Grandi Navi. Grosse Schiffe. Reizwörter, die in Venedig erbitterte Diskussionen auslösen und die Gemüter der Einheimischen erhitzen. Diese „grossen Schiffe“ sind Kreuzfahrtschiffe der neuen Generationen, also riesig. Und die Erbauer der Stadt hätten es sich in ihren schlimmsten Albträumen nicht vorstellen können, dass dereinst solche gigantischen Meeresmonster ihre Stadt durchqueren würden. Denn dafür ist Venedig definitiv nicht gebaut….
Gianni Berengo Gardin ist Fotograf und zwar einer der renommiertesten in Italien. Er ist aber auch Venezianer und insbesondere in den Jahren 2012 bis 2014 hat er die Kreuzfahrtschiffe mit seiner Kamera ins Visier genommen. Berengo ist ein gediegener Herr, 85 Jahre ist er im Oktober gerade alt geworden. Aber sein Blick ist scharf, sein Geist kämpferisch und seine Fotos atemberaubend. Geradezu grotesk sieht es aus, wie diese Riesenschiffe vor San Marco durchfahren. Venedig wirkt nur noch wie eine Spielzeugstadt, während hoch oben an der Reling die Touristenmassen stehen und auf die Stadt hinunterschauen. „Die schönste Hafeneinfahrt der Welt“ nennt sich das in den Kreuzfahrtprospekten.
Ausstellung verboten
Diese Bilder sollten im Herbst im Palazzo Ducale, dem Dogenpalast, gezeigt werden. Neben einer Ausstellung über das Leben in der Lagune während der vergangenen Jahrhunderte. Gemälde, Bücher, Gegenstände erzählen vom Alltag, wie er einmal war: malerisch vor allem in dieser weiten Wasserlandschaft der Lagune und in den Gassen von Venedig. Die Bilder Berengos hingegen hätten einen brutalen Gegensatz dazu gezeigt. „Hätten“, denn diesen Vergleich von gestern und heute hat Luigi Brugnaro, der neue Bürgermeister Venedigs, gerade noch zu verhindern gewusst: er hat die Ausstellung kurzerhand verboten, weil sie das Augenmerk auf einen negativen Aspekt Venedigs wirft. Brugnaro ist erst seit vier Monaten im Amt und hat bereits einigen Wirbel verursacht.
Gianni Berengo Gardin steht jetzt inmitten seiner Ausstellung, die der Bürgermeister im Dogenpalast verhindert hat. Die Firma Olivetti ist nun in die Bresche gesprungen und hat ihren Laden direkt am Markusplatz, also an bester Lage, dafür zur Verfügung gestellt. Eigentlich hätte ihm kaum was Besseres passieren können, sagt Berengo leicht sarkastisch, denn über das Verbot war so viel geschrieben worden, dass das Interesse an seinen Bildern jetzt umso grösser ist. Schon zur Vernissage drängen Medien und interessierte Besucher am vergangenen Wochenende in Scharen in die Ausstellung. Berengo ist es recht, denn er macht sich grosse Sorgen um die Zukunft seiner Stadt angesichts der Schäden, die von den „grandi navi“ verursacht werden. Und das sollen alle sehen.
Natürlich ist Gianni Berengo Gardin nicht allein mit diesen Sorgen. Seit Jahren kämpfen und protestieren verschiedene Bürgerkomitees gegen diese Kreuzfahrtschiffe. Manche wollen sie ganz verbieten, andere die Zahl wenigstens einschränken. Die Regierung in Rom und die Hafengesellschaft Venedig haben schliesslich reagiert und angekündigt, dass die Frequenz der Kreuzfahrtschiffe in Venedig reduziert wird. Das Verwaltungsgericht der Region Veneto hat allerdings einen Strich durch diese Rechnung gemacht. Noch bevor das Verbot in Kraft trat, hiess es kürzlich schon wieder: freie Fahrt für „grandi navi“ in Venedig. Das Gericht begründet seinen Schritt damit, dass es für den Schiffsverkehr derzeit keine Alternative gäbe.
„all inclusive“ – die Schäden auch
Donna Leon, Krimiautorin und seit Jahrzehnten schon in Venedig ansässig, ärgert sich ebenfalls über diese Schiffe. „Das Problem ist, dass Kreuzfahrtschiffe überhaupt hierher kommen. Sie sind höher als jedes Gebäude in Venedig. Sie verdrängen viel Wasser und es heisst, jedes von ihnen produziert täglich so viel Abgas wie 14‘000 Autos.“ Bei der Durchfahrt durch den Canale della Giudecca vor San Marco werden die Fundamente durch den Wellenschlag beschädigt, einmal wurde sogar eine provisorische Holzbrücke gerammt. Und wenn die Schiffe im Hafen liegen, produzieren sie ihren Strom mit Schweröl selbst, was Unmengen von Abgas verursacht. Ausserdem kommen tagsüber rund 4000 Passagiere pro Schiff in die Stadt, drängen sich durch die eh‘ schon engen Gassen, lassen aber kaum einen Euro liegen, da sie „all inclusive“ für all ihre Mahlzeiten auf dem Schiff bezahlt haben und natürlich auch dort übernachten. Allenfalls kaufen sie vielleicht ein kleines Venedig-Souvenir aus Glas, „made in China“, und knipsen noch das obligate Selfie auf dem Markusplatz. Venedig als Disneyland oder Vergnügungspark.
„Und was passiert mit Venedig, wenn eines der Schiffe die Quai-Mauer rammt?“ Der Gedanke an die Costa Concordia, quält Donna Leon bei jedem dieser Kreuzfahrt-Riesen. „Was passiert mit dem Dogenpalast? Der Bibliothek? Was passiert mit San Marco?“
Genau diese Fragen stellt sich auch Gianni Berengo Gardin. Er stellt sie in Form von Fotos, die auf beklemmende Art faszinieren. Die zu denken geben und vielleicht ein Anstoss sind, Venedig vom Kreuzfahrt-Wahnsinn der „grandi navi“ zu befreien.
Venezia e le grandi navi
Venedig, Negozio Olivetti
Piazza San Marco 101
Die Ausstellung dauert bis zum 6. Januar 2016