Tim Guldimann diskutiert mit Melanie Hauenstein, Leiterin des UN-Entwicklungshilfeprogramms (UNDP) in Berlin und Volker Perthes, bis vor kurzem Leiter der Uno-Mission im Sudan.
Zwei erlebte Fallbeispiele: Volker Perthes war bis vor kurzem Leiter der Uno-Mission im Sudan, die er im letzten Herbst als «Persona non grata» verlassen musste. Zuvor war er Direktor der Stiftung für Wissenschaft und Politik in Berlin. Trotz des eskalierenden Bürgerkriegs im Sudan glaubt er «nicht, dass die Uno gescheitert ist». Gescheitert seien die sudanesischen Akteure, «die Uno ist ja nicht weggelaufen, sie ist weiterhin da, besonders im humanitären Bereich. Aber natürlich ist es eine Enttäuschung. Die Uno-Mission ist in den Sudan gekommen auf Einladung der damaligen zivilen Regierung, um den Demokratisierungsprozess voranzutreiben und den Frieden zu stabilisieren. Nach einem dreiviertel Jahr, als ich da war, kam ein Militärputsch und die beiden militärischen Führer haben sich dann so stark um die Beute gestritten, dass sie das Land in einen Krieg führten und zerstörten. Natürlich ist das eine Niederlage.
Melanie Hauenstein, heute Leiterin des UN-Entwicklungshilfeprogramms (UNDP) in Berlin war früher für die Uno u.a. in der Demokratischen Republik Kongo tätig. «Das Land war in zwei Kriegen zerrissen. Im zweiten Kongokrieg sind 3,8 Millionen Menschen gestorben. Dann gab es Friedensverhandlungen, die ganz massgeblich von der Uno unterstützt wurden. Die Uno-Mission hat es geschafft, das Land zusammenzubringen und ein Referendum, das eine Verfassung beschlossen hat, und dann 2006 die Wahlen zu organisieren, für die wir 25 Millionen Menschen digital registriert haben». Dadurch wurde es möglich, «von der Übergangsregierung zu einer legitimen Regierung» zu kommen. Zuvor stellte sich die Frage, «ob es zu den Wahlen kommt oder ob wir in den Bürgerkrieg zurückgehen».
Sind Friedensmissionen ein westliches Projekt? Dem widerspricht Perthes: Die Chinesen sind «nicht nur zweitgrösster Beitragszahler in der Uno, sondern übernehmen auch mehr Verantwortung. Sie sind von den fünf permanenten Sicherheitsratsmitgliedern diejenigen, die das meiste Personal in Friedensmissionen entsenden. Die meisten Truppen in den Friedensmissionen werden nicht von westlichen Staaten gestellt, sondern von Pakistan, von Indien sowie von afrikanischen Staaten».
Müssen Friedensmissionen mit Verbrechern zusammenarbeiten? – Perthes: «In dem Moment, wo du mit Konfliktparteien arbeiten willst, da hast du nicht die gute Seite und die schlechte Seite, die Grauzonen sind enorm. Wenn wir Zugang zu Gefängnissen haben, da sagt niemand, ihr solltet aber nicht mit den Verbrechern reden. In dem Moment, wo ich versuche, mit Akteuren eine bessere Lösung für die Menschen hinzubekommen, mit Akteuren, die selber Menschenrechte verletzt haben, da muss ich Hände schütteln, die ich im privaten Leben nicht gerne schütteln würde. Dafür sind wir da, irgendjemand muss es machen. Du musst Prioritäten setzen. Menschenleben retten ist die höchste Priorität. Wenn sie nicht überleben, dann gibt es auch keine Diskussion über Menschenrechte und Demokratie.» – Hauenstein bekräftigt: «Die Menschen, die vor Ort sind, die unter diesen Diktaturen leben, die im Krieg leben, die haben keine Wahl, aufzugeben. Für mich ist wichtig, dass wir als Uno sagen: Wir haben kein Recht aufzuhören. Wer, wenn nicht wir?»
Journal21 publiziert diesen Beitrag in Zusammenarbeit mit dem Podcast-Projekt «Debatte zu dritt» von Tim Guldimann.