Das Coronavirus wird wohl zu einem grundlegenden Wechsel in der Wirtschaftspolitik führen.
Fiskalpolitik
Die Zentralbanken, welche in den letzten zehn Jahren mit Zinssenkungen und Ausweitung der Geldmenge (quantitative easing) die Weltwirtschaft nach der Finanzkrise 2007/8 über Wasser gehalten und seither unterfüttert haben, verfügen über wenig eigenen Spielraum mehr.
Wenn einmal die medizinische Krise gemeistert, oder doch kontrolliert ist, wird der Staat mit expansiver Fiskalpolitik der durch das Virus verursachten Wirtschaftskrise entgegnen müssen. Direktzahlungen an betroffene Arbeitnehmer, die ja auch Konsumenten sind, ebenso wie an Unternehmen, welchen wegen virusbedingten Ertragsausfällen der Konkurs droht, werden unumgänglich sein.
Defizite
In den Budgets der öffentlichen Hand wird dies tiefe Spuren hinterlassen, Defizite sind vorprogrammiert. Ein erstes Beispiel sind die Ausnahmen, welche „Brüssel“ dem Corona-Krisenland Italien bereits gewährt hat mit Blick auf die EU-Defizitrichtlinien. Angesichts der existentiellen Bedrohung auch der Wirtschaft durch die Seuche wird Nothilfe Vorrang haben vor jeder Art von Budgetdisziplin, seien es EU-Richtlinien oder Verfassungsbestimmungen wie die Schuldenbremse in der Schweiz. Allenfalls könnte solche Nothilfe an Unternehmen an gewisse Bedingungen geknüpft werden.
ESG
Das Kürzel ESG steht für Umwelt (Environment), Soziales (Social), und Unternehmensführung, speziell den Beziehungen zwischen Privatwirtschaft und öffentlichem Sektor (Governance). Für immer mehr Unternehmen und vor allem deren Geldgeber (Funds etc.) ist ESG eine Richtschnur, welche nicht mehr allein das Unternehmen selbst und seine Aktionäre (shareholders) sondern auch die Interessen einer weiteren Öffentlichkeit (stakeholders) in alle Belange der Unternehmenstätigkeit einschliesst. ESG lässt sich leiten von der Überzeugung, dass die Zukunftsprobleme der Menschheit eine Herausforderung an alle Teile der Gesellschaft darstellen, den öffentlichen ebenso wie den privaten Sektor.
Mehr als ein frommer Wunsch
Konkret bedeutet umweltgerechte Unternehmenspolitik nachhaltiges Wachstum, so etwa Produktion mit möglichst wenig fossiler Energiegewinnung. Dass dies mehr als ein frommer Wunsch ist, zeigt die Tatsache, dass die weltgrössten institutionellen Aktionäre zunehmend die traditionellen Energiefirmen aus ihrem Portefeuille streichen.
Eine auf mehr sozialen Ausgleich angelegte Unternehmenspolitik kann dazu beitragen, die seit der Finanzkrise rasch gewachsenen Ungleichheiten zwischen, und vor allem innerhalb nationaler Gesellschaften zu reduzieren.
In seinem zweiten, soeben erschienen Buch über wirtschaftliche Ungleichheiten „Kapital und Ideologie“, sieht der wegweisende Ökonom Thomas Piketty insbesondere höhere Steuern als Mittel, mehr Ausgleich zu schaffen. An vermehrte ESG-Befolgung geknüpfte Staatshilfe wäre ein Beginn, ohne dass Unternehmenssteuern generell erhöht werden müssten. Was im Moment einer solchen Krise ohnehin nicht angezeigt ist.
Geopolitik
Speziell wichtig ist auch der Einbezug des dritten Elementes von ESG. Governance bedeutet heutzutage nicht nur die Beachtung und Befolgung der Gesetze am Ort der Tätigkeit von Unternehmen, sondern generell eine verantwortungsvolle und vorausschauende Unternehmensführung. Dazu gehört die Beachtung des politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Hintergrundes, vor dem sich diese Führung abspielt.
Es zählt auch der Einbezug geopolitischer, neben den betriebswirtschaftlichen, Faktoren, wenn eine generelle Rentabilitätsüberprüfung ansteht. So etwa mit Blick auf die Aufteilung des Bezuges von Rohmaterial und Einzelteilen auf verschiedene Länder und Regionen. Ein aktuelles, negatives Beispiel bildet die einseitige Abstützung der Pharmaindustrie auf Rohstoffe aus China, dem Epizentrum der gegenwärtigen Krise.
„Do not let a good crisis go to waste“, ist hier der treffende Ausspruch, von wem er auch immer stammt. Die Idee dahinter ist die Einsicht, dass der Keim für einen besseren Neuanfang bereits in der Krisenbewältigung enthalten sein muss.