Während seit der Aufhebung der Ausgangssperre die Maxime galt, dass man sich im Inland frei bewegen konnte, wurde am 1. Juli ohne Vorankündigung bekanntgegeben, dass ab 5. Juli nur noch Geimpfte, Getestete oder Genese auf die Inseln reisen dürfen (bisher reichte ein Selbsttest). Diese willkürliche Änderung kam aus heiterem Himmel, wurde auch den Fährgesellschaften nicht vorgängig mitgeteilt und wird vor dem Hintergrund von stark sinkenden Fallzahlen durchgesetzt. Für unter Achtzehnjährige wird noch ein Selbsttest akzeptiert, aber wenn man bedenkt, dass bei den Hauptherkunftsländern vielleicht jeweils ein Drittel der Bevölkerung geimpft ist, kann man sich vorstellen, welchen Effekt solche Massnahmen auf das Ferienbudget haben und was das für den Tourismus Griechenlands bedeutet. Als ich eine Fährgesellschaft anrief, wusste diese noch nichts von den neuen Massnahmen.
Reiseregeln ändern ständig, Regierung schürt Angst
Ich habe hier die Reiseregeln für Griechenland zusammengefasst.
- Sie gelten immer noch, allerdings dürfen Geimpfte ohne Test einreisen.
- Ein Antigen-Test reicht, wenn dieser weniger als 48 Stunden vor Einreise gemacht wurde.
- Bei der Rückreise sind die Regeln des BAG zu beachten.
- Bei der Reise mit der Fähre gelten in Richtung Griechenland die gleichen Regeln.
- Die Durchreise durch Italien ist frei, es ist aber ein Formular auszufüllen.
- Bei der Reise Richtung Italien gelten italienische Bestimmungen, die Griechen werden aber eventuell auch wieder eine Testpflicht einführen.
Diese Massnahme reiht sich ein in eine Serie, die die Grundrechte unterhöhlt, Unsicherheit schafft und die Gesellschaft spaltet – bereits wird von neuen Lockdowns gesprochen:
- Griechenland besticht junge Leute, sich impfen zu lassen: 150 Euro, einlösbar in Discos, Bars etc. pro Impfung.
- Ab dem 15. Juli müssen sich Gastronomen entscheiden, ob sie nur Geimpfte empfangen werden oder alle – dann dürfen sie nur die Hälfte der Kapazität nutzen. Zusätzlich müssen nicht geimpfte Personen in Innenräumen einen negativen Test vorweisen.
Nicht geimpfte Griechenlandreisende müssen sich somit darauf gefasst machen, dass sie unter ein diskriminierendes Sonderrecht gestellt werden und dass die Massnahmen ohne Vorankündigung ändern. Auch die Einschränkung der Mobilität im Inland während der Sommersaison ist nicht komplett ausgeschlossen. Dass die Schraube angezogen wird, war zu erwarten. Nicht erwartet hätte ich aber, dass das in der Hauptreisezeit geschieht. Bereits vor den Weihnachtsferien wurden allerdings die Regeln innerhalb von zehn Tagen dreimal geändert.
Die Coronamassnahmen in Griechenland haben ein Ziel: Die Menschen zu erpressen, damit sie sich impfen lassen. Und das wird mit einer Hinterhältigkeit getan, die ich von dieser Regierung, der ich nie getraut habe, nicht erwartet hätte. Der Elefant im Raum, von dem niemand spricht, ist das Gesundheitssystem, das notorisch dysfunktional aufgestellt ist. Bei viel geringeren Fallzahlen weist Griechenland praktisch gleich viele Corona-Tote aus wie die Schweiz.
Hier muss ich auch bekennen, dass ich mich im letzten Jahr bei meiner Einschätzung getäuscht habe. Bis zu Beginn der zweiten Welle habe ich das Land für sein Krisenmanagement gelobt. Rückblickend sehen wir aber, dass es eine erste Welle gar nicht wirklich gab – trotz eines harten Lockdowns. Die Fallzahlen waren während des ganzen ersten Halbjahres 2020 zu gering, als dass man von einer Welle sprechen kann. Das begründet der Stanford-Epidemiologe John Ioannidis sehr überzeugend und bezeichnet das damalige Pandemie-Management als «Theater». Es ist einfach, ohne Gegner zu spielen. Klar, rückblickend ist man immer klüger. Aber in der zweiten Welle zeigte sich, dass die griechischen Massnahmen nicht zielführend sind und die Wirtschaft – vor allem kleine und mittlere Betriebe – ruinieren. Und es scheint so weiterzugehen.
Die Reisesaison wurde aber noch auf einer anderen Ebene ruiniert. Und das kann man ziemlich genau lokalisieren. Die griechische Regierung schlug vor, ein digitales Coronazertifikat einzuführen. Die Kommission akzeptierte diese Idee zuerst unter der Bedingung, dass dann keine zusätzlichen Einschränkungen gelten würden. Die Mitgliedsländer pfiffen die Kommission aber zurück. Das Zertifikat gibt es zwar, aber jedes Land macht damit, was es will. In jedem Zielland herrschen andere Vorschriften. Und dann ist da auch noch die Rückreise. Unter diesen Vorzeichen ist Tourismus schwierig.
Meinungsfreiheit in Gefahr
Wissenschafter, die eine Meinung vertreten, die nicht ganz der offiziellen Linie entspricht, fürchten sich, sagte John Ioannidis in einem Interview (in griechischer Sprache) mit dem Fernsehsender KRHTHTV. «Wissenschafter müssen sich frei fühlen, frei sprechen dürfen, mit einer Dosis Zweifel zwar, aber ohne dass sie fürchten müssen, für eine Meinungsäusserung einen hohen Preis zahlen zu müssen oder die Geldgeber zu verlieren», sagt er. «Ich habe Angst, zu sprechen», sagen dem Epidemiologen unzählige Wissenschafter, die an der Spitze ihres Fachs sind. Abweichende Stimmen werden in Griechenland tatsächlich sofort in den sozialen Medien durch den Schmutz gezogen.
Einer, der besonders oft droht, ist der Minister für Wirtschaftsentwicklung, Adonis Georgiadis. Er entstammt der rechtsextremen Splitterpartei Laos und gehört heute der Regierungspartei Nea Dimokratia an. Menschen mit einem Langzeitgedächtnis fühlen sich bei Georgiadis sowohl im Tonfall wie in der Wortwahl an die Obristendiktatur (1967–1974) erinnert.
In Bezug auf die Pandemiebekämpfung schaut die Opposition tatenlos zu. Alexis Tsipras ist wohl froh, dass er im Moment nicht regiert. Immerhin warf der Syriza-Politiker Alexis Charitsis der Regierung vor, ihre Bürger wie Untertanen zu behandeln. Dies stelle eine ernsthafte Gefahr für die Gesundheit, die Wirtschaft und die Demokratie dar.
Gespaltete Gesellschaft
Die Spaltung der Gesellschaft wird auch durch andere Projekte vorangetrieben:
Die Regierung hat im Schnellzugsverfahren ein Gesetzesprojekt durch das Parlament geschleust, das das gemeinsame Sorgerecht für Kinder geschiedener Eltern obligatorisch vorsieht. Wer weiss, mit welcher Vehemenz in Griechenland Streitereien ausgetragen werden, kann nur den Kopf schütteln über dieses Projekt, das gegen den Widerstand von Experten durchgepaukt wurde. Es muss vor den Wahlen viel Geld zur Regierungspartei geflossen sein und man kann die Kinder nur bedauern, die jetzt Objekte des elterlichen Streites werden und mit einem Köfferchen von Haus zu Haus geschubst werden.
Die Regierung brachte zusätzlich einen Gesetzentwurf ein, der mehrere Regelungen mit Sprengpotenzial enthält, über die zuerst nicht berichtet wurde. Im Ergebnis führt das Gesetz Überstundenregelungen bei Teilzeitbeschäftigungen ein, die sehr zu Ungunsten des Beschäftigten ausgelegt werden können. Gleichzeitig entwickelt sich die Regelung des unbezahlten Urlaubs zu einer Art unbezahltem Zwangsurlaub. Sicher sind diese Regelungen Pandemie-inspiriert, aber sie werden nichts zum Zusammenhalt der Gesellschaft beitragen – im Gegenteil.
Verschuldet und verletzlich
Wirtschaftlich gesehen hat in Griechenland die Schuldenwirtschaft wieder angefangen. Griechenland ist es zwar gelungen, seine erste Staatsanleihe mit einer Laufzeit von 30 Jahren seit 2008 zu verkaufen. Damit gelingt es dem Land, liquid zu bleiben und sich zu niedrigen Zinsen zu refinanzieren und teure Darlehen abzulösen, die während der Krise von der Troika gewährt wurden. Allerdings ist das Land sehr verletzlich, denn die Schulden des Staates machen zurzeit 200 Prozent des Bruttoinlandproduktes aus. Steigen die Zinsen stark und naht die Fälligkeit einer Schuldverschreibung, dann ist das Land sehr schnell wieder bankrott. Und dann wiederholt sich die Geschichte.