«Wir haben allen Grund, optimistisch darüber zu sein, wohin sich der Euro entwickelt», sagte vorgestern Mario Draghi. In welcher Märchenwelt lebt der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB)? Seine Ankündigung, «unbegrenzt» Staatsschuldpapiere aufzukaufen, begründete er zuvor mit der gestörten Transmission in der Geldpolitik. Damit meinte er, dass nicht mal seine verbrecherische Politik von Gratisgeld eine nennenswerte Auswirkung auf das Zinsniveau von Wackelstaaten wie Spanien oder Italien hatte.
Der richtige Einwand
Immerhin, der Präsident der Deutschen Bundesbank, Jens Weidmann, hat sich als einziger in der EZB gegen diesen Wahnsinn gestemmt. Mit dem richtigen Hinweis, dass dieses Argument schon seit dem ersten Aufkauf von Staatsanleihen im Jahre 2010 angeführt wird, «mit dem Resultat, dass wir heute immer noch davon reden, die Übermittlung sei gestört.»
In einem Interview mit der NZZ fährt Weidmann fort: «Sind Staatsanleihenkäufe angesichts struktureller Probleme, wie des Mangels an Wettbewerbsfähigkeit und des Verlusts an Vertrauen in die Staatsfinanzen einzelner Länder, überhaupt das geeignete Instrument zur Reparatur des geldpolitischen Transmissionsriemens?» Als Notenbanker muss sich Weidmann zurückhaltend und diplomatisch ausdrücken, deshalb verzichtet er auf die logische Antwort: natürlich nicht.
Geldschwemme und Ebbe
Die Flutung der Märkte mit Gratisgeld und die Absurdität, dass in Form der EZB der Schuldner seine eigenen Schulden aufkauft, die er mit frischem Geld «bezahlt», ist das eine. Der Zustand des Pleitestaats Griechenland ist das andere. Erste Zwischenergebnisse der Troika, die untersuchen soll, ob die EU demnächst eine weitere Tranche des allerletzten Hilfspakets von 130 Milliarden Euro freigeben soll, sind alarmierend. Voraussetzung dafür wäre, darauf haben die Eurokraten mal wieder alle heiligen Eide geschworen, dass Griechenland keine zusätzliche Finanzierungslücke hat. Da scheint aber ein neues Loch in der Höhe von 30 Milliarden Euro entdeckt worden zu sein.
Wir erinnern uns: Als Griechenland im Sommer ein mögliches weiteres Schuldenloch von 11 Milliarden Euro entdeckte und um eine Verlängerung von zwei Jahren zur Erreichung seiner Defizitziele bat, warfen vor allem deutsche Politiker mit markigen Worten um sich. «Exempel statuieren», «auf keinen Fall». Der deutsche Wirtschaftsminister tönte, dass ein Austritt Griechenlands aus dem Euro «längst seinen Schrecken verloren» habe. Aber jetzt ist Herbst, und es sind, Überraschung, eher 30 Milliarden. Höchste Zeit, die Hellenen endlich aus dem Euro zu schmeissen? Aber nein, das würde allen Regeln der dadaistischen Logik widersprechen, die die Eurokraten offensichtlich anwenden. Die besagen: 11 Milliarden, Rausschmiss. 30 Milliarden, neues Zwischenrettungspaket. Nur: Wie soll das gehen?
Tricks und Kniffe
Wir erinnern uns: Als im August ein klitzekleines Nebenloch von 3,4 Milliarden Euro in Form zur Rückzahlung fälliger Staatsschuldpapiere auftauchte, während, Überraschung, zum Termin Ebbe in der Staatskasse herrschte, durfte die griechische Nationalbank mit Plazet der EZB neue Euro drucken. Für eine Wiederholung dieses üblen Taschenspielertricks sind aber 30 Milliarden zu viel.
Ein neues, allerallerletztes zusätzliches Rettungspaket käme wohl nicht durch die nationalen Parlamente der wenigen verbliebenen Zahler im Euroraum. Da gäbe es noch den Kniff eines neuerlichen Schuldenschnitts, mit erzwungener «freiwilliger» Beteiligung aller Gläubiger. Dabei gab es aber schon das letzte Mal ziemlich viel Ärger. Also was tun, um den absurden Optimismus eines Draghi nicht zu verlieren?
Die EZB, wer sonst?
Na, da hat die EZB doch noch rund 28 Milliarden griechische Staatsschuldpapiere in ihrem Tresor. Wenn sowieso schon alle Rotlichter überfahren sind, kommt es doch auch nicht mehr darauf an, die umzuschulden, ihre Laufzeit zu verlängern oder Hokuspokus, sie einfach verschwinden zu lassen. Okay, da täte sich dann ein Loch in der EZB auf. Aber wozu kann die EZB denn eigentlich selbst neues Geld herstellen? Damit könnte man doch dieses Loch problemlos zuschütten.Und Abrakadabra, Simsalabim, der grösste Zaubertrick aller Zeiten ist gelungen: Ein Loch wurde mit einem anderen gestopft.
Wenn man es optimistisch sieht, hat man damit etwas Zeit gekauft, bis ein neues Loch mit einem weiteren gestopft werden muss. Wenn man es realistisch sieht, entsteht dadurch aber nur ein Riesenloch, sozusagen die Mutter aller Löcher. Die trägt die unschönen Übernamen Hyperinflation, Geldapokalypse, Chaos, Zusammenbruch. Aber von dieser Aussicht will sich Märchenonkel Draghi sicherlich nicht die optimistische Stimmung verderben lassen.