Sie scheitern, obwohl die Bevölkerung mehr Gerechtigkeit will. Darüber diskutiert Tim Guldimann mit Dietmar Bartsch und Sarah Lee Heinrich.
Dietmar Bartsch, der ehemalige Fraktionsvorsitzende der Partei Die LINKE, sieht «vor allem die grosse Gefahr, nachdem wir 16 Jahre lang eine Regierung unter Angela Merkel hatten und es danach eine grosse Hoffnung gab, (… dass ) jetzt die Enttäuschung durch die Politik der Ampel so gross wird, dass wir den eigentlichen Ruck in der Gesellschaft nach rechts erst haben werden. (…) Die Tatsache, dass die Agenda 2010 letztlich von einem sozialdemokratischen Kanzler durchgesetzt worden ist, (auch) das wirkt nach, und dass heute eine Kindergrundsicherung nicht gemacht wird, dass der Wohnungsbau nicht funktioniert, das nutzen die andern natürlich. (…) Es gibt inzwischen immer mehr Leute, die abgeschlossen haben, die damit nichts zu tun haben wollen, gar nichts mehr, weil Politik für sie unglaubwürdig ist. (…) Und da gibt es natürlich auch Ursachen, die bei uns liegen (…) Eine starke Rechte ist das Versagen der Linken. (…) Eine Ursache ist sicherlich die, dass wir ja über lange Zeit eine lähmende Selbstbeschäftigung in der Linken hatten».
Sarah Lee Heinrich, bis vor kurzem Sprecherin der Grünen Jugend, war «hautnah dran, wie die Ampel zustande gekommen ist (…), wie Stück für Stück alles Progressive oder Fortschrittliche, was sich die Ampel vorgenommen hatte, entweder nicht umgesetzt wurde, weil kein Geld da war, oder nicht mehr umgesetzt werde konnten, weil die gesellschaftliche Mehrheit am Bröckeln war im Rahmen des Rechtsrucks, (… weil) sich die Ampel entschieden hat, die soziale Frage von Anfang an auszuklammern (…). Ich finde es total frustrierend, mir anzuschauen, wie Ampelpolitiker sagen: ‘Boah-puh, wir müssen jetzt hier für die Demokratie einstehen, während ich ihnen unterstellen würde, dass mit der Politik, die sie betreiben, sie den Nährboden dafür schaffen, dass es die Rechten gerade so einfach haben».
Bartsch «Mir scheint, dass der furchtbare Angriffskrieg Putins dann als Begründung genommen wurde, dass dann im Glauben, dass der Mainstream ein anderer ist, Politik verändert wurde. Und das haben dann eigentlich alle mitgemacht. Und das eigentliche Problem ist dann, (…) dass diejenigen, die dann im Regierungshandeln sind, eigentlich alles mittragen. (…) Wenn du harte fortschrittliche Politik machst (…), dann wirst du nicht mehr wiedergewählt. (…) Natürlich haben die Schwächeren keine Lobbies (… z. B.) das Thema Kinderarmut (…), die Lobby dort ist nicht so sehr gross.»
Dem hält Heinrich entgegen: «Wir Linken können doch vor der Tatsache, dass es gerade keine Lobby gibt, auch nicht kapitulieren, sondern wir müssen dafür sorgen, dass es sie dann gibt (…) und ich glaube schon, dass es den Grünen und der SPD gut ins Gesicht gestanden hätte, bevor der letzte Haushalt beschlossen wurde und die Entscheidung war, Kürzung oder Schuldenbremse, (…) ich glaube vielleicht schon, dass das zum Beispiel mit Gewerkschaften im Rücken eskalierbar gewesen wäre.»
«Das, was ich wichtig finde», so Heinrich weiter, «ist eigentlich, bei der kleinsten Einheit die man hat, anzufangen, nämlich ganz konkret vor Ort, und vor Ort erstmal wieder zu schaffen, als Linke Fuss und Vertrauen in der eigenen Umgebung (…) zu fassen. (…) Gute Freunde in Österreich, nämlich die KPÖ, (…) haben es geschafft, in ärmeren Bezirken (…) richtig hohe Zustimmungswerte für linke Politik zu erzielen, (…) weil sie Leuten jahrelang gezeigt haben, wir sind nicht nur für euch da, wir setzen uns auch gemeinsam mit euch für eure Interessen ein, wenn dieser Vermieter versucht, euch rauszuwerfen, dann werden wir gemeinsam dagegen vorgehen, da gibt es so 'ne Vertrauensbildung. (…) ganz praktisch, täglich, wöchentlich miteinander zu arbeiten und gemeinsam positive Erfahrungen zu sammeln.»
Journal21 publiziert diesen Beitrag in Zusammenarbeit mit dem Podcast-Projekt «Debatte zu dritt» von Tim Guldimann.