Digitalisierung und Globalisierung überfordern Menschen und Staaten. Die bestehenden Steuer- und Finanzsysteme sind historisch gewachsen. Der Staat muss sie kritisch hinterfragen. Ein innovativer Wurf ist gefordert. Die Lösung liegt bei den explodierenden Zahlungsströmen. Die Schweiz kann die Pionierrolle übernehmen.
1. Finanzierungslücke nach der AHV-Abstimmung
Bereits im Januar 2024 stellte der Bundesrat fest, es fehlen dem Bund in den kommenden Jahren mehrere Milliarden für ein ausgeglichenes Budget.
Das Stimmvolk hat am 6. März 2024 dem Bund nun eine weitere Rechnung von über 4 Milliarden auf den Tisch gelegt.
Wie soll die Lücke geschlossen werden: Schulden erhöhen, sparen oder neue Steuerquellen erschliessen?
2. Schulden erhöhen?
Im internationalen Vergleich steht die Schweiz gut da. Bei einem Bruttoinlandprodukt von CHF 781 Mrd. betragen die Schulden der öffentlichen Hand CHF 420 Mrd. Diese Fremdkapitalquote von 42.2% ist im Ländervergleich mustergültig. Schuldenbremse und gesunder Menschenverstand sollten die Politiker nach guter Schweizer Art davon abhalten, die Schulden zu erhöhen.
3. Sparen?
Der Bundesrat hat im Januar 2024 festgehalten, der Ausgabendruck steige in verschiedenen Bereichen. Dies betrifft sowohl die soziale Wohlfahrt, die Armee, den Asylbereich, Abkommen mit der EU und die Hilfe beim Wiederaufbau der Ukraine. Sparwille ist im Berner Parlament nicht spürbar. Wir leben in einem Wohlfahrtsstaat.
4. Steuererhöhungen nach bisheriger Façon oder weiter so wie bisher?
Es ist damit zu rechnen, dass das Parlament versuchen wird, eine Erhöhung der Mehrwertsteuer und der direkten Bundessteuer durchzupauken mit dem Hinweis, mit Sparen komme man nie und nimmer zum Ziel. Das wäre nicht überraschend, aber echt phantasielos.
5. Innovative Finanztransaktionssteuer bzw. Mikrosteuer auf dem Zahlungsverkehr
Einige Mitte-Politiker, unter anderem Fraktionschef Philipp Bregy auf X, haben am Abstimmungssonntag eine weitere Finanzierung der AHV-Rechnung ins Spiel gebracht, nämlich die Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Auch Parteipräsident Gerhard Pfister sagte in der Elefantenrunde am Abstimmungssonntag, das sei eine Option.
Die Mikrosteuer auf dem Zahlungsverkehr lehnen die Medien ab.
Zunächst einige Bemerkungen zur Finanztransaktionssteuer.
6. Die 2013 zunächst beschlossene und später aufgegebene EU-Finanztransaktionssteuer
Die EU-Kommission hat am 22. Januar 2013 die Einführung einer Finanztransaktionssteuer in elf EU-Staaten beschlossen. In der Folge zog sich ein EU-Staat nach dem anderen zurück. Man muss davon ausgehen, dass die Lobbyisten der Geldmafia gute Arbeit geleistet haben. Schliesslich blieb von der geplanten EU-Transaktionssteuer nur noch ein Bruchteil in den Gesetzgebungen von Frankreich und Italien zurück.
7. Die Schweiz hat bereits eine Finanztransaktionssteuer
Unglaublich, aber wahr: Politiker, die sich am Abstimmungssonntag im Fernsehen präsentiert haben, kennen nicht einmal die schweizerische Finanztransaktionssteuer.
Das Bundesgesetz über die Stempelabgaben vom 27. Juni 1973 regelt eine Finanztransaktionssteuer u. a. auf dem Umsatz von in- und ausländischen Aktien und Obligationen. Die Steuer beträgt 1,5 Promille für Inländer und 3 Promille für Ausländer. Die Banken bzw. Effektenhändler besorgen das Inkasso dieser Finanztransaktionssteuer für den Bund dank eigener Software. Wer Aktien kauft oder verkauft, sieht auf jeder Bankabrechnung die Höhe der angefallenen Finanztransaktionssteuer.
Die Bankenlandschaft des Jahres 1973 ist mit der heutigen nicht zu vergleichen. Das Bundesgesetz über die Stempelabgaben muss radikal revidiert und an die heutige Finanzwelt angepasst werden.
Es ist unverständlich, weshalb zwei verschiedene Steuersätze zur Anwendung kommen. Das «National Treatment», also die Bevorzugung von Inländern, ist international verpönt.
8. Zahlreiche Ausnahmen
Weiter hat das Bundesgesetz über die Stempelabgaben viele unberechtigte Ausnahmen. Die komplizierten und teilweise schwer lesbaren Formulierungen sind nur durch die damalige geschickte Lobbypolitik von Bundesparlamentariern zu erklären. Eine Totalrevision des Gesetzes ist sofort an die Hand zu nehmen. Es muss dringend an die Anforderungen der heutigen Zeit angepasst und vereinfacht werden.
Es stellt sich generell die Frage, wessen Interessen National- und Ständeräte vertreten: die Interessen der Schweizer Bevölkerung oder diejenigen der Banken?
9. Unverständlich und unerklärlich: Devisen und Derivate werden nicht besteuert
Da die schweizerische Finanztransaktionssteuer sich vor allem auf Aktien und Obligationen konzentriert, werden Devisenhandel und Derivate nicht besteuert. Weshalb soll ein Aktienkauf der Umsatzsteuer unterliegen, Devisen oder Derivate aber nicht? Genau wie bei Aktien und Obligationen sind die Banken bei Devisen und Derivaten in der Lage, die entsprechenden Steuern dem Bund abzuliefern. Der Bund hat diesen Obolus zugut.
10. Gründe für den positiven Volksentscheid zur 13. AHV
Gefühlte und echte Altersarmut, Inflation, allgemeines Unbehagen über rasante Änderungen der individuellen Lebensumstände, Unterschied zwischen Arm und Reich, haben zum für viele liberale Kreise überraschenden AHV-Volksentscheid geführt.
Bankkonten sind nur noch digital verfügbar. Klappt die elektronische Verbindung mit der Bank nicht oder schlecht, sind viele Bürger verloren. Chatrooms, Clouds, Dark Rooms, Hochfrequenzhandel, nicht funktionierende digitale Verbindungen verunsichern. Viele fühlen sich überfordert durch die veränderte Finanzwelt und die damit parallel laufende Entfremdung.
11. Das Fanal des Niedergangs der Credit Suisse
Nicht unterschätzt werden darf das längst noch nicht verdaute dramatische Verschwinden der CS im Frühjahr 2023.
Wird die noch grösser gewordene UBS im Haifischbecken von New York besser abschneiden als die CS?
Sind unsere Aufsichtsbehörden für das Bankwesen genügend gerüstet?
Seit der Finanzkrise 2007/2008 bastelten die Behörden an einer Sicherheitskonstruktion für unsere Grossbanken UBS und CS, die für die kleine Schweiz viel zu riskant aufgestellt waren. Grossartig wurde die perfekte Lösung angekündigt: das Too-big-to-fail-Regime.
Beim Verschwinden der CS hat sich dieses Too-big-to-fail-Machwerk als wertlos entpuppt. Wer sind die Verantwortlichen?
Nach dem Verschwinden der CS, kommuniziert am 19. März 2023, hat der Bundesrat freundeidgenössisch die Expertengruppe «Bankenstabilität» eingesetzt, um eine umfassende Evaluierung der Too-big-to-fail-Regeln vorzunehmen. Das Parlament setzte eine parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) ein. Die Expertengruppe stellte den Zuständigen am 1. September 2023 inhaltlich einen Persilschein aus, das Resultat der PUK wird mit wenig Spannung erwartet.
12. Accountability? Das heisst Rechenschaft ablegen!
Wer nach dem faktischen Niedergang der CS ein «mea culpa» der Verantwortlichen bei Bund, Finma und der untergegangenen Bank erwartet hatte, ist enttäuscht.
Die Schweiz hat im Zivilrecht, Strafrecht und öffentlichen Recht keine ausreichenden Regeln für White-Collar-Crimes im Finanzbereich. Die Regeln entsprechen dem Denken und dem Approach eines Wohlfahrtstaates. Man kann und darf weitermachen wie bisher.
Dirk Schütz hat in seinem Buch «Zu hart am Wind - Warum die Credit Suisse untergehen musste» aufgezeigt, wie sich der Untergang dieser altehrwürdigen Institution langfristig abgezeichnet hat. Auch der oberste Verantwortliche und VR-Präsident, von vielen für diese Aufgabe als ungeeignet angesehen, kommt vermutlich mit einem blauen Auge davon.
Die Swissair-Saga setzt sich damit fort, nicht zum Vorteil der liberalen Kräfte im Land. In der Schweiz pflegt man einen netten Umgang untereinander. Das hat viele Vorteile. Bei kriminellen Machenschaften ist das ein falscher Anreiz zur ungestraften Nachahmung.
13. Unsere Demokratie ist noch nicht verloren
Anhänger unserer Demokratie sehen die Schwachpunkte einer kraftlosen Demokratie. Bei epochalen Veränderungen der Gesellschaft genügt das «Weiter-so-wie-bisher» nicht. Ausserordentliche Anstrengungen sind gefordert.
Wie ein folgsames Schaf hat die Schweiz die neuen Steuerregeln der Pariser OECD-Bürokraten übernommen und setzt sie ein Jahr zu früh in Kraft.
Es gilt die tiefgreifenden Änderungen in der Gesellschaft zu erkennen und die für die Schweiz richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Eine weltweite Steuer auf die überbordenden Zahlungsströme sollte von der Schweiz als passende Lösung präsentiert werden. Bislang fehlt sowohl beim Bundesrat als auch beim überforderten Parlament diese Weitsicht. Es fehlt auch der Mut, den es für eine solche eigenständige Initiative braucht.
Noch ist die Schweiz nicht verloren. Siehe dazu im Detail:
https://mikrosteuer.ch/