Die politische Karriere von Silvio Berlusconi, der das Land zwanzig Jahre lang dominierte, ist möglicherweise vorbei. Der Präsident der rechtsstehenden „Forza Italia“-Partei erlitt in der Nacht vom letzten Samstag auf Sonntag eine schwere Herzrhythmusstörung. Doch Berlusconi, der ewige Stehauf-Mann, rappelte sich auf. Mit seiner Freundin Francesca Pascale taucht er am Sonntag im Wahllokal auf. Bilder zeigen ihn scherzend, während seine Freundin die Stimme abgibt.
„Berlusconi riskierte zu sterben“, erklärte Alberto Zangrillo, sein persönlicher Arzt vor den Medien. „Der vierfache Ministerpräsident „befand sich in besorgniserregendem Zustand, doch er war sich dessen nicht bewusst“. Die Diagnose spricht von einem „schweren Grad einer Aorta-Insuffizienz“. Während einer vierstündigen Operation im Mailänder San Raffaele-Spital soll Mitte nächster Woche eine Herzklappe ersetzt werden.
Müde seit Tagen
Das Risiko, dass er während der schwierigen Operation stirbt, liege bei zwei Prozent, erklärte der Arzt, doch da er sich in ausgezeichneten Händen befinde, erwäge niemand nur im Geringsten diese Möglichkeit.
Seine Freunde erklärten, Berlusconi habe seit Tagen müde gewirkt. Sie erklärten sich das mit dem anstrengenden Wahlkampf der letzten Wochen. „Berlusconi ersparte sich nichts“, sagte Zangrillo. „Er wollte zunächst am Sonntag seiner Pflicht als Stimmbürger nachkommen“.
"Capito?"
„Ich empfehle ihm, mit der Politik aufzuhören“, erklärte sein Arzt, „doch nach einem Monat ist er wieder hergestellt, und dann kann er tun, was er will“. Auch Marina Berlusconi, seine Tochter, sagt: „Papa soll nicht mehr auf einer politischen Bühne auftreten.“ Und: „Niemand erwartet von ihm, dass er noch Politik macht, capito?“
Am Krankenbett im Spital sind nur seine engsten Familienangehörigen zugelassen. Bereits kam es zu einem kleinen Zwischenfall. Denis Verdini, sein früherer Weggefährte, der sich von ihm losgesagt und eine eigene parlamentarische Gruppe gegründet hatte, wollte ihn besuchen. Er, der Abgefallene, wurde demonstrativ abgewiesen.
Noch zehn Prozent
Berlusconis Herzschwäche kommt zu einem Zeitpunkt, in dem ihm politisch die Felle davonschwimmen. Seine Forza Italia-Partei ist nicht nur zerstritten, sondern dabei, sich aufzureiben. Das Alphatier Berlusconi hat es verpasst, einen Nachfolger aufzubauen, was sich jetzt rächt. In den Meinungsumfragen sackt nicht nur seine Partei, sondern auch er selbst ab.
Laut dem Institut Demopolis kommt Forza Italia landesweit noch auf 10 Prozent der Stimmen. Damit rutscht die Partei – nach den Sozialdemokraten, den „Cinque stelle“ und der Lega Nord - auf den vierten Platz ab.
Plötzlich ohne Führung
Zudem scheint Berlusconi sein berühmt-berüchtigtes politisches Gespür abhanden gekommen zu sein. Bei den Bürgermeisterwahlen in Rom am letzten Sonntag setzte er auf einen Aussenseiterkandidaten. So splittete er das rechte Stimmenpotential auf. Folge war, dass kein rechtsgerichteter Kandidat in die Stichwahl am 19. Juni kommt. In Rom kam die einst dominierende Forza Italia noch auf fünf Prozent der Stimmen. Auch in Turin und Neapel schaffte es kein Mitte-Rechts-Kandidat in die Stichwahl.
Viele alte Freunde haben sich von Berlusconi losgesagt und sehen keine Zukunft mehr mit ihm. Und jetzt Berlusconi im Spitalbett: Plötzlich steht Forza Italia ganz ohne Führung da.
Neue Partei? Neuer Name? Neue Führung?
Die Partei hat nun für September einen Parteikongress einberufen, um über eine neue Führung zu bestimmen. Ziel ist es, eine neue Partei mit neuem Namen zu gründen. In ihr sollen auch wieder kleinere Parteien aufgehen, die sich von der Mutterpartei gelöst hatten.
Schon jetzt wird spekuliert, wer der neue Leader sein könnte. Marina Berlusconi, seine Tochter? Stefano Parisi, der es am letzten Sonntag in Mailand in die Stichwahl am 19. Juni geschafft hat? Der konservative Raffaelle Fitto oder Denis Verdini? Oder die einstige Bildungsministerin Mariastella Gelmini? Oder die schöne Mara Carfagna, die Berlusconi heiraten wollte, „wenn ich nicht schon verheiratet wäre“. Diese Avance ging Berlusconis Frau Veronica Lario derart auf die Nerven, dass sie die Scheidung einreichte.
Salvini, rechtspopulistisch, fremdenfeindlich
Die meisten dieser möglichen Bewerber gehören der alten, verbrauchten Garde an. Nicht so Matteo Salvini, der rechtspopulistisch-fremdenfeindliche Parteisekretär der Lega Nord. Er macht Berlusconi unverhohlen die Führung des Rechtslagers streitig. Viele rechte Wähler sehen in Salvini die einzige Alternative zu Berlusconi.
Salvini hat sich immer wieder mit wüsten rassistischen Aussagen bemerkbar gemacht. Er gilt als islamophober Scharfmacher mit Sympathien für Marine Le Pen. Der frühere Staatspräsident Giorgio Napolitano rief ihn einmal dazu auf, den Mund zu halten. Bei aller Kritik an Berlusconi: rassistische Ausfälle sind von ihm nicht bekannt.
Und wieder: "Ruby"
Berlusconi droht auch weiteres Ungemach. In der Affäre um die junge Marokkanerin „Ruby“ (Karima al-Mahroug) lässt die Staatsanwaltschaft nicht locker. Berlusconi war vorgeworfen worden, ein sexuelles Verhältnis mit der damals minderjährigen Ruby unterhalten zu haben. Vor gut einem Jahr entschied das Kassationsgericht, es könne Berlusconi nicht nachgewiesen werden, von der Minderjährigkeit Rubys gewusst zu haben. Deshalb wurde er freigesprochen. Jetzt allerdings wird Berlusconi „Bestechung von Zeugen“ vorgeworfen. Er habe Ruby und anderen jungen Frauen Millionen bezahlt, um sie zu falschen Aussagen zu bewegen.
Symbolisiert wird der Niedergang Berlusconis durch den Niedergang seines Fussballklubs, des AC Milan. Der einstige Erfolgsklub dümpelt heute zwischen Rang sieben und elf dahin. Jetzt will Berlusconi sein gehätscheltes und viele Millionen schweres Fussballkind verkaufen. Verhandlungen mit dem thailändischen Investor Bee Taechaubol brachten offenbar nichts. Jetzt sollen Gespräche mit chinesischen Investoren stattfinden.
Keine Alternative zu Renzi
Für Ministerpräsident Matteo Renzi würde ein Rückzug seines einstigen Erzfeindes nichts ändern. Allerdings hat Renzi bei den jüngsten Gemeindewahlen einige kleinere Rückschläge hinnehmen müssen. Doch er ist nach wie vor ein Draufgänger. Meldungen, wonach er Ermüdungserscheinungen zeige, entspringen wohl eher dem Wunschdenken seiner Gegner.
Zwar befindet sich die Protestpartei „Cinque Stelle“ des Komikers Beppe Grillo im Aufwind. Doch sobald die Fünf Sterne Regierungsämter übernehmen werden und Resultate vorweisen müssen, werden auch sie wohl Federn lassen. Jüngste Meinungsumfragen zeigen bereits wieder kleinere Rückschläge für die Grillo-Bewegung. Während in Europa die Sozialdemokraten zurzeit einen schweren Stand haben: in Italien gibt es zum Sozialdemokraten Renzi im Moment keine Alternative.