„Noch bleibt etwas Demokratie übrig“, kommentiert die linksliberale Website „The Intercept“ den Ausgang der Vorwahl in New York Citys 14. Distrikt. Den Urnengang hat am 26. Juni nicht wie erwartet Amtsinhaber Joe Cowley, einer der mächtigsten Demokraten im US-Kongress, gewonnen. Es triumphierte die 28-jährige Aktivistin und Sozialistin Alexandria Ocasio-Cortez, die bis vor einem Jahr noch in einer Bar gearbeitet hatte.
Blinde Auguren
Damit steht ihr Sieg bei den Zwischenwahlen für das Abgeordnetenhaus im Herbst praktisch fest: Der 14. Distrikt, der die Stadtteile Bronx und Queens umfasst, ist seit jeher fest in demokratischer Hand. 70 Prozent seiner Bewohner gehören Minderheiten an und die Hälfte unter ihnen sind Einwanderer.
Überrascht sind nun nicht nur demokratische Parteihierarchen und deren Geldgeber. Der 56-jährige Crowley, von Wall Street und New Yorker Geschäftsinteressen unterstützt, galt als aussichtsreichster Kandidat für die Nachfolge von Nancy Pelosi, der 78-jährigen Führerin der demokratischen Fraktion im US-Repräsentantenhaus.
Auch die amerikanischen Medien haben den Sieg der politisch unerfahrenen Latina nicht kommen sehen – allen voran die „New York Times“ nicht, deren frühere Chefredaktorin Jill Abramson das Blatt für dessen Wahlberichterstattung öffentlich heftig kritisiert: „Ihren (Ocasio-Cortez‘) Aufstieg verpasst zu haben ist, wie Trumps Sieg 2016 nicht vorhergesehen zu haben.“
Ausreisser oder Mentekel
Mehr als für die potenziellen Wähler der Kandidatin und ihre Motive interessierten sich politische Berichterstatter für die grosszügigen Geldgeber des liberalen Rivalen – der gewohnte Fokus auf das „horse race“, das durch Statistiken und Umfragen definierte Rennen. „In diesem Wahlkampf geht es um Leute gegen Geld“, hiess es denn in einer im Netz viel beachteten Anzeige von Ocasio-Cortez: „Wir haben die Leute. Sie haben das Geld.“
Zwar befleissigen sich Joe Crowleys Anhänger im Nachhinein, den Sieg von Alexandria Ocasio-Cortez als untypischen Ausreisser darzustellen. Andere Kommentatoren dagegen sehen den Ausgang der New Yorker Vorwahl als Teil einer Entwicklung, der sich die demokratische Partei stellen muss, will sie 2018 bei den Zwischenwahlen erneut Stimmen gewinnen und 2020 eine Wiederwahl Donald Trumps verhindern.
Verjüngung
Die Parteispitze der Demokraten, deren Vertreter im Haus in D. C. allesamt gegen 80 gehen, muss sich verjüngen, will sie künftig noch eine Wählerschaft ansprechen, die in Amerika zunehmend progressiv, jung, weiblich und nicht-weiss ist. Die Vorzeichen für ein besseres Abschneiden der Opposition im November stehen nicht schlecht: Überdurchschnittlich viele Kandidaten für die Wahlen in den Kongress sind weiblich und etliche unter ihnen sind jung.
Sich gegen eine Verjüngung der Partei und nicht gegen den Einfluss potenter Geldgeber zu stemmen, wird der überalterten demokratischen Führung in Zukunft nichts mehr nützen: Entweder springt das Establishment auf den fahrenden Zug auf oder es wird überrollt – so wie Joe Crowley, der mächtige „King of Queens“, in New York 14. Distrikt.