Natürlich trug der terroristische Akt in Nizza am Abend des nationalen Feiertages Quatorze Juillet auch spezifisch französische Züge. Frankreich ist zusammen mit den USA am aktivsten in der militärischen Konfrontation mit dem sogenannten islamischen Staat, liegt aber näher beim IS und verfügt mit seiner maghrebinischen Diaspora über ein potentielles Hinterland junger, frustrierter und oft staatsfeindlicher Muslime.
Frankreich’s Laizismus steht zudem im scharfen dogmatischen Widerspruch zum ‘Gottesstaat’ islamischer Eiferer. Schliesslich scheint die staatliche Organisation der Terrorbekämpfung keineswegs ideal, es fehlt in Frankreich eine zentrale Schaltstelle sowohl bei der Kontrolle potentieller Terroristen als auch bei der Bekämpfung einzelner Terrorattacken.
Gründiche Inspektion in Paris
Indes hat ‘Nizza’ auch drei generelle Aspekte von Terrorbekämpfung in den Blickpunkt gerückt, welche nicht nur für Frankreich von Bedeutung sind. Zunächst zur technischen Frage, welche polizeilichen Sicherheitsmassnahmen grösstmöglichen Schutz gegen einen Terrorangriff bieten, ohne ihre Verhältnismässigkeit zu verlieren. Hier in Paris erschien der Aufwand, aber auch die Effizienz des Sicherheitsdispositivs rund um die traditionellen Schwerpunkte der Nationalfeier zumindest genügend.
Anlässlich der traditionellen, für jedermann zugänglichen ‘Bals des Pompiers’ am Vorabend, welche in Paris in den Feurwehr-Kasernen der einzelnen Stadtteile (Arondissements) gefeiert werden, wurden wir vor dem Zutritt einer lückenlosen Inspektion von Person und Effekten unterzogen, freundlicher als am Flugplatz, aber ebenso gründlich. Dasselbe, aber zwei Mal, am Tage selbst, um vom Trottoir der Champs Elysées dem Defilée von Truppen und Zivilisten beizuwohnen.
Braucht es Betonelemente zur Abriegelung?
Hier in Paris, offensichtlich wie in Nizza während des Feuerwerkes, stellt sich die Frage wie hermetisch eine öffentliche Veranstaltung, mit bis zu hunderttausenden von Zuschauern abgeschottet werden kann. Braucht es beispielsweise immer und überall tonnenschwere Betonelemente und nicht nur Metallbarrieren, um Wahnsinnsattacken auf temporäre Fussgängerzonen zu verunmöglichen?
Alle Zugänge - im Falle Paris von der Place de l’Etoile zur Place de la Concorde mit Dutzenden von Boulevards und Strassen - für einige Stunden so abzuriegeln würde einen gigantischen Logistikaufwand bedingen und wohl den Sinn der Feier ad absurdum führen. Was durchaus auch auf das ‘Zürifäscht’ oder die ‘Streetparade’ zutreffen würde.
Einsamer Wolf oder IS-Frontkämpfer?
Von allgemeiner Bedeutung ist zweitens die Frage nach Hintergrund und Motiv der Täter. ‘Einsamer Wolf’ der wohl durch islamistische Gehirnwäsche motiviert, aber ohne konkreten Beistand aus dem syrisch-irakischen ‘Kalifat’ handelt oder ‘europäischer Frontkämpfer des IS’? Muss also zur erfolgreichen Bekämpfung islamistischen Terrors zunächst der sogenannte islamische Staat besiegt, demontiert und seine Exponenten neutralisiert werden? Oder kann das Übel zumindest in Europa primär durch bessere Integration, soziale Netze und digitale Kontrollen angegangen werden?
Der Attentäter von Nizza scheint irgendwo zwischen diesen beiden terroristischen Archetypen einzustufen sein. Entsprechend breit gestaltet sich erfolgreiche Terrorismusprävention. Wie in zahlreichen anderen Fragen von Sicherheit, müssen sowohl harte, bis hin zu militärischen Mitteln eingesetzt werden wie auch weiche Sicherheitspolitik erzieherischer und sozialer Natur.
Islamische Religionslehre nur unter staatlicher Aufsicht
Wo, wie und in welchem Masse dies geschieht hängt wiederum von der Antwort ab, welche demokratische und seit der Aufklärung durch die Trennung von Kirche und Staat charakterisierte Länder für ihre islamischen Bürgerinnen und Bürger bereithalten. Länder wie Frankreich, aber auch die Schweiz, welche allen Bürgern sowohl adequate Erziehung als auchReligionsfreiheit garantieren und im Gegenzug ein klares Bekenntnis zu republikanischen Werten einfordern.
Letztere sind der konservativen Interpretation des Islams völlig fremd und damit darf, hier der dritte eingangs erwähnte allgemeine Aspekt, islamische Religionslehre und deren Ausübung bei uns nur unter staatlicher Kontrolle stattfinden.
Mit Ölgeld finanzierter Radikalismus
Der Salafismus - die allein am historischen Wortsinn des Korans orientierte, mit frauenfeindlichen Beduinenritualen versetzte Sunna - und die erzkonservative Schia kohmeinistischer Prägung repäsentieren keineswegs den Islam schlechthin. Mit viel Ölgeld von der arabischen und der persischen Seite des Golfes sind aber Geistliche, Lehrer und Politiker in der gesamten islamisch geprägten Welt, von Indonesien und Malaysia über Bangladesh, Pakistan und den gesamten Mittleren Osten bis hin in die Türkei gekauft und radikalisiert worden.
Bedingt durch sehr verschiedene Gründe - von allgemeiner Unkenntnis des Islams durch westliche Eliten und naivem Multikulturalismus über fehlende, weil verbotene Medienpräsenz auf der arabischen Halbinsel bis hinzu den Kriegswirren bei der Auflösung von Ex-Jugoslawien - hat das spirituelle Gift der Radikalen längst auch Westeuropa erreicht. Dieses zu neutralisieren, etwa mit der Ersetzung des generellen wahabischen, durch jeweils national geprägten, gelehrten und gelebten Islam ist eine grosse Zukunftsaufgabe der europäischen Demokratien.