Die drei Krisen sind: 1. Die Migrationswelle, 2. die Politik von Erdogan und Putin sowie 3. der Triumph nationaler Egoismen im Inneren Europas.
Die EU war, ist und bleibt das einzige nachhaltige Friedens- und Sozialwerk in der Geschichte der modernen Nationalstaaten. Als Ziel von Migranten hat sie globale Strahlungskraft, wie sonst höchstens die USA und Australien. Den politischen Flüchtlingen aus Syrien und einem Teil des Iraks haben sich entsprechend eine grosse Anzahl von Wirtschaftsmigranten aus anderen Teilen des Iraks und des Mittleren Ostens, aus Afghanistan sowie aus Nord- und Schwarzafrika auf dem Weg ins vermeintlich gelobte Europa angeschlossen.
Überforderte europäische Kapazitäten
Europa ist indes noch voll beschäftigt mit der Integration seines grenzenlosen Binnen- und Arbeitsmarktes. Die Migrationswelle, die letztes Jahr begann, anhält und jederzeit weiter unkontrolliert anschwellen kann, überfordert nun Europas Kapazitäten. Die Migranten haben einen sehr unterschiedlichen sozialen, kulturellen und religiösen Hintergrund. Das macht Integration noch schwieriger. Verständnis von beiden Seiten ist unumgänglich, Integrationsanstrengen müssen aber primär von jenen eingefordert werden, welche nun neu zu Europäern werden wollen.
Dies wird schwieriger werden als bislang angenommen. Europa muss sich jetzt mit den verschiedenen Wirklichkeiten in der islamischen Welt auseinandersetzen – Wirklichkeiten, die jetzt von den Migranten nach Europa getragen werden. Dazu gehört einmal das Verhältnis zwischen Kirche und Staat. Eine Vermengung ist im Europa von heute undenkbar. Auch gemässigter Islam als politische Kraft ist ausgeschlossen; dies gilt auch für die Türkei, ein mögliches künftiges EU-Land. Islam und Demokratie können nur nebeneinander existieren, wenn das öffentliche Leben striktem Laizismus unterliegt, wenn also Kirche und Staat völlig getrennt sind. Dies sieht auch der grosse türkische Intellektuelle und Künstler Zülfü Livaneli so.
"Sex is sick"
Im weitern muss sich die Haltung der ankommenden Muslime zur Sexualität ändern. „Sex is sick in the Muslim world“, hält der führende algerische Journalist Kamel Daoud fest. Die Uno-Beauftragte für Frauenfragen macht klar, dass die in weiten Teilen der islamischen Welt praktizierte systematische Diskriminierung der Frau - vom Zivilrecht über die Beschneidung bis zur Verhüllung - nicht eine Sache sozialer Normen, sondern eine Straftat ist.
Je mehr Migranten nach Europa gelangen, desto schwieriger wird es, die bereits hier lebenden zu integrieren. Es ist zwingend, dass die Flüchtlingswelle gebremst oder gar gestoppt wird. Die politischen Asylanten müssen wissen, dass sie nach einem Ende der kriegerischen Auseinandersetzungen in ihre Heimatländer zurückkehren müssen. Die Wirtschaftsemigranten sollen nur dann bleiben können, wenn sie der europäische Arbeitsmarkt verkraften kann.
Von Russland und der Türkei hintertrieben
Eine Lösung der Syrien-Frage wird, eingeschlossen einer Bekämpfung des „Islamischen Staats“ (IS), von Russland und der Türkei aktiv hintertrieben. Dem sunnitischen Sultan Erdogan ist der Kampf gegen eine kurdische Autonomie wichtiger als sein Verhältnis zur EU und zur Nato, der die Türkei angehört.
Zar Putin seinerseits ist besessen von postsowjetischen Grossmachtträumen. Am östlichen Rand Europas geht er ungezügelt aggressiv vor und in Syrien schreckt er nicht zurück, Zivilisten in grossem Ausmass zu bombardieren – alles mit dem Ziel, den westlichen Einfluss zurückzudrängen.
Mehr westlicher Druck
Beide Autokraten werden ihre Länder letztlich in der tiefen Misere vergangener Epochen hinterlassen. Ankara ist in den „nahöstlichen Sumpf“ (Livaneli) zurückgeglitten, aus dem sich die kemalistische Türkei befreit hatte. Russland wird wie zu Sowjetzeiten allein aufgrund seiner militärischen Stärke, seiner geographischen Grösse und seiner Unberechenbarkeit auf der Weltbühne präsent bleiben.
Sowohl gegenüber Ankara als auch gegenüber Moskau muss der Westen vermehrt politischen und wirtschaftlichen Druck ausüben. Wirtschaftssanktionen gegenüber Russland sind zwar vor allem für die deutsche Wirtschaft schmerzvoll, aber unabdingbar, um den für alle lukrativen europäischen Binnenmarkt nicht zu gefährden.
Xenophobe Strömungen
Als wäre die Bewältigung dieser zwei existentiellen Krisen nicht schon genug, machen sich innerhalb Europas xenophobe und nationalistische Strömungen breit. Beispiele dafür sind Ungarn und Polen. Andere Länder könnten folgen, und zwar ausgerechnet solche, welche vom sowjetischen Joch befreit und von Westeuropa politisch und wirtschaftlich auf eigene Füsse gestellt wurden.
Zum Klub der Egoisten und Ausscherer gehört auch Cameron, der im Namen der „nationalen Souveränität“ eine britische Extrawurst durchgesetzt hat.
Ein Prozent für Flüchtlingspolitik
Genau hier findet sich zu ihrer Schande gegenwärtig auch der europäische Aussenseiter Schweiz. In europäischer Perspektive handelt es sich bei der Bewältigung der Folgen der Masseneinwanderungsinitiative um ein völlig selbst verursachtes Problem, welches von den Eidgenossen gelöst werden muss. Auf keinen Fall darf ein grundlegendes europäisches Prinzip, wie zum Beispiel die Freizügigkeit, auch nur zu geritzt werden.
„Imagine...“ eine Schweiz, welche, anstatt mit immer wieder neuen verfassungswidrigen Initiativen europäischen Rechtsextremen Vorbild ist, sich konstruktiv an einer Lösung der europäischen Probleme beteiligt. Gelegenheit dafür gibt es genug. Dies einmal in traditionellen Bereichen schweizerischer Aussenpolitik, so bei Finanzierung und Durchführung effektiver Flüchtlingspolitik im In- und Ausland, indes mit ungleich viel mehr Mitteln. Ein Prozent des hartnäckig jedes Jahr wiederauftauchenden Budgetüberschusses Helvetiens wäre der reichen Eidgenossenschaft angemessen.
Härtere Gangart gegenüber Eritrea
Aber auch harte Massnahmen, vor welchen die vornehme Schweiz bislang eher zurückschreckt ist, sind angesagt. Warum nicht beispielsweise bei Eritrea beginnen, mit dessen Regime wir ein spezielles Problem haben: Die Schweiz könnte strafrechtlich gegen illegale etriteische Aktivitäten auf schweizerischem Boden vorgehen. Sie könnte zum Beispiel Eritreer ausweisen, welche von ihren Landleuten Geld erpressen, so etwa in Form von 'Besteuerung'. Oder sie könnte eritreische Konten blockieren, und zwar auch in jenen ausländischen Banken, welche in der Schweiz über eine Lizenz verfügen. So würde ein international sichtbares Zeichen gesetzt, wie mit Regierungen umgegangen werden kann, welche illegal und profitabel ihre eigenen Staatsbürger als Wirtschaftsmigranten in europäische Zwangsarbeit und Misere exportieren.
Die EU wird an Syrien nur zerbrechen, wenn die sicherheitspolitischen Herausforderungen nicht wahrgenommen werden und wenn nationalen Egoismen mit ohmmächtigem Schulterzucken und vermeintlich kleinstaatlicher Ohnmacht begegnet wird.