Dieses Werk über die Glaubenskrise des jüdischen Volkes nach dem Auszug aus Ägypten und die gegensätzliche Art und Weise, wie die Brüder Moses und Aron damit umgehen, wurde von Schönberg in den Jahren 1930 bis 1932 geschrieben. Also in einer Zeit, in der das jüdische Volk vom Nationalsozialismus bedroht wurde aber kein eigenes Land hatte, in das es flüchten konnte.
Schönberg, Jude von Geburt, doch Protestant durch Konvertierung, kehrte unter dem Eindruck der Auswirkungen des Antisemitismus zu seinem ursprünglichen Glauben zurück. Mit diesem Werk, zu dem er auch das Libretto schrieb, das stark an die Psalmen des Exodus angelehnt ist, hat er in beklemmender und dramatischer Weise sein eigenes Credo und seinen inneren Kampf hin zum Glauben dokumentiert. Wir sprachen mit dem Dramaturgen der Moderne vom Lucerne Festival Mark Sattler.
Sie haben über diese Oper Ihre Magisterarbeit geschrieben. Was hat Sie daran so fasziniert?
Mark Sattler: Einmal, dass ein Komponist ein solches Thema in einer solchen Tiefe aufgreift und mit einer Dringlichkeit und Intensität umsetzt, der man sich nicht entziehen kann. Es ist eines der faszinierendsten Werke im Bereich der Musik und zudem neben Helmut Lachenmanns „Mädchen mit den Schwefelhölzern“ und Alban Bergs „Wozzeck“ eine der wichtigsten Opern des 20. Jahrhunderts. Virulente existentielle Fragen werden darin erörtert, die nichts an Aktualität verloren haben wie auch die politische Konstellation. Die Juden hatten zu Moses Zeit wie auch während der Bedrohung durch den Nationalsozialismus kein eigenes Land, in das sie sich zurückziehen konnten. Jetzt haben sie es, müssen jedoch darum kämpfen.
Der zentrale Gedanke ist der monotheistische Glaube; der Glaube an einen, wie Schönberg sagte, „einzigen, allgegenwärtigen, unsichtbaren und unvorstellbaren Gott“. Hatte das Volk Israel Schwierigkeiten, an etwas zu glauben, das es weder sah noch anfassen konnte?
Ja, das Werk thematisiert die Erkenntnis des Gottesgedankens. Es geht um die Hinwendung zum Monotheismus und dessen immanentem Dilemma, das er „nur“ Gedanke ist und sich damit einer Vermittlung fast entzieht. Die Oper zeigt die Errettung des jüdischen Volkes aus der Gefangenschaft in Ägypten. Moses empfängt von Gott den Auftrag, das Volk Israel aus der Gefangenschaft zu führen. Die Erkenntnis des „einzigen wahren, ewigen und unsichtbaren Gottes“ geht damit einher.
Es ist schwierig dies dem Volk zu vermitteln. Zur Errettung aus der Gefangenschaft ist dieser Glaube aber existentiell. Moses wurde erleuchtet. Er kann dies dem Volk aber nicht berichten. In der Bibel steht über Moses: „Ich kann denken aber nicht reden“. Wahrscheinlich hatte er einen Sprachfehler. Darum wird Bruder Aron zum Mund von Moses und vermittelt den Gottesgedanken an das Volk. Arnold Schönberg zeigt dies in seiner Oper so, dass Moses spricht, Aron aber singt. Doch Aron bleibt nicht nur Sprachrohr. Er vermittelt auch seine Sicht: „Das Volk kann nur lieben was es anfassen kann“. Ein heidnischer Gedanken.
Aron versucht, auf pragmatische Art das Volk hinter „Gottes Auftrag’“ zu versammeln indem er „Wunder“ geschehen lässt. Er lässt Dinge geschehen, die das Volk versteht, um es zum Glauben an diesen Gott zu bewegen. Es soll Vertrauen in ihn gewinnen und zum Auswandern bewegt werden. Als dann Moses 40 Tage auf dem Berg Horeb weilt um die Gesetzes-Tafel zu empfangen und das Volk unruhig wird, gibt Aron ihm das goldenes Kalb. Dies ist ein Rückfall in etwas, das ihm vertraut ist: Das Götzentum. Aron selbst glaubt nicht an Götzen, doch er glaubt, dass es notwendig ist, ihm Vertrautes zu geben um es wieder zur Ruhe zu bringen. Die Oper zeigt also auch, wie wirklicher Glaube zu leben ist. Moses verkörpert die idealistische Position, er ist mystisch, Aron zeigt die pragmatische Ebene.
Arnold Schönberg selbst hat ja auch um seinen Glauben gerungen. Jude von Geburt, konvertierte er im März 1898 in Wien zum Protestantismus, vor allem, so Schönberg, um sich „von den Besonderheiten des Minderheitenstatus freizumachen“. Doch als er Nazideutschland 1933 verlassen musste, da seine Lehrtätigkeit in Berlin beendet wurde und seine Musik als entartet galt, rekonvertierte er auf der Durchreise nach Amerika in Paris, in Anwesenheit Marc Chagalls, wieder zum Judentum. Wie sehr engagierte er sich für seinen wiedergefundenen Glauben?
Es gibt kaum einen Musiker, der auf so hohem Niveau komponierte, der sich so engagiert hat. In einem Brief an seinen Schüler Anton Webern schrieb er sogar: „Ich bin entschlossen, nichts anderes mehr zu machen als für die nationale Sache des Judentums zu arbeiten.“
In den USA komponierte er dann auch liturgische Musik für den synagogalen Gottesdienst und plante eine viersätzige Symphonie als „Apologie des Judentums“.
Er wollte eigentlich politisch tätig werden und hat es dann mit den Mitteln seiner Kunst getan. So mit „Ein Überlebender aus Warschau“, 1947 in Los Angeles geschrieben, als die Schrecken des Holocausts und des Warschauer Ghettos offenbar wurden Es ist ein Werk für Sprecher, Orchester und Chor und regiert stark auf die Gesellschaft seiner Zeit. Der Sprecher rezitiert die Geschehnisse im Warschauer Ghetto. Am Endes singt der Chor das israelische Glaubensbekenntnis ‚Sch’maJisroel’ zwölftönig, wahrscheinlich eine der eindrücklichsten Hommagen oder Gedenkkompositionen überhaupt. Dies ist eines der bedeutendsten Monumente zum Holocaust. Gewaltig in seiner Wirkung.
Kurz vor seinem Tod entwarf Schönberg noch die Hymne „Israel exists again“, die er allerdings nicht vollendete. Sein Wunsch, eine genuin jüdische Kunstmusik für Israel zu gründen, blieb ein Traum.