Die Washingtoner Denkfabrik „American Enterprise Institute“ (AEI) gilt als Hort des Konservativismus. Und des beinahe fraglosen Patriotismus‘: „USA! USA! USA!“. Eindringlich fordern die Mitarbeiter des Think Tank mehr Freiheit, etwa das uneingeschränkte Recht auf Waffentragen, und weniger Staat, es sei denn, er manifestiere sich in Form der allwissenden National Security Administration (NSA).
Das AEI warnt vor zu viel Sozialismus, ausser wenn es darum geht, private Verluste möglichst breit zu streuen, und vor zu wenig Marktwirtschaft, es sei denn, es gelte, profitable Kartelle zu schützen. Das Institut bedauert jegliche Form von Rüstungsreduktion und befürwortet Militäreinsätze wie seinerzeit jenen im Irak.
Kein Wunder also, hat das Institut einen Anlass beherbergt, in dem es darum ging, der „Washington Post“ und dem Londoner „Guardian“ an den Karren zu fahren, weil die beiden Blätter es gewagt hatten, die Enthüllungen des nach wie vor in Moskau exilierten NSA-Mitarbeiters Edward Snowden zu publizieren. Und die dafür in der Kategorie „Service public“ erst noch einen der renommierten Pulitzer-Preise gewannen.
„Unglaublich schädlich“ sei das, fand ausgerechnet Marc A. Thiessen, ein konservativer Online-Kolumnist der „Post“, der meint, die Berichterstattung seiner Zeitungen über Amerikas grössten Geheimdienst illegal gewesen. Was der liberale „Post“-Kolumnist Dana Milbank prompt in seiner Kolumne thematisierte
Thiessen, der früher für Präsident George W. Bush und Pentagon-Chef Donald Rumsfeld Reden geschrieben hatte, liess sich bei seinen Ausführungen vor dem AEI vom konservativen britischen Parlamentsabgeordneten Liam Fox sekundieren. „Ein Preis für Service public, wenn es in Wirklichkeit um möglicherweise den grössten Verrat unserer nationalen Geheimnisse geht, mutet mich bizarr an“, sagte Fox: „Ich glaube, hier besteht eine reale Gefahr, dass sich kungelige Medien auf die Schulter klopfen, ohne sich der möglichen Konsequenzen bewusst zu sein.“
Thiessen wie Fox mutmassten, Journalisten könnten allenfalls für künftige Terroranschläge mit verantwortlich sein. „Das nächste Mal, wenn in einer Untergrundbahn oder beim Zieleinlauf eines Marathons eine Bombe hochgeht, wenn ein Kind von einem Kreis Pädophiler entführt wird, können Sie vielleicht jenen danken, die es diesen Leuten leichter gemacht haben, solche Taten zu begehen“, argumentierte der Tory-Politiker.
Marc A. Thiessen mutmasste, Amerikas Konservative seien in Sachen NSA unter Umständen von einer „Kabale der Linken“ getäuscht worden, die versuche, die Diplomatie und die Geheimdienste Washingtons zu untergaben. Liam Fox zufolge ist Whistleblower Edward Snowden ein „Ultra-Narziss“, der Verrat begeht. Den „Guardian“ derweil hält der konservative Londoner Parlamentarier für „inkompetent, arrogant, alles in allem Träger einer perversen anti-westlichen Ideologie“.
Ähnlich kritisch wie Thiessen und Fox haben sich in den USA auch republikanische Politiker wie der New Yorker Abgeordnete Peter King geäussert. Der Pulitzer-Preis für „Post“ und „Guardian“ sei „eine Schande“, sagte King in einem Interview. Statt ausgezeichnet sollten die beiden Zeitungen wegen Verletzung des Espionage Act strafrechtlich verfolgt werden, eines Gesetzes aus der Zeit des 1. Weltkriegs, das die Veröffentlichung von Geheiminformationen verbietet, die dem Feinde nützen könnten.
Der Zufall wollte es, dass die Initianten der Enthüllungen in der „Post“ und im „Guardian“ wenige Tage vor Bekanntgabe der Pulitzerpreis-Gewinner erstmals seit der Veröffentlichung erster Artikel im Fall Snowden im Juni 2013 ungehindert in die USA eingereist waren. Dies, obwohl ihre Anhänger befürchteten, sie könnten unter Umständen an der Grenze verhaftet und festgehalten werden.
Journalist und Menschenrechtsaktivist Glen Greenwald, der frühere „Guardian“-Kolumnist, und Dokumentarfilmerin Laura Poitras („My Country, My Country“) kamen nach New York, um zusammen mit „Guardian“-Mitarbeiter Ewen MacAskill und „Post“-Reporter Barton Gellman den prestigeträchtigen George Polk Award entgegen zu nehmen, den der Brooklyn Campus der Long Island University jährlich in diversen Sparten des investigativen Journalismus vergibt. Der Preis ist nach einem Korrespondenten des amerikanischen Fernsehsenders CBS benannt, der 1948 im griechischen Bürgerkrieg (1946-49) umgekommen war.
Glenn Greenwald und Laura Poitras trafen bei der Preisverleihung in New York erstmals auch „Guardian“-Chefredaktor Alan Rusbridger, der trotz diverser Druckversuche seitens der britischen Regierung die Publikation der Artikel über Edward Snowdens Erkenntnisse ermutigt hatte. Unter anderem war Rusbridger gezwungen worden, im Keller der Zeitung Computer-Hardware zu zerstören, in welcher Daten des flüchtigen Amerikaners gespeichert waren. Doch der „Guardian“ hatte die heiklen Informationen längst anderswo gesichert.
Es wäre logistisch einfacher gewesen, erinnerte sich Alan Rusbridger, wenn alle Mitarbeiter der Snwoden-Stories in einem Raum versammelt und nicht über alle Welt zerstreut gewesen wären: in New York, Rio, London, Berlin, Hongkong. Einfacher nicht zuletzt deswegen, weil die Beteiligten damit rechen mussten, von jenen Leuten abgehört zu werden, deren Machenschaften sie öffentlich machen wollten.
Interessant im Übrigen, dass es in Grossbritannien lediglich die BCC, der „Independent“ und die „Financial Times“ über den Pulitzerpreis berichteten, den der „Guardian“ gewonnen. Konservative Blätter wie die „Times“ oder der „Daily Telegraph“ schwiegen vornehm, was den Erfolg der Konkurrenz betraf. Die Mitarbeiter von „Times“ und „Telegraph“ gehörten also nicht zu jenen Journalisten in aller Welt, bei denen sich Alan Rusbridger ausdrücklich dafür bedankte, den „Guardian“ unter schwierigen Umständen moralisch unterstützt zu haben.
Derweil läuft im Herbst in den USA unter dem Titel „Kill the Messenger“ ein Streifen an, der auf einer wahren Geschichte basiert. Der Film erzählt, wie Gary Webb, ein unerschrockener Reporter der „San José Mercury News“, zur Zielscheibe einer massiven Verleumdungskampagne wird, die ihn schliesslich in den Selbstmord treibt. Webbs Vergehen? Für sein Buch „Dark Alliance“ hatte er recherchiert, dass die CIA in den 80er-Jahren in Nicaragua illegal die Contra-Rebellen bewaffnete und die Contras Kokain nach Los Angeles schmuggeln liess, damit diese mit den Profiten aus dem Rauschgifthandel ihre Guerilla finanzieren konnten. Die Wahrscheinlich ist gross, dass Hollywood dereinst auch den Fall Edward Snowden als „Mystery Thriller“ verfilmt. Wie wär’s mit „Kill the Messenger II“?
Quellen: „The Washington Post“; „The New York Times“; „The Guardian“; „Variety“.