Er ist überglücklich und zeigt es auch: Martin James Bartlett, ein junger Pianist, der hier im prächtigen Park der ebenso prächtigen Villa Serdang bei Solothurn als Erster den neu geschaffenen «Prix Serdang» entgegennehmen kann – und auch die damit verbundenen 50’000 CHF.
Da Geben ebenso beglückend ist wie Nehmen, strahlen die Übrigen am «Prix Serdang» Beteiligten genauso. Und das sind Adrian Flury, der Initiant des Preises, Rudolf Buchbinder, Pianist und Kurator des «Prix Serdang», und Thomas Pfiffner von der Orpheum Stiftung zur Förderung junger Musiker. Alle drei zusammen bilden die Jury und die zeigt sich äusserst zufrieden mit ihrem ersten Preisträger.
Karriere mit hohen Anforderungen
Wie es zu dieser neuen Auszeichnung gekommen ist, erzählt Adrian Flury auf der Bank im Schatten eines grossen Baumes in seinem Park. «Das geht auf die Zeit der Pandemie zurück. Thomas Pfiffner und ich wollten etwas tun für Künstler. Zuerst hatten wir an einen Wettbewerb gedacht, aber eine Momentaufnahme sollte es nicht sein, sondern wir wollten einem jungen Menschen, der es in der Musik schon zu einem gewissen Erfolg gebracht hat, den Weg nach ganz oben in der Pianisten-Hierarchie ebnen.» Schliesslich ist es nicht ganz einfach, sich gegen die grosse Konkurrenz durchzusetzen. «Dabei spielen auch ganz elementare menschliche Faktoren eine Rolle», sagt Pfiffner. «Die Person muss eine ausgeglichene Psyche haben und auch physisch sehr stabil sein. Man muss sich zu Beginn einer Karriere genau überlegen, ob man die Reisetätigkeit mit seinen privaten Bedürfnissen unter einen Hut bringen kann. Das ist nicht so einfach, gerade auch ein Familienleben ist mitunter fast unmöglich. Das sind sehr wichtige Faktoren. Dazu gehört eine Vielseitigkeit im Repertoire und die Fähigkeit, auf sehr hohem Niveau zu arbeiten, Fexibilität, und immer auch Selbstkritik, Selbstreflexion und dass man möglichst wenig Fehler beim Spiel macht.» Die Voraussetzungen, für diese neue Auszeichnung überhaupt in Frage zu kommen, sind also ziemlich hoch.
Förderung ohne Wettbewerb
«Der ‘Prix Serdang’ sollte eine Mischung aus Anerkennung und Förderpreis sein», ergänzt Thomas Pfiffner. «Wir wollen jemanden auszeichnen, der aus der Sicht Rudolf Buchbinders das umfassende Potential für eine nachhaltige Karriere mitbringt. Und das ist deutlich mehr als nur die musikalische Fähigkeit, die in einem Wettbewerb gemessen werden kann. Dazu gehören andere Faktoren, die man im Gespräch mit Kollegen entdeckt und in Einschätzungen, die man sich über Monate hinweg einholt. Ich finde, das ist ein interessanter Weg.»
Dieser Meinung ist auch Rudolf Buchbinder, einer der grossen Pianisten unserer Zeit. «Die Idee ist phantastisch, jemanden ohne Wettbewerb auszuzeichnen. Ich war ein einziges Mal bei einem Wettbewerb in der Jury … aber nie wieder! Egal ob jemand gut oder schlecht ist, es wird geschoben, das ist das Problem. Was glauben Sie, was ich da erlebt habe …» Rudolf Buchbinder verdreht vielsagend die Augen. Für den «Prix Serdang» hat er hingegen gern als Kurator zugesagt und eine kleine Auswahl junger Pianisten zusammengestellt. Die Wahl der Gesamtjury fiel schliesslich klar und eindeutig auf den Engländer Martin James Bartlett. «Bei ihm stimmt ziemlich alles», sagt Buchbinder und zählt auf: «Seine Ausstrahlung und sein stilistischer Instinkt in allen Bereichen von Barockmusik bis Ravel, seine wunderbare Technik … er ist sehr musikalisch und auf der Bühne ist er eine gute Erscheinung. Ich bin begeistert von Martin.»
Kein Nerd mit Scheuklappen
Auch Thomas Pfiffner ist überzeigt davon, dass Martin James Bartlett mit sehr vielem überzeugt. «Da ist in erster Linie eine Ernsthaftigkeit und Bodenständigkeit. Er hat Charakterzüge, die darauf schliessen lassen, dass er nicht einfach ein Nerd ist mit Scheuklappen, bei dem das Leben nur auf die Klaviertasten fokussiert stattfindet. Er ist ein humorvoller Mensch, ein offener, der auch zuhören kann und neugierig ist auf den Musikmarkt, in dem er sich baldmöglichst gut bewegen will. Musikalisch hat er eine grosse Bandbreite anzubieten; er besitzt Originalität in der Programmgestaltung und nimmt auch Stücke auf, die im Moment gerade en vogue sind, und mischt das in seinem Sinne auf und geht damit auch gewisse Risiken ein. Er hat sehr viele Ingredienzen, bei denen ich das Gefühl habe, dass sie für einen eigenen Stil und für eine Karriere nützlich sind.»
Von klein auf am Klavier
Und der Preisträger selbst? «Ich bin ganz aus dem Häuschen ...» jubelt Martin Bartlett. «Ich kann’s noch gar nicht fassen ...!» Und er strahlt übers ganze Gesicht. «Ich fühle mich natürlich sehr geehrt, zumal ich immer schon zu Rudolf Buchbinder als Pianist hinaufgeschaut habe. Er ist eine Institution, eine Legende! Dass er nun mich ausgewählt hat … dass ihm mein Spiel gefällt, ach, das ist einfach wunderbar.» Man glaubt ihm seine Begeisterung, Überraschung und Dankbarkeit, dann fährt er fort: «Ich habe Buchbinders Art Klavier zu spielen immer schon geliebt. Er ist zutiefst klassisch in seinen Interpretationen, sehr elegant, aber wenn das Stück es zulässt, bringt er auch immer Spass, Freude und die Ausgelassenheit der Musik ins Spiel und das finde ich grossartig.» Als junger Musiker sieht Martin Bartlett Buchbinder keineswegs als «den Alten» im Vergleich zu sich selbst. «Im Gegenteil! Ich glaube, er fühlt sich jünger als ich mich selbst fühle …!» Martin Bartlett lacht und strahlt übers ganze Gesicht.
Dann erzählt Bartlett, dass er schon mit sechs Jahren angefangen hat, Klavier zu spielen. «Meine Mutter hat es mir beigebracht. Sie ist Lehrerin und unterrichtet Musik in der Schule. Mit sieben bin ich dann schon in London aufs Royal College of Music gegangen. Jetzt bin ich 25 Jahre alt und habe all meine Abschlüsse am Royal College gemacht. Ich war länger dort als viele meiner Lehrer! Und in die Purcell Musikschule bin ich auch noch gegangen. Meine Zeit war vollgestopft mit Musik. Da gab es natürlich auch Konkurrenz unter uns Schülern. Aber das gehört dazu. So wie zwischen Nadal und Federer. Das spornt einen an!» Camille Saint-Saëns gefällt ihm, Tschaikowsky, Brahms … «Ich erforsche aber auch sehr gern viele verschiedene Musikrichtungen. Ich fange beispielsweise gern ein Programm mit Bach an, dann etwas Impressionistisches und höre mit etwas Zeitgenössischem auf. Für mich ist das wie in der Kunst, da mag ich auch die breite Palette.»
Geschmacksnoten – musikalisch und kulinarisch
Die meisten seiner Altersgenossen lieben allerdings Rock und Pop mehr als Klassisches. Kann er sich vorstellen, wenigstens ein paar Rockfans zur Klassik zu verführen? «Hmmmm … also ich liebe Rock und Pop auch!», sagt er erst mal und lacht. «Man muss den Rockfans die klassische Musik am richtigen Ort, zur richtigen Zeit und mit dem richtigen Programm präsentieren. Jeder Mensch ist doch anders. Es braucht ein bisschen Zeit. Ich glaube, das ist wie mit dem Essen. Als Kind isst man, was auf den Teller kommt. Später weiss man, was einem schmeckt. So ist es auch in Ordnung, dass nicht jeder klassische Musik mag. Beim Essen probiert man vieles aus, entdeckt diesen Geschmack oder jenes Aroma. In der Musik ist es genauso.» Bartlett kennt sich offenbar nicht nur in den musikalischen, sondern auch in den kulinarischen Geschmacksnoten aus. «Ich liebe es, zu kochen», bestätigt er sofort, «nach der Musik ist das meine grösste Leidenschaft. Wenn ich einen Risotto koche und dabei Bachs Brandenburgische Konzerte höre, dann ist der Risotto hinterher mit Musik und Parmesan gewürzt!»
Ist der «Prix Serdang» und der Betrag von 50’000 Franken eigentlich mit irgendwelchen Erwartungen verbunden, frage ich Adrian Flury schliesslich noch. «Er ist an keine Bedingung geknüpft», sagt Flury, «wir hoffen aber auf Zweierlei: dass wir dazu beitragen können, einer jungen Pianistin oder einem Nachwuchspianisten eine richtige Karriere zu ermöglichen, und dass die Villa Serdang zu einem Ort der Kultur-Begegnung wird».