Wenn man die Ohren für einen Moment vor dem Gelaber der Eurokraten verschliesst, dann verschafft man sich Denkraum für eine grundsätzliche Betrachtung. Bei der Beurteilung wirtschaftlicher Entwicklungen ist die Identifikation des Punktes ohne Wiederkehr entscheidend. Ab wann und warum kann die Zahnpasta nicht mehr in die Tube zurückgequetscht werden? Ab wann ist es wie beim Mühle-Spiel: Wo man den nächsten Stein auch hinsetzt, weg ist er?
Zwei Schubkräfte
Der Euro war von Anfang an eine Fehlkonstruktion. Ungefähr so brauchbar wie ein Nachttopf, bei dem der Henkel innen angebracht ist. Diese Fehlgeburt erblickte zudem in einem Moment das Licht der Welt, als die verbrecherische Gratisgeld-Politik von Alan Greenspans US-Notenbank FED ein virtuelles Zockercasino in Schwung brachte. Das hätte im Euroraum nur durch entschlossenes staatliches Handeln kontrolliert werden können. Ein Ding der Unmöglichkeit, angesichts der entscheidungsunfähigen eurokratischen Strukturen.
Komplizenschaft
In der Finanzkrise 1 verlumpten zudem schon vorher massiv verschuldete Staaten, indem sie sich ins Elend spekulierende Banken retteten, statt sie pleite gehen zu lassen. Seither wanken diese tönernen Ungetüme ineinander verklammert wie zwei Ganoven, die gemeinsam ein Ding gedreht haben, dem Abgrund entgegen.
Der aussenstehende Beobachter, und das sind wir ja alle in einem immer demokratiefreieren Europa, flüchtet sich in die Hoffnung: Es wird doch einen Ausweg geben. Oder er sagt sich: Augen zu und durch. Jedes Schlamassel kann man doch irgendwie wegräumen, beseitigen, in seine Bestandteile zerlegen und auflösen.
Unabänderlich
Jede Krise hat ihren Point of no Return. Ob der durch fundamentale Fehlentwicklungen überschritten wird oder durch reine Zufälligkeiten, so wie die Schüsse in Sarajewo zum Ersten Weltkrieg führten, ist unerheblich. Entscheidend ist: Wurde er überschritten, könnte selbst das genialste Handeln in der besten aller Welten nichts mehr daran ändern.
Dann bleibt nur die letzte, perverse Hoffnung: Je schneller es kracht, desto grösser die Chance, dass die Entwicklung nicht im völligen Desaster endet. So gesehen waren der erzwungene «freiwillige» Schuldenschnitt bei Griechenland und die absurde 100-Milliarden-Hilfe an Spanien durchaus beförderliche Massnahmen.
Bitte mehr davon
Es ist keineswegs Zynismus, sondern Ausdruck des Wunsches nach dem am wenigsten schrecklichen Ende, dass man die Eurokraten auf den Knien bitten muss: Macht weiter so, gebt Vollgas. Flutet den Finanzmarkt nochmal mit mindestens einer Billion Euro. Bringt Eurobonds in Umlauf. Nehmt Spanien sofort unter den Rettungsschirm. Italien und Frankreich gleich auch. Akzeptiert bedingungslos alle Wünsche nach Neuverhandlungen fest vereinbarter Schuldenabkommen.
Macht endlich das Falsche richtig. Kein Zögern mehr, keine Halbheiten. Keine wahltaktischen Schwiemeleien mehr. Haut richtig rein. Leider ist zu befürchten, dass die Eurokraten selbst dafür zu dämlich sind.
Aufatmen
Falls Europa nicht im völligen Desaster endet, wird das Aufatmen unüberhörbar sein. Nachdem endlich, endlich der Euro abgeschafft wurde, Pleitestaaten endlich, endlich bankrott gegangen sind. Bitter für Gläubiger, Sparer und Rentner. Aber immerhin: Man hat die Viecherei hinter sich, kann nach vorne arbeiten. Reiner, aber halt leider auch leerer Tisch, Neuanfang, man kann in die Zukunft schauen statt in Schockstarre auf unlösbare Probleme der Vergangenheit zu glotzen.
Dass es schnell genug kracht, ist die einzige Hoffnung, die man zurzeit haben kann. Sie ist zudem begründbar: Zu jedem beliebigen Zeitpunkt in den letzten zwei, drei Jahren wäre das Ende des Euro von heute aus betrachtet ein Segen gewesen. Wäre Schlimmeres verhütet worden, weniger Geld sinnlos verlocht, weniger Schaden entstanden.
Und die Schweiz?
Die Eidgenossen haben immerhin die letzten beiden militärischen Weltkriege einigermassen unbeschadet überstanden. Das gibt Hoffnung, dass sie auch den nächsten, der ökonomisch bereits begonnen hat, überleben werden. Die Schweiz hat den Point of no Return noch nicht erreicht. Doch zu viele Dummheiten wie das Festhalten an der Untergrenze zum Euro kann sie sich auch nicht erlauben.
Aber wenn als Nächstes noch die beiden ein Systemrisiko darstellenden Grossbanken kleingeschnitzt werden, aus der Immobilienblase die Luft rausgelassen wird, die Altersversorgungssysteme saniert werden, dann ist die Schweiz eigentlich, wie ein Banker sagen würde, gut aufgestellt. Zumindest darf man ja davon träumen.