine von ihm ernannte Regierung halten sich an diese Resolution und fordern, dass die Huthis ihr bedingungslos nachkommen.
Doch diese verweisen auf eine weitere Forderung der Resolution, die besagt, es solle eine alle politischen Richtungen umfassende Regierung gebildet werden. Sie wollen als erstes über diese Bestimmung der Resolution diskutieren. So dauern die Kämpfe und die Bombardierungen an und der ohnehin schwache Staat Jemen droht durch sie zermalmt zu werden.
Die Saudis müssten eigentlich erkennen, dass es nicht in ihrem Interesse liegt, künftig mit einem zerbrochenen Staat an ihrer Südgrenze leben zu müssen. Doch das Prestige des neu eingesetzten Königs, Salman, und das seines Lieblingssohns, Mohammed, der als zweiter Thronfolger, Verteidigungsminister und Finanzchef des Königreiches amtiert, ist an den Bombenkrieg und seinen Ausgang gebunden und verlangt einen „Sieg“. Gleichzeitig wirkt die Obsession mit der iranischen Gefahr wie eine Scheuklappe auf das königliche Regime. Daher sind die Aussichten auf eine Kompromisslösung schlecht.
Der Stellvertreterkrieg in Syrien
Auch in Syrien hat sich das saudische Regime auf eine Aktion eingelassen, die anfänglich vielversprechend erschien, sich aber auf die Dauer als schwieriger den erwartet erweisen sollte. Nicht nur Saudi-Arabien, auch grosse Teile der westlichen und der arabischen Umwelt, sowie besonders auch die Türkei hatten zu Beginn der Demonstrationen gegen Baschar al-Asad im März 2011 erwartet, dass der syrische Machthaber rasch zu Fall kommen werde. Schliesslich waren Präsident Ben-Ali in Tunesien, Präsident Mubarak in Ägypten und Mu’ammar al-Ghaddafi in Libyen durch vergleichbare Volkserhebungen gestürzt worden. Ghaddafi allerdings mit energischer Nachhilfe der Nato-Mächte.
Was damals von vielen Beobachtern übersehen wurde, war der Umstand, dass Asad über eine Minderheit von ihm absolut getreuen Syrern verfügte. Dies waren die Alawiten, denen bewusst war, wenn ihr Patron Asad falle, würde es auch ihnen an den Kragen gehen. Sie sahen sich deshalb gezwungen, durch dick und dünn zu ihm zu halten.
Die Geheimdienste, die für die syrische Politik sehr weitgehend verantwortlich sind, machten Asad darüber hinaus klar, dass es zu seinem Vorteil sein werde, auch andere Minderheiten, in erster Linie die syrischen Christen verschiedener Konfessionen, zu einer vergleichbaren Haltung zu veranlassen, wie sie die Alawiten einnahmen, - genauer: auf Grund der Privilegien, die sie während der 40 Jahre der Herrschaft der Asad Familie, Vater und Sohn, erlangt hatten, einzunehmen gezwungen waren. So wurde den Christen deutlich gemacht, dass auch für sie das „Minderheitenregime“ Asads gedeihlicher sei als eine Herrschaft der sunnitischen Mehrheit.
Das Kalkül Asads und seiner Geheimdienste
Diese Botschaft wurde verstärkt durch eine Amnestie, die Asad – zweifellos auf Anraten seiner Geheimdienstoffiziere – im August und September 2011 den radikalen sunnitischen Aktivisten und Politikern gewährte, die sich seit Jahren wegen Widerstand gegen das Asad Regime in den syrischen Gefängnissen befanden. Das Kalkül war, dass die zu erwartenden Aktivitäten dieser aus den Gefängnissen entlassenen radikalen Sunniten mithelfen würden, die Erhebung gegen das Regime zu radikalisieren.
Ursprünglich war die Erhebung auf Gewaltlosigkeit ausgegangen. Radikale Gegner, so die Rechnung der Geheimdienste, würden dazu dienen, die gemässigten Syrer und in erster Linie jene der christlichen Minderheiten auf Seiten des Regimes zu halten, weil ihnen dieses als das kleinere Übel erscheinen werde. Diese Rechnung ging auf. Das Land wurde aufgespalten in Anhänger des Regimes und radikale Gegner, zwei Antagonisten, von denen keiner mehr seine Position aufgeben konnte aus Angst, dass der Gegner ihn vernichte, wenn dieser den Sieg erringe.
Die gemässigteren, auf gewaltlosen Widerstand ausgehenden Regimegegner, welche die Demonstrationen begonnen hatten, wurden zwischen den beiden Extremgruppen weitgehend aufgerieben.
Der Einsatz der Saudis und Irans in Syrien
Diese Entwicklung hatten zu Beginn der Unruhen weder die Saudis, noch die Türken, noch die Amerikaner und die anderen Staaten der Nato vorausgesehen. Riad nahm an, dass das Regime bald stürzen werde, und die Verantwortlichen – wobei auch die saudischen Geheimdienste eine wichtige Rolle spielten – schlugen vor, die Gunst der Stunde zu nutzen, um die Herrschaft der Alawiten zu beenden und damit auch dem Bündnis mit Iran ein Ende zu bereiten. Mit diesem Bündnis, so rechneten sie, würden dann auch die Hizbullah-Politiker in Libanon entweder zu Fall kommen oder sich gezwungen sehen, eine pro-saudische statt einer pro-iranischen Politik zu führen.
Doch als sich der Widerstand des syrischen Regimes als stärker erwies denn erwartet, dank der Solidarität der Alawiten mit dem Regime, sahen die Saudis sich veranlasst ihrerseits den Einsatz zu steigern und sunnitischen Gruppen Waffen zukommen zu lassen via Libanon und via Türkei. Dass dabei am ehesten die pro-wahhabitisch ausgerichteten Gruppen unter den unzähligen Kleingruppen die es im syrischen Widerstand gab berücksichtigt wurden, versteht sich leicht.
Aber die Gegenseite, Iran und Hizbullah, sahen sich durch die Einwirkung Riads auf der Seite des syrischen Widerstandes ihrerseits berechtigt und veranlasst, auf Seiten Asad in den syrischen Bürgerkrieg einzugreifen.
Für Iran, in erster Linie die leitenden Köpfe der iranischen Revolutionswächter mit dem Segen Khameneis, ging es darum, einerseits das syrische Verbindungsglied zu Hizbullah in Libanon aufrecht zu halten. Dieses wäre mit dem Sturz Asads zerbrochen. Andrerseits wohl auch darum, den Saudis die Zähne zu weisen, und eine saudische Hegemonie über die arabische Welt, unter Zurücksetzung der schiitischen Minderheiten derselben, zu verhindern.
Die Rolle der iranischen Revolutionswächter
Zur Beurteilung des iranischen Expansionsdrangs muss man die innenpolitischen Aspekte des dortigen Regimes in Rechnung stellen. Hauptträger und auch Hauptprofitierende dieses Dranges sind die Revolutionswächter. Sie besitzen einen eigenen Arm für Untergrundaktivitäten im Ausland. Er nennt sich die „Quds Kräfte“. Quds ist der arabische Namen Jerusalems. Sie sind ein der amerikanischen CIA vergleichbarer Apparat.
Die besten Ansatzunkte für ihre Einflussnahme sind stets die schiitischen Minderheiten der Nachbarländer, weil diese sich von ihren eigenen Staaten mehr oder weniger hart diskriminiert fühlen und eine Neigung haben, sich von dem grossen Bruder Iran helfen zu lassen. Dies bietet den Quds- Kräften und ihrem Kommandanten ein verlockendes Feld für Einflussnahme. Die Revolutionswächter sind auch eine wichtige, möglicherweise die wichtigste, Machtstütze des Regimes der iranischen Geistlichen.
Grosse Teile der städtischen iranischen Bevölkerung, in erster Linie deren Oberschichten aus hochqualifizierten Berufstätigen, streben nach eine Lockerung des Regimes der Geistlichen, die ihnen mehr Mitspracherechte verschaffte. Dies geht unter der Bezeichnung „Reform“. Doch die führenden geistlichen Machthaber fürchten nicht ohne Grund, dass solche Reformen, wenn sie einrissen, zu einer weitgehenden oder auf Zeit sogar völligen Entmachtung ihrer gegenwärtigen Position als herrschende Gottesgelehrte führen.
Balanceakt des iranischen Revolutionsführers
Die Revolutionswächter sind die wichtigste jener Kräfte, die sich allen „Reformen“ entgegenstemmen, teils wohl aus Überzeugung, teils aber auch weil sie in einem liberalisierten Regime weitgehend arbeitslos und damit einflusslos würden.
Doch Khamenei, der Herrschende Gottesgelehrte, ist auch darauf angewiesen, die hochqualifizierten Berufstätigen nicht allzu stark abzustossen. Er braucht sie, um die Wirtschaft Irans voranzubringen oder mindestens aufrecht zu erhalten. Deshalb kann er es sich nicht leisten, den Revolutionswächtern in der iranischen Innenpolitik freie Hand zu gewähren. Täte er dies, müsste er wohl auch über Zeit befürchten, dass sie ihn und die Seinen schlussendlich als entbehrlich erklärten und Anspruch darauf erhöben, das Land selbst zu regieren.
Deshalb ist es für ihn innenpolitisch und machtpolitisch von Vorteil, wenn die Revolutionswächter sich damit beschäftigen, den Schiiten im Ausland gewissermassen Nachhilfestunden in schiitischem revolutionärem Aktivismus zu erteilen. Umso mehr als diese Tätigkeiten im Ausland auch dazu dienen, das im Inneren etwas angeschlagene Prestige der nun schon 37 jährigen iranischen Revolution wieder aufzufrischen.
Der Kommandant der „Quds“- Kräfte, General Qassem Solaimani, gilt als ein aufsteigender Stern in Iran. Manche glauben, er könnte zum nächsten Präsidenten des Landes werden. Oder aber er könnte eine unverzichtbare Stütze des nächsten Präsidenten und des nächsten Herrschenden Gottesgelehrten werden.
Der Erdölpreis wird ein Kampfinstrument
Saudi-Arabien sorgt dafür, dass der Erdölpreis niedrig bleibt (zur Zeit gegen 50 Dollar pro Barrel gegenüber 100 und mehr in vergangenen Jahren), indem das Königreich sich weigert, seine Produktion zu senken. Dies hat zur Folge, dass in der OPEC keine Übereinkunft darüber erreicht werden kann, eine Produktionssenkung für alle OPEC-Staaten einzuführen. Saudi Arabien kann sich niedrigere Preise erlauben wegen der grossen Geldreserven des Königreiches. Andere Produktoren, Russland, Venezuela, Iran, die für ihre laufenden Ausgaben stärker von ihren Erdölexporten abhängig sind, leiden mehr als Saudi-Arabien an den gesenkten Preisen.
Die Iraner sind der Ansicht, dass das Verhalten der Saudis dem Zweck dient, ihre Prosperität und Entwicklung zu schädigen. In der Tat kann man annehmen, dass dies mindestens eine der Absichten Riads sein dürfte. Die saudische Diplomatie hat regelmässig erklärt, es werde gefährlich sein, den internationalen Boykott gegen Iran, der wegen des Atomstreits erklärt worden war, aufzuheben. Wenn Iran reicher werde, werde das Land seine Gelder dazu verwenden, noch mehr Terroraktionen durchzuführen als bisher.
Doch es gibt auch andere Gründe, die ebenfalls Saudi Arabien veranlasst haben könnten, seine Produktion hoch zu halten und dadurch die Preise niedrig. Es geht auch darum, wie die Saudis selbst sagen, den Marktanteil des Königreiches stabil zu erhalten. Dies bedeutet, dass neue Produzenten, die zu relativ hohen Preisen produzieren, vom Markt ferngehalten werden, solange das Produktionsvolumen Saudi-Arabiens dafür sorgt, dass die Weltmarktpreise niedrig bleiben.
Saudische Erdöl-Rechnungen
Die neuen Produzenten, die auf Grund neuer Technologien „shale oil“ auszubeuten vermögen, sind rentabel solange der Preis bei 100 Dollar pro Barrel liegt. Doch sinkt er auf die Hälfte ab, ist die Rentabilität nicht mehr gewährleistet. Das Verhalten der Saudis dient also auch dazu, diese sich abzeichnende Konkurrenz nicht hochkommen zu lassen.
Weitere komplexe Rechnungen könnten auch eine Rolle spielen. Etwa Fragen, wie lange noch eine auf Erdöl basierende Energiewirtschaft wird funktionieren können angesichts der Klimabedrohungen, die von ihr ausgehen. Möglicherweise rechnen die saudischen Erdölspezialisten damit, dass ihr Land über dermassen umfangreiche Reserven verfügt, dass es diese aufbrauchen muss, solange sie noch verwendbar sein werden. Doch jedenfalls verliert Iran ein in seiner gegenwärtigen Lage dringend benötigtes Einkommen und hat daher guten Grund, das Verhalten der Saudis als feindlich einzustufen.
Umbau der saudischen Wirtschaft
Saudi Arabien hat sich mit König Salman und dessen Lieblingssohn, Prinz Muhammed Ibn Salman, auf einen neuen politischen und wirtschaftlichen Kurs begeben, der gewaltige Anforderungen an das Königreich und seine Führung mit sich bringt. Wirtschaftlich soll das Königreich sich in den nächsten zwei Jahrzehnten von seiner bisherigen Abhängigkeit von der Erdölförderung und Erdölverkauf befreien und eine produktive Eigenwirtschaft entwickeln. Dafür sollen die gewaltigen Geldreserven Saudi Arabiens eingesetzt werden, zusammen mit weiteren Riesensummen, die den Plänen nach durch den Verkauf eines kleinen Teiles der staatlichen Erdölgesellschaft flüssig gemacht werden sollen. Die Gelder sollen einerseits produktiven Anlagen im Ausland dienen, aber andrerseits auch dazu verwendet werden, im Königreich selbst produktive Betriebe aufzubauen. Die saudischen Bürger selbst, nicht ausländische Fremdarbeiter und Fachleute, wie bisher, sollen diese Betriebe aufbauen und leiten, sowie in ihnen arbeiten.
Detaillierte Pläne in vielen Bereichen liegen vor. Ihre Verwirklichung soll umgehend beginnen. Doch ob und wie weit sie in der Praxis ihre Ziele werden erreichen können, ist schwer vorauszusagen.
Der entscheidende Punkt liegt im Begriff „produktiv“. Der Übergang von mit staatlichen Geldern aufgebauten zu „produktiven“ Unternehmen, die sich selbst finanzieren können und dazu auch etwas Gewinn bringen, wird das kritische Stadium sein, in dem sich entscheidet, ob der Plan gelingt oder fehlschlägt. Dieser Übergang jedoch verspricht schwierig zu werden. Die saudische Gesellschaft wuchs auf als Rentner-Gesellschaft“ basierend auf der Öl Rente.
Riads risikoreiche Umbaupläne
Nichts hat die heute lebenden Saudis darauf vorbereitet, statt Renten entgegenzunehmen, produktive Unternehmen in ihrem Wüstenland zu gründen und erfolgreich zu betreiben. In den Frühstadien, solange es sich darum handelt, Gelder des Staates auszugeben, um die neue Wirtschaft aufzubauen und anzukurbeln, werden die Pläne möglicherweise aussichtsreich und hoffnungsvoll wirken. Doch die kritische Periode für jeden Bestandteil der Planung wird dann einsetzen, wenn sich dieser im Vergleich mit entsprechenden Unternehmen weltweit werden bewähren müssen, und früher oder später wird sich der Zeitpunkt einstellen, an dem die staatlichen Zuschüsse, die für den Aufbau gedacht waren, für Errichtung und Subvention der neu gegründeten Unternehmen nicht mehr ausreichen werden.
Dass Saudi Arabien gleichzeitig mit diesem gewagten Übergang auch noch die Kosten eines Krieges in Jemen auf sich nimmt, die Kosten einer Rivalität mit Iran in allen arabischen Staaten, sowie die Finanzierung der Feinde des von Iran und Russland gestützten syrischen Machthabers, muss als sehr kühn, wenn nicht als tollkühn bewertet werden. Man kann deshalb vermuten: wenn sie lange andauert, wird die iranisch-saudische Konfrontation zu Gunsten Irans enden und Saudi Arabien empfindlich, möglicherweise definitiv, schädigen.
Siehe Teil des Machtkampfes zwischen Sunniten und Schiiten.