Diese neue Wahlordnung sieht vor, dass die Kuwaiter pro Wahlkreis nur einen statt wie bisher vier Abgeordnete wählen können. In einem Land, in dem die politischen Parteien verboten sind, ist diese Änderung von Gewicht. Die Wähler konnten bisher vier verbündete Kandidaten wählen (deren Zusammenschluss, nur ein Wahlbündnis, nicht eine Partei), dem politischen Willen ihrer Wähler entsprach.
Mit nur einer Gewinnerstimme pro Wahlbezirk messen sich die Einflussreichsten aller Kandidaten. Damit wird jener bevorzugt, der am meisten persönliches und gesellschaftliches Gewicht besitzt. Dass sind meist die Reichsten oder die Stammesführer. Diese Persönlichkeiten stehen den herrschenden Kreisen, das heisst dem Emir und seiner Familie, nahe. Sie haben wenig Interesse, es mit ihnen zu verderben.
Die Opposition, wie in der ganzen heutigen arabischen Welt eine Mischung von Muslimbrüdern und unbefriedigten Mittel- und Unterschichten sowie unterbeschäftigten Jugendlichen, erklärt das neue Wahlgesetz sei "nicht-konstitutionell".
Das Ringen um Wahlgesetze und Wahlbezirke hat in Kuwait eine lange Tradition, weil die vom Herrscher ernannte Regierung immer wieder zum Mittel des "gerrymandering" greift, um zu vermeiden, dass das gewählte Parlament zu viele oppositionelle Abgeordnete erhält.
Parlamentsauflösungen
Zwei Drittel der Abgeordneten des im Februar dieses Jahres gewählten Parlaments sind der Opposition zuzurechnen. Da es keine Parteien gibt, gehört man in Kuwait zur Opposition, wenn man gegen die Regierung stimmt. Diese wird von Familienmitgliedern des Herrschers geleitet und stützt sich auf deren Anhänger. Die Regierungsmitglieder sitzen Kraft ihres Amtes ebenfalls im Parlament, das aus 50 Deputierten besteht.
Die Gegensätze innerhalb dieses im Februar gewählten Parlamentes waren so gross, dass der Herrscher diese Versammlung im vergangenen Juni auflöste und das vorausgegangene Parlament aus dem Jahr 2011 wiedereinsetzte. Doch auch diese "korrigierte" Versammlung musste nach einer Reihe von politischen Zusammenstössen, Gerichtsentscheiden, Skandalen und Strassenunruhen aufgelöst werden. Der Herrscher sah sich gezwungen, Neuwahlen auszurufen, was er am 20. Oktober tat.
Grossdemonstration der Opposition
Doch am 19. Oktober hatte er das umstrittene Wahlgesetz erlassen, das die Opposition veranlasst hat, die Wahlen zu boykottieren. Um für den Boykott zu werben, führte die Opposition am Vortag der Wahlen eine Demonstration durch, die als eine der grössten in der Geschichte Kuwaits eingeschätzt wurde. Sie war von der Regierung zugelassen und soll gegen 100‘000 Menschen auf die Beine gebracht haben, und dies bei einer Gesamtbevölkerung von gegen 425‘000 Kuwaitern. Was anzeigt: die Frage der Wahlbeteiligung wird entscheidend sein. Wenn sie gering ausfällt, dürfte das neue Parlament wie so viele seiner Vorläufer nicht lange Bestand haben.
Geringe politische Stabilität
In Kuwait kam es zu vorzeitigen Parlamentsauflösungen und Neuwahlen in den Jahren 1992, 1996, 1999, 2003, 2006, 2008, 2009, 2011 und 2012. Seit 2006 hat das kleine aber sehr wohlhabende Land neun Regierungen gehabt. Die meisten von ihnen traten zurück, weil die Parlamentarier von ihrem Recht Gebrauch machen wollten, die Regierungsmitglieder zu befragen, diese jedoch -sobald es sich um Mitglieder des Herrscherhauses handelte - lieber zurücktraten, als sich den scharfen Fragen der Abgeordneten zu stellen.
Herrschervollmachten gegen "volle Demokratie"
Diese Zahlen machen die Krise deutlich, in der sich der Erdöl-Kleinstaat befindet. Sie stellt letzten Endes den Herrscher und seine gesamte Familie den zunehmend wachsenden Oppositionskräften entgegen. Die Opposition drängt auf "volle Demokratie" mit einem Parlament, das die Regierung ernennen könnte. Der Herrscher sucht mit allen Mitteln, seine Vormachtposition zu erhalten. Bisher wurde das Ringen im Parlament ausgetragen. Doch mit dem Boykott der Wahlen durch die Opposition droht sich der Schauplatz auf die Strassen zu verschieben.
Bleibt alleine die Repression?
Wird das dem Herrscher nutzen oder der Opposition? Man kann sich vorstellen, dass kurzfristig der Herrscher sich mit Hilfe seiner Sicherheitskräfte durchsetzen könnte, so wie es dem König von Bahrain mit menschenunwürdigen Methoden zu gelingen scheint. Doch ob sich mit einer Unterdrückung des grössten Teils der Bevölkerung die Golfregime auf Dauer halten können, muss als ungewiss gelten.