Der chinesische Präsident Xi Jinping befindet sich innenpolitisch in einer schwierigen Phase. Die Wirtschaft verlangsamt sich, seine Antikorruptionskampagne sorgt für beträchtliche Unruhe im allmächtigen chinesischen Macht- und Beamtenapparat.
Vom globalen Teil seines Programms zur Erfüllung des ‘chinesischen Traums erwarten die Chinesen schnelle Resultate. Dabei geht es um die Militarisierung des südchinesischen Meeres, die zweispurige Wirtschafts- und Strategiestrasse Asien-Europa ‘New Silk Road/Belt’, autoritären Kapitalismus als Grundprinzip für Afrika und andere Schwellenländer. Umso wichtiger ist es für Xi, zu Hause als Staatsmann zu erscheinen, welchem auch (einstige) Grossmächte im Westen jene Referenz erweisen, welche dem Chef einer der zwei globalen Supermächte zusteht.
Mehr Pomp geht nicht
Dem ist David Cameron anlässlich eines kürzlichen Besuches von Xi in Grossbritannien entgegengekommen. Mehr Pomp (einen noch breiteren Protokollteppich kann auch das traditionsreiche United Kingdom nicht ausrollen als dies für Xi geschah), mit verschiedenen königlichen Kontakten, einer Rede vor dem Parlament sowie den obligaten Kutschenfahrten durch das Herz von London. Dort, wo noch vor rund 100 Jahren über Wohl und Weh weiter Teile der Welt entschieden worden ist - eingeschlossen der britischen Beteiligung an der Niederschlagung des sogenannten Boxeraufstandes, der jüngsten und schmerzlichsten Erniedrigung des Reiches der Mitte durch den Westen.
Im Zentrum des reichen Wirtschaftsfuders, das London dadurch einzufahren hofft, steht unter anderen ein Grossauftrag für Nuklearkraftwerke, welche ein chinesisch-französisches Konsortium auf der Insel bauen soll, dies zur langfristigen Entlastung der kommerziellen britischen Energiebilanz. Ausgerechnet in diesem auch sicherheitspolitisch heiklen Bereich - ganz zu schweigen von der Umweltpolitik -, wird Beijing damit ein Logenplatz in einem der drei wichtigsten EU-Länder eingeräumt, zusätzlich gepolstert mit einem namhaften offiziellen Baukredit.
Eindeutige Zweideutigkeit
Hauptsorge sicherheitspolitischer Experten ist dabei die ganz andere chinesische Sicherheitskultur im Umgang mit industriellen Gefahren, wie sie bei der kürzlichen Katastrophe von Tianjin zu Tage trat. Bei diesem verheerenden Chemieunglück im Zentrum des modernsten Vorzeige-Industriegürtels des Landes, stand ja nicht nur direkte Korruption im Vordergrund (in England doch wohl weniger wahrscheinlich als in China), sondern auch ein völlig andere, nämlich streng hierarchische Philosophie bei Prävention und Bekämpfung solcher Katastrophen.
Nicht dass die Vorzugsbehandlung von Xi durch die Regierung Cameron in Grossbritannien selbst nicht auf Kritik gestossen wäre. Camerons präsumptiver Nachfolger, Schatzkanzler Osborne, steht dabei als Motor von Wirtschaftsexpansion um jeden Preis im Mittelpunkt. Der konservative Vorsitzende (Speaker) des Unterhauses empfing den chinesischen Gast in Westminster mit Worten eindeutiger Zweideutigkeit, ungeachtet seines natürlich ebenfalls anwesenden Chefs Cameron. Auch der grüne Kronprinz Charles liess mit einer protokollarischen Geste durchblicken, dass er ‘not amused’ sei. Ganz zu schweigen von sehr klaren Kommentaren in englischsprachigen Medien, so nicht nur im linksliberalen Guardian, sondern auch in der internationalen Wirtschaftsbibel Financial Times und seiner politischen Entsprechung, der International New York Times.
Bückling
‘Kow-towing’ wird dieses offizielle englische Verhalten gegenüber Xi mit einem chinesisch-englischen Ausdruck genannt, was auf Deutsch zum lautmalerischen Kotau geworden ist. Diesen hat die durch Staatsmedien umfangreich dokumentierte chinesische Öffentlichkeit zweifelsohne zur Kenntnis genommen. Ob dieser Bückling in Form zahlreicher Vorausleistungen von Cameron sich in Zukunft in klingender Exportmünze auszahlen wird, ist fraglich.
Im allgemeinen Expertenverständnis gilt es als ausgemacht, dass Beijing Unterwerfung, hier unter den absoluten Wirtschaftsvorrang, als selbstverständlich annimmt und sich nur durch ruhige Beharrlichkeit beindrucken lässt. Solche beherrscht bekanntlich Angela Merkel wie kaum eine andere internationale staatsmännische Persönlichkeit.
Merkels moralisch aufrechter Gang
Sie weilte eben mit einer umfangreichen Wirtschaftsdelegation für zwei Tage in China und reiste dabei zusammen mit dem chinesischen Ministerpräsidenten - ihrem protokollarischen Gegenüber – in die Provinz Hefei. Eine Anerkennungsgeste gegenüber einer europäischen Spitzenpolitikerin, welche sowohl für Wirtschaftspragmatismus als auch moralisch aufrechten Gang bekannt ist. Als ausgesprochen realpolitisch handelnde Aussenpolitiker wissen die Chinesen, dass mit Blick auf Europa und den dort für China wartenden Hauptpreis eines Freihandelsvertrages mit der EU kein Weg an Berlin vorbeiführt. Schon gar nicht ein Weg über London, wo sich Cameron in einen ausweglosen Flirt mit Brexit, dem europäischen Alleingang des UK verheddert hat.
Der Umgang mit autoritären Regimen muss behutsam und gesamtheitlich geführt werden. Handelt es sich gar um die autoritär geführte Supermacht China, ist gemeinsames Vorgehen unter Gleichgesinnten unabdingbar. Auch nach Abschluss eines bilateralen Freihandelsabkommens mit China gilt dies ebenfalls für die Schweiz.