Jetzt macht er wieder das, was er am besten kann: Theater auf der Bühne. Nicht daneben. Matthias Hartmann inszeniert Ludwig van Beethovens einzige Oper, „Fidelio“. Und dies an einem Ort, der für ihn Neuland und damit unbelastet ist, am „Grand Théâtre“ in Genf. Ein Ort, an dem die Geschehnisse des letzten Jahres keine Rolle spielen. Denn dieses vergangene Jahr war ein schwieriges für Matthias Hartmann.
Am 11. März 2014 war Hartmann als Intendant des Wiener Burgtheaters entlassen worden. Im September 2009 hatte er die Leitung dieses Hauses übernommen, eines der prestigeträchtigsten in der deutschsprachigen Theaterlandschaft. Dazwischen liegen viereinhalb Jahre mit erfolgreichen Theaterproduktionen, aber zunehmend auch mit finanziellen Problemen, Knatsch und Intrige, am Schluss auch Häme.
Gegenwind
Und jetzt sitzen wir in einem geradezu malerischen, leicht verstaubten Hinterzimmer der Genfer Oper. Ein riesiger Goldrand-Spiegel, viel roter Samt, ein paar Stühle, ein langer Tisch. Draussen ein strahlend heller Tag, allerdings mit scharfer Bise. Gegenwind ist Matthias Hartmann gewöhnt. Hier in Genf ist es zumindest nur ein meteorologisches Phänomen.
Matthias Hartmann wirkt ruhiger, kontrollierter vielleicht, als vor zehn Jahren. Damals war er aus Bochum kommend in Zürich angetreten, um als Nachfolger von Christoph Marthaler Intendant des Zürcher Schauspielhauses zu werden. Und auch hier hatte nicht nur eitel Freude geherrscht zwischen ihm, der Technik und der Stadt, die er schliesslich verliess, um in Wien an der „Burg“ sozusagen den Theaterolymp zu erobern.
Wie geht es Ihnen? frage ich ihn zu Beginn. Auf seine persönliche Befindlichkeit mag er nicht eingehen. „Die Arbeit mit den Kollegen in Genf ist sehr konstruktiv und sehr gut. Wir haben eine prächtige Stimmung des gemeinsamen Suchens und Findens.“ Das klingt etwas kühl-distanziert. Seit über einem Jahr ist es immerhin die erste Regie-Arbeit, die Hartmann jetzt übernommen hat. „Ja, ein Jahr… aber man steigt wieder aufs Rad und stellt fest, es fährt wieder. Es gibt gewisse Dinge, die sind in meinem Gen-Code verwoben und das ist dann so, als hätte ich gestern erst aufgehört.“
Gerechtigkeit
Und was bedeutet nun dieser „Fidelio“ für ihn? „Da gibt es einige Motive, die mich auch ganz persönlich betreffen. Es geht hier um Gerechtigkeit und das ist ein Thema, das mich in diesem letzten Jahr sehr umgetrieben hat und dem ich jetzt auch mein ganzes Engagement widme.“ Aber auch der Aspekt starker Frauenfiguren interessiert ihn sehr. „Das zieht sich durch meine ganze künstlerische Arbeit, von den Botho-Strauss-Figuren bis zur Jungfrau von Orléans. Und die Leonore im ‚Fidelio‘ ist eine neue Variation dieses für das Theater immer wieder unerschöpflichen Themas“.
Ist es aber gerade für Hartmannm, der im Schauspiel oft mit kühnen und innovativen Inszenierungen aufgefallen ist, nicht eine Einschränkung, Oper zu inszenieren? Ist es angenehm, sich in das engere Korsett der Oper zu zwängen, die nur schon wegen der vorgegebenen Partitur weniger Spielraum bietet?
„Es kann angenehm sein, wenn man die Musik über sich selbst stellt und das tue ich. Wenn ich im Schauspiel arbeite, bin ich der Schöpfer meiner eigenen Musik in dem Sinne, wie ich eine Aufführung rhythmisiere, oder in der Art und Weise, wie ich die Sprache verwende, laut und leise, wie ich mit der Bühne umgehe, hell oder dunkel, vorn oder hinten… da entsteht die eigene Partitur. Hier, in der Oper ist sie vorgegeben, und nur wenn ich mich ihr bedingungslos unterwerfe – und man will sich ja nicht mit einem so genialen Werk von Beethoven anlegen – dann fühle ich mich wie ein Dirigent, der das hervorbringt, was immanent in dem Werk leuchtet…“
Turbulenzen
Wenn man mit Matthias Hartmann spricht, kann man die Ereignisse, die erst in Zürich und dann in Wien zu einigen Turbulenzen geführt haben, nicht ausklammern. Was ist da, rückblickend und aus Hartmanns Sicht, falsch gelaufen? „Oder was ich heute besser machen würde….?“ kontert er. Ja, vielleicht…. „Lassen Sie uns zwei Dinge unterscheiden: Beim Burgtheater ist die Angelegenheit jetzt zur Klärung ausgesetzt und ist Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen. Ich bin damals entlassen worden, als ich gerade mit Hilfe des Wirtschaftsprüfungsunternehmens KPNG beweisen konnte, dass die Millionenschulden, die das Burgtheater hatte, bereits da waren, als ich kam, und dass sie aktiv vor mir versteckt wurden. Bevor ich das öffentlich machen konnte, wurde ich diskreditiert und entlassen. Seither versuche ich mit aller Macht, diese Wahrheit ans Licht zu bringen.“ Das könne dauern, meint er, und darauf müsse er sich einrichten.
Aber dann gab es ja auch noch den “Fall Zürich“ bei Hartmann. „Anders als das Burgtheater habe ich das Zürcher Schauspielhaus wirtschaftlich absolut sauber hinterlassen und meiner Nachfolgerin ein gutes finanzielles Polster mitgegeben. Aber auch in Zürich habe ich seinerzeit ein paar Probleme geerbt. Ich bin damals mitten in einen Arbeitskampf geraten, weil die Technik schon bei meinem Vorgänger mehr Geld verlangt hat. Ich wollte aber nicht, dass Geld, das in die Technik fliesst, dann der Kunst fehlt.“ Damals flogen auch in Zürich die Fetzen, man ging auf Konfrontationskurs.
Nach deutscher Art
Heute sagt Hartmann dazu: „Ich war noch nicht in Zürich assimiliert und die Auseinandersetzungen liefen anders, als man es wahrscheinlich normalerweise in der Schweiz handhabt. In der Schweiz regelt man solche Sachen subkutan und sucht einen eloquenten und guten Weg des Austauschs miteinander. Stattdessen bin ich – auf meine sehr deutsche Art – in ein paar Fallen gestapft.“
Fallen? „Ja. Kräfte, die Lust hatten zu polarisieren, haben in mir immer einen streitbaren Menschen gefunden.“ Und Hartmann selbst fühlt sich von Verwaltungsrat und Politik im Stich gelassen.
Aber liegt es nicht vielleicht auch an seinem arg deutschen Auftreten, damals in Zürich?
„Das kann schon sein…“ sagt er knapp.
Zunächst war ja viel Goodwill gegenüber Hartmann vorhanden, aber sprachlich ist wohl doch einiges auseinandergelaufen.
„Das kann schon sein…“
Nervt es ihn, immer wieder auf diese Probleme in Zürich und Wien angesprochen zu werden? „Schauen Sie, ich selbst habe ja das grösste Interesse an der Aufklärung. Und, wenn Sie mich schon so fragen: was mich nervt, ist der Vergleich von Zürich und Wien. Das sind zwei ganz unterschiedliche Geschichten.“ Aber sie haben beide mit Hartmann zu tun.
Das neue Leben
Jetzt jedenfalls ist er froh, in Genf zu inszenierten. Und andere Projekte sind auch schon am Werden. In Dresden wird er Dostojewskis „Der Idiot“ auf die Bühne bringen, an der Mailänder Scala inszeniert der den „Freischütz“. Ein paar andrere Projekte sind noch nicht spruchreif.
Matthias Hartmann lebt jetzt in der Nähe von Salzburg und ist neuerdings auch für den Fernsehsender „Servus“ tätig. „Ich entwickle Programme und kümmere mich um Aufzeichnungen von Opern und Theaterstücken. Ich nehme die Chance dankbar wahr. Es ist wieder ein ganz anderer Schritt.“
Und noch etwas ist neu. „Ich habe mich immer nur für das Theater aufgeopfert. Das Theater, das war meine Familie, mein Leben. Alles, was ich gedacht und gefühlt habe, hat sich immer auf das Theater bezogen. Meine Familie habe ich nur in den Ferien gesehen.“
FIDELIO
Oper von Ludwig van Beethoven
Grand Théâtre Genève Premiere am 10. Juni 2015
Jetzt hat er mehr mit seiner Familie zu tun. „Das klingt so romantisierend und man könnte das bei jemandem wie mir als Alibi oder Ausrede ansehen. Aber dieses Erlebnis, gerade jetzt, wo die Kinder etwas älter werden und den Vater auch bewusst suchen, bei ihnen zu sein und etwas mit ihnen zu unternehmen, das ist für mich tatsächlich nicht nur ein grosser Trost, sondern auch eine tolle Herausforderung.“