Die Tessiner Stimmberechtigten haben am Sonntag die zwei bisherigen Staatsräte der Protestbewegung „Lega dei ticinesi“, Claudio Zali und Norman Gobbi, wiedergewählt. Das Nachsehen hat der „Partito Liberale-radicale“, wie die FDP im Tessin heisst. Die traditionsreiche Partei, die vor vier Jahren ihre jahrzehntelange Vorherrschaft in der fünfköpfigen Regierung verloren hatte, konnte den damals überraschenden Verlust nicht wettmachen.
Zwar hat die einst mächtige FDP nach einer langen Periode der Stimmeneinbusse wieder Wähler gewonnen, und die Lega hat Terrain eingebüsst. Dass der Erfolg ausblieb, kann man dem neuen FDP-Präsidenten Rocco Cattaneo anlasten. Er hat im vergangenen Jahr wiederholt gegen „seine“ Finanz- und Wirtschaftsministerin, die seriöse Schafferin Laura Sadis, gestichelt, bis diese sich schliesslich entschied, nicht mehr zu kandidieren. Ohne den Schub einer „Bisherigen“ schien es kaum möglich zwei Sitze zu erobern, und dieses Ziel wurde am Sonntag knapp verfehlt. Einziges neues Gesicht in der Tessiner Regierung ist der bisherige freisinnige Grossrat Christian Vitta; die beiden Staatsräte der CVP und der SP, Paolo Beltraminelli und der blinde Manuele Bertoli, wurden wiedergewählt. Im Tessin fehlt nun eine Frau in der Regierung.
Wahlverfahren mitentscheidend
In der übrigen Schweiz mag überraschen, dass die vom verstorbenen Giuliano Bignasca vor 25 Jahren gegründete Protestbewegung in der Regierung die relative Mehrheit erobern konnte, obwohl sie mit ihrem rüden Ton Ausländer und Andersdenkende, Italien und den Bundesrat immer wieder verunglimpft. Das ist möglich dank des Proporzwahlrechts: im Unterschied zu den übrigen Kantonen, muss im ersten Wahlgang nicht das absolute Mehr der Wählenden erreicht werden. Vier Parteien erreichten das Quorum und erhielten einen Sitz; die Partei mit den meisten Reststimmen erhält den zweiten Sitz; mit knapp 28 % der Stimmen gewinnt also die Lega.
Eine weitere Besonderheit ist die geographische Lage des Kantons Tessin, der sich wie ein Keil in die Lombardei hineinschiebt. Wenige Jahre nachdem sich die Personenfreizügigkeit mit der Europäischen Union auszuwirken begann, stürzte Italien in eine schwere Krise. Plötzlich sind die Grenzgänger nicht mehr auf die Baubranche und die Industrie beschränkt, es bewerben sich im Tessin heute viele hochqualifizierte arbeitslose Italiener und Italienerinnen - Techniker, Ingenieure, Informatiker, Ökonomen und Juristen -, die bereit sind für Hungerlöhnen zu arbeiten, wobei sie auch Einheimische verdrängen. Der Zorn auf die Grenzgänger ist gewachsen, viel stärker als jener auf die Arbeitgeber, welche die billige Grenzgänger einstellen. Italien und Europa sind zu Feinbildern geworden: Im Tessin ist die Masseneinwanderungsinitiative wuchtig angenommen worden, und auf Begehren der Lega ist der Kredit des Kantons für die Expo in Mailand abgelehnt worden. Weitere Konflikte mit Italien drohen mit dem neu auszuhandelnde Grenzgängerabkommen und auf dem Finanzplatz.
Schlechtreden bringt Stimmen
Italien und die Italiener sind neben andern Ausländern und Asylbewerbern die bevorzugten Prügelknaben der Lega: das bringt offenbar viele Stimmen. Italien ist kein einfacher Nachbar, seine bürokratische Verwaltung verhindert viele Möglichkeiten, welche die bilateralen Abkommen bieten. Doch wird übersehen, dass das Tessin einen guten Teil seines Aufschwungs in der Nachkriegszeit den Italienern zu verdanken hatte. Auch ist es kurzsichtig, wenn die Lega ständig von „Fallitalia“, dem Konkurs-Italien spricht. Die starke, auch illoyale Konkurrenz von hochqualifizierten billigen Arbeitnehmern, wird nämlich erst deutlich nachlassen, wenn es mit Italien wirtschaftlich wieder aufwärts geht.
Den traditionellen Tessiner Parteien wie auch der SP gelang es nicht, den Wählern eine glaubhafte Alternative zur Lega aufzuzeigen; diese konnte trotz vieler grosser, nicht eingehaltener Versprechen am meisten Tessinerinnen und Tessiner für sich gewinnen.
Tessin mit neuem Schwung?
Das Verhältnis zwischen Regierung und Grossem Rat war in den letzten Jahren alles andere als harmonisch, viele Projekte kamen nicht voran. Ob in den nächsten vier Jahren Regierung und Parlament fürs Wohl des Kantons besser zusammenarbeiten werden - wie im Wahlkampf immer wieder beschworen -, wird sich weisen. Erst wenn am Montagabend die Zusammensetzung des Grossen Rates bekannt sein wird, kann sich abzeichnen, wie es weiter gehen wird und ob das Tessin deutlich nach rechts gerutscht ist.