Er war, nach dem Abgang aus der Armee, sogar als Präsidentschaftskandidat der Republikaner im Gespräch. Daraus dürfte nun nichts mehr werden. Der frühere Vier-Sterne-General, von Barack Obama zum CIA-Direktor wohl mehr weggelobt als wirklich befördert, hat wegen - wie er es nennt - „unakzeptablen Benehmens“ seinen Rücktritt eingereicht.
"Jemand schaut immer zu"
Als David Petraeus noch Truppen befehligte, im Irak oder in Afghanistan, pflegte er seine Untergebenen zu ermahnen, nicht nur gute Taktiker und Strategen, sondern in erster Linie Vorbilder zu sein. Dem General zufolge hiess das, das Richtige zu tun, auch wenn niemand zugegen war: „Jemand schaut immer zu.“
Doch der 60-Jährige selbst, seit 15 Monaten als CIA-Chef im Amt, hat als Zivilist seinen eigenen Rat missachtet und sich wenig heldenhaft bei einer ausserehelichen Affäre erwischen lassen. Was für einen Offizier der US-Armee strafbar, für einen Geheimdienstler, vor allem wenn er die Beziehung nicht meldet, zumindest ein Verstoss gegen Sicherheitsregeln ist.
Die schmeichelnde Biographin
„Solches Benehmen“, schrieb denn David Petraeus Ende Woche den Mitarbeitern der CIA, „ist unannehmbar, sowohl als Ehemann als auch als Vorgesetzter einer Organisation wie der Ihren.“ Er habe, räumte er ein, „ausserordentlich schlechtes Urteilsvermögen“ bewiesen. Der Präsident habe seinen Rücktritt „gnädig“ angenommen.
Ironisch ist der Umstand, dass ausgerechnet das FBI, der grosse Rivale der CIA, Ex-General Petraeus auf die Schliche kam. Wobei die amerikanische Bundespolizei nicht von sich aus gegen den CIA-Direktor zu ermitteln begann, sondern von einer noch unbekannten Frau aus dessen Umfeld benachrichtigt wurde. Sie habe, sagte die Informantin, von einer anderen Frau, die Petraeus ebenfalls kannte, Drohmails erhalten.
Das FBI folgte der Spur der Mails und sie führte zu Paula Broadwell, einer 40-jährigen Akademikerin und Majorin der Reserve. Broadwell hat Anfang dieses Jahres eine äusserst schmeichelhafte Biografie des Generals publiziert und erfreute sich während der Recherchen eines für eine Aussenstehende ungewöhnlichen Zugangs zu ihm.
Unstillbarer Ehrgeiz
Die Absolventin der US-Militärakademie Westpoint und Fitnessfanatikerin begleitete Petraeus auch wiederholt beim Joggen und soll ihn dabei, als einstige Triathletin, mit ihrer Ausdauer beeindruckt haben. Die beiden kamen sich näher, und was sie verband, war ein fast unstillbarer Ehrgeiz, der Wille, es allen andern zu zeigen. Beide waren sie, was die Amerikaner „overachievers“ nennen.
David Petraeus hatte im Militär eine 37-jährige Bilderbuchlaufbahn hinter sich und war, dank raschem Auffassungsvermögen und grosser Intelligenz, unaufhaltsam Stufe um Stufe die Karriereleiter emporgestiegen. Bekannt wurde er zu Hause in den Nuller-Jahren nach zwei Einsätzen im Irak - als Kommandant der legendären 101. Luftlandedivision und oberster Ausbilder von Armee und Polizei - als Autor eines viel beachteten Handbuchs zur Aufstandsbekämpfung.
Das Manual fand auch im Weissen Haus grosse Beachtung, und George W. Bush entsandte Petraeus, mit einem vierten Stern, ein drittes Mal an die Front, um ihn im Irak mit Hilfe von Truppenverstärkungen („surge“) seine Strategie der „counterinsurgency“ umsetzen zu lassen. Später löste der General Stanley A. McChrystal als Oberkommandierenden in Afghanistan ab.
"König David"
In Kabul schwor David Petraues, von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, seiner früheren Strategie der Aufstandsbekämpfung ab und begann in erster Linie auf Einsätze von Sondereinheiten wie den Navy Seals (die später Osama bin Laden töten sollten) und auf Luftangriffe mittels Drohnen zu setzen, ein Vorgehen, das die USA am Hindukusch wachsender Kritik zum Trotz noch heute verfolgen.
Lediglich die höchste Stufe der Karriereleiter, der Posten des obersten Generalstabschefs der US-Streitkräfte, blieb David Petraeus verwehrt, angeblich weil Präsident Barack Obama fürchtete, der General könnte noch populärer und ihm politisch gefährlich werden. Wobei sich Petraeus aber auch in der Armee seines ungezügelten Ehrgeizes und seines cleveren Taktierens wegen nicht nur Freunde gemacht hatte. Seine Kritiker nannten ihn „König David“.
Grossartig oder unglaublich grossartig?
So war denn der Posten des CIA-Chefs für Petraeus eine Art Trostpreis, den er dem Vernehmen nach eher widerwillig entgegennahm. Aber er fand daran im Laufe der Zeit zunehmend Gefallen. Dabei fiel es ihm nicht leicht, als Geheimdienstchef nicht mehr im Rampenlicht der Öffentlichkeit zu stehen und von Medien oder Prominenz umworben zu werden. Auch die egalitäre Kultur innerhalb der CIA soll ihm, der als Offizier nur strikte Hierarchien kannte, zuerst Probleme bereitet haben.
Dagegen schmeichelte ihm offenbar, dass eine attraktive, fitte 40-Jährige, obwohl verheiratet und Mutter zweier Kinder, sich so vorbehaltlos für ihn interessierte und begeisterte. Bezüglich ihrer Biografie „All In: The Education of General David Petraeus“ hatte Satiriker Jon Stewart im Januar in der „Daily Show“ die Frau maliziös gefragt: „Ist er (Petraeus) schlicht grossartig oder ist er unglaublich grossartig?“
Landesweit grassierende Doppelmoral
Auf jeden Fall wunderten sich Untergebene des Generals, dass er seine Erinnerungen nicht einem renommierten Militärhistoriker, sondern einer eher unerfahrenen Autorin ohne journalistischen Hintergrund anvertraute. Zudem sollen Broadwells Auftritte in Afghanistan, in eng anliegenden Blusen und Hosen, angesichts lokaler Empfindlichkeiten zu Beschwerden geführt haben. Doch eine Affäre zwischen Petraeus und seiner Biografin vermutete in seinem Stab angeblich niemand.
Währenddessen streiten sich in Washington DC Experten, ob der Rücktritt eines so fähigen Mannes wie David Petraeus tatsächlich nötig war, oder ob der nicht einfach ein weiteres Indiz für die landesweit grassierende Doppelmoral ist. Einzelne erinnerten daran, dass etliche Amtsinhaber im Weissen Haus wie John F. Kennedy, Lyndon B. Johnson oder Bill Clinton folgenlos fremdgegangen seien oder dass der legendäre CIA-Chef Allen Dulles in den 50er-Jahren alles andere als ein Kostverächter gewesen sei.
Kein Sicherheitsrisiko
Doch Fremdgehen galt zumindest vor Bill Clinton und Monica Lewinsky noch als Gentlemen‘s Delikt und nicht als nationales Sicherheitsrisiko. Und auch der Herrenclub der Medien, obwohl nicht im Dunkeln, zog es vor, zu schweigen. Ein Unterschied zu heute: Es gab noch kein Internet und keine Blogger und folglich keine Möglichkeit, die Mainstream-Medien (MSM) zu umgehen oder E-Mail-Konten zu hacken.
Zwar dürfte das private Gmail-Konto von David Petraeus, über das er sich mit Paula Broadwell austauschte, keine sensiblen Daten enthalten haben. Das für Spionageabwehr zuständige FBI fürchtete aber, dass ein ausländischer Geheimdienst, zum Beispiel jener Chinas, versuchen könnte, Zugang zu relevanten Informationen oder gar zu Geheimdaten zu erhalten, falls die Sicherheit von Petraeus‘ Konto gefährdet oder bereits gebrochen war. Zum Beispiel dann, falls er Broadwell, via Passwort, den Rückgriff auf sein Konto erlaubt hatte.
Der Mann ohne Hobbys
David Petraeus, schreibt die „New York Times“, habe während seiner Laufbahn „als praktisch unzerstörbar“ gegolten, als Stehaufmann erster Güte. 1991 schoss ihm ein Soldat unabsichtlich in die Brust, als er während eines Manövers plötzlich stolperte. Der Offizier überlebte. Im Jahr 2000 brach er sich bei einem Sprung das Becken, als sein Fallschirm 20 Meter über dem Boden unerwartet kollabierte. Der General genas. Er erkrankte an Prostatakrebs. Petraeus besiegte die Krankheit.
Jetzt aber hat ihm etwas Banales, was seine Geliebte unter anderem in einem Mail als „Manöver unter dem Pult“ beschrieben haben soll, zumindest vorläufig Job und Ruf gekostet. „Er wird sterben, wenn er in Pension gehen muss“, hat Paula Broadwell vor Bekanntwerden der Affäre mit David Petraeus in einem TV-Interview gesagt: „Er hat keine Hobbies ausser Joggen und Fitness.“