Erstmals erschien das gewichtige Buch 1991. Damals feierten wir 700 Jahre Eidgenossenschaft! Auch die Neuauflage erweckt wieder Neugier. Die Porträts der einzelnen Bundesräte sind seit Gründung des Bundesstaates 1848 chronologisch aufgeführt und folgen alle demselben Schema: Herkunft und politische Laufbahn, Bundesratswahl, Tätigkeit als Bundesrat, Rücktritt und spätere Tätigkeit, Würdigung, zeitgenössische Stimmen, Reden und Schriften, Literaturhinweise, Archiv. Das erleichtert die Lektüre ungemein und regt auch zum reinen Durchblättern an. Nur schon das Besichtigen der Porträtfotografien, mit oder ohne Schnauz, bereitet Vergnügen. Daneben finden sich viele Illustrationen. Sogar Karikaturen aus dem Nebelspalter erheitern die Lesenden.
Und dann, mit Wahl 1984, erscheint die erste Frau im Bundesrat: Elisabeth Kopp. Frauen werden aber schon früher genannt. Frauen im Bundesrat hiess oft Turbulenzen, sei es beim Eintritt, sei es beim Austritt. Das begann, als Lilian Uchtenhagen, die offizielle Kandidatin der Sozialdemokraten, 1983 von der Bundesversammlung nicht gewählt wurde. Sie musste Otto Stich den Vortritt lassen. Neben Jean-Pascal Delamuraz, der zum selben Zeitpunkt gewählt wurde, holte auch die Genfer Ständerätin Monique Bauer-Lagier Stimmen. Im Bundesratslexikon sind die Stimmverhältnisse bei den Wahlen der Magistraten immer in einem eigenen Kästchen ausgewiesen. Das ist ungemein praktisch, wenn man sich einmal darüber informieren will, wieviele Frauen seit 1983 kandidiert haben. Wer im jeweils letzten Wahlgang zehn oder mehr Stimmen erzielte, ist im Lexikon aufgeführt. Ich betone dies deshalb, weil es mich freut, wieviele Frauen in den letzten 25 Jahren versucht haben, die Männerbastion der Landesregierung zu knacken. Auch mein eigenes Abenteuer, meine Kandidatur anlässlich der Wahl der Bundesräte Arnold Koller und Flavio Cotti 1986, ist im Lexikon festgehalten.
Als Mann verkleidet
Frühling 1993 war wieder Zeit für Frauen. Ich war bei dieser Bundesratswahl anwesend und hatte das Gefühl, die Uhr im Nationalratssaal sei während zehn Jahren still gestanden. Wieder wurde eine offizielle sozialdemokratische Kandidatin nicht gewählt, Christiane Brunner. Wieder stand ein von der Bundesversammlung gewählter Mann am Rednerpult, Francis Matthey aus Neuenburg. Aber er verlangte Bedenkzeit und verzichtete dann auf die Wahl. Und die Frauen rührten und wehrten sich. Eine Woche später schaffte Ruth Dreifuss, jetzt offizielle Kandidatin neben Christiane Brunner, die Wahl in die Landesregierung. 1995 wurde Moritz Leuenberger Bundesrat. Während gegen Christiane Brunner in der Öffentlichkeit eine massive Kampagne geritten worden war, galt Moritz Leuenberger als „Hoffnungsträger einer neuen Generation, als Bannerträger einer urbanen Schweiz“. Dabei wiesen die Lebensläufe der beiden im Erwachsenenalter gewisse Ähnlichkeiten auf. Deshalb formulierte ich es in der Folge so: jetzt sei der Mensch, den Christiane Brunner verkörpert habe, doch noch in den Bundesrat eingezogen. Aber er sei als Mann verkleidet!
Es ist naheliegend, dass meine Stichproben im Lexikon vor allem Ereignissen galten, die ich selbst als Nationalrätin von 1983 bis 1999 miterlebt hatte. Damit will ich aber nicht den Eindruck erwecken, als biete das Buch nur in dieser Zeitspanne interessante Lektüre. Nein, aus den Schilderungen der Herkunft, der politischen Laufbahn, der Tätigkeit als Bundesrat aller Mitglieder der Landesregierung seit 1848 ergibt sich eine spannende Erzählung der Geschichte unseres Bundesstaates. Darin eingeschlossen sind auch immer wieder erhellende Einblicke in die Tätigkeit der Parteien der Schweiz. Sehr aufschlussreich fand ich zum Beispiel, wie beim Porträt von Hans Peter Tschudi, 1959 als Bundesrat gewählt, unter dem Abschnitt „Bundesratswahl“ auch noch die Entstehung der „Zauberformel“ abgehandelt wird. Die Regierung wurde damals und in der Folge nach dem Prinzip des freiwilligen Proporzes gebildet. Freisinn, Christlichdemokraten, Sozialdemokraten stellten je zwei, die Schweizerische Volkspartei (damals BGB) ein Mitglied.
Wie war das damals?
Interessiert war ich auch an Friedrich Traugott Wahlen, gewählt 1958, der in meiner Kindheit als „Erfinder der Anbauschlacht“ 1940 eine Rolle gespielt hatte. Er war in der Bundesverwaltung im Sektor kriegswirtschaftliche Notorganisation tätig gewesen. Die Schweiz war durch die Achsenmächte eingekreist. Den „Plan Wahlen“ machte sein Autor 1940 in einer Rede in Zürich öffentlich und stellte, wie Altermatt ausführt, als Beamter „den zögernden Bundesrat bewusst vor vollendete Tatsachen“.
Wir sind eine direkte Demokratie. Politik ist bei uns allgegenwärtig. Politik verbindet sich in der Erinnerung auch immer wieder mit Namen. Bundespolitik mit den Namen von Bundesrätinnen und Bundesräten. Darum bin ich sicher, dass alle Interessierten dieses Lexikon immer wieder zur Hand nehmen werden mit der Frage: Wie war das damals? Und anhand der Namen der handelnden Regierungsmitglieder ihre Erinnerungen an spannende Ereignisse auffrischen werden.
So betrachtet wäre dieses Lexikon für jeden Haushalt in unserem Lande eine Zierde!
Herausgeber des Bundesratslexikons war 1991 und ist auch heute Urs Altermatt, emeritierter Professor für Zeitgeschichte der Universität Freiburg. Dort lehrte er 1980 bis 2010 und war 2003 bis 2007 Rektor.
Urs Altermatt (Hrsg.): Das Bundesratslexikon.
Basel: Libro, Schwabe Verlagsgruppe AG, 2019.
ISBN 978-3-03810-218-2