Das Treffen war kurz, aber heftig. Es fand im schmucklosen Speisesaal des Hotels „Al-Rashid“ in Bagdad statt. Dort pflegte das irakische Regime unter Saddam Hussein ausländische Journalisten einzuquartieren (und zu überwachen). Wir waren als Begleiter einer inoffiziellen Schweizer Parlamentarierdelegation via Amman in die irakische Hauptstadt geflogen. CVP-Nationalrat Edgar Öhler führte die Abordnung an, der neben dem St. Galler noch Jean Ziegler (SP), Franz Jaeger (LdU), Massimo Pini (FDP) sowie der stellvertretende Glarner Staatsschreiber Erich Wettstein (SVP) angehörten.
Ziel von „Operation Khalif“ Mitte November 1990 war es, 24 Schweizer frei zu bekommen, die Saddam Hussein vor Ausbruch des 1. Golfkrieges faktisch als Geiseln genommen hatte, obwohl er sie heuchlerisch „Gäste“ nannte. Hunderte von Angehörigen westlicher Nationalitäten, so die Drohung des Irakers, würden im Falle eines Angriffs der Amerikaner als menschliche Schutzschilder auf strategisch wichtige Anlagen verteilt werden. In der Folge flogen Delegationen aus verschiedenen Ländern ein, unter ihnen eine aus den USA, welcher der damals 48-jährige Muhammad Ali angehörte. Er litt schon damals an Parkinson.
„Bagdads Propaganda-Coup“
Wie die Schweizer Parlamentarier war auch Ali ohne den Segen seiner Regierung nach Bagdad gekommen. Präsident George H W Bush war alles andere als erfreut über „Bagdads Propaganda-Coup“ und die „New York Times“ warf dem dreifachen Boxweltmeister vor, er sei lediglich ein weiterer Promi auf dem Egotrip. 15 amerikanische Zivilisten befanden sich damals in der Gewalt Saddam Husseins.
Sie alle kamen nach einem Treffen Muhammad Alis mit Saddam Hussein Ende November 1990 frei. Der Boxer hatte dem Diktator versprochen, in Amerika „ehrlichen Bericht“ über den Irak zu erstatten. Saddam Hussein seinerseits hatte sich geäussert, er wolle Muhammad Ali nicht mit leeren Händen in die USA zurückehren lassen. Schon zuvor waren 16 der 24 Schweizer frei gekommen und mit der Delegation aus Bern in die Heimat zurück geflogen. Die übrigen acht Geiseln mussten sich noch länger gedulden.
Präsident Bush, "besoffen"?
Doch vor seinem Treffen mit dem irakischen Präsidenten hatte Ali fast eine Woche warten müssen. Er sah sich Bagdad an, besuchte Schulen, betete in Moscheen und verteilte Autogramme. „Wir hoffen und beten, dass es keinen Krieg geben wird“, sagte er gegenüber der Presse.
Eines Morgens teilten uns Chargen des Informationsministeriums im „Al-Rashid“ mit, wir könnten, so wir wollten, einem Frühstück Muhammad Alis mit dem irakischen Informationsminister Latif Jassim beiwohnen. Wir wollten und gruppierten uns im Hotel rund um den Frühstückstisch. Jassim, seit 1979 im Amt, machte vor dem Krieg Schlagzeilen, als er verlauten liess, Präsident Bush müsse „besoffen“ sein, anzunehmen, der Irak würde sich aus dem besetzten Kuwait zurückziehen: „Wir werden der Welt zeigen, dass Amerika ein Papiertiger ist.“
Kreuz Zehn im Kartenspiel
Das Frühstück der beiden verlief vorerst normal. Aber nur solange, bis sich Ali ein Witzchen auf Kosten des Ministers erlaubte. Er fragte Jassim mit schleppender Stimme, wie alt er sei. Als der antwortete, es sei ebenfalls in den Vierzigern, zeigte Ali auf sein schwarzes Haar und scherzte, sein Gegenüber habe ja bereits graue Haare.
Dem Informationsminister mundete die Bemerkung nicht und er liess uns Journalisten, nach einem kurzen Wink an seine Leibwächter, umgehend vom Tisch entfernen. Latif Jassim, die Kreuz Zehn im Kartenspiel des US-Militärs, das die meistgesuchten Vertreter des Regimes von Saddam Hussein auflistete, sollte nach der Invasion 2003 von den Amerikanern festgenommen werden.
Nicht der Erwähnung wert
Den Verfassern der Nekrologe in den grossen amerikanischen Zeitungen ist Muhammad Alis Bagdad-Mission 1990 nicht der Erwähnung wert. So wenig wie sein gescheiterter Versuch, 1985 während des Bürgerkriegs in Libanon 40 amerikanischen Geiseln zu befreien. Auch „der Grösste“ fände es heute wohl kaum erwähnenswert.
Auf die Kritik, sein Einsatz für die Geiseln im Irak habe lediglich der Befriedigung seines übergrossen Egos gedient, antwortete Ali nach der Rückkehr in die USA, er brauche zwar Publizität, aber nicht, wenn er Gutes tue: „Ich brauche Werbung für mein Buch. Ich brauche Werbung für meine Kämpfe. Ich brauche Werbung für meinen Film – aber nicht, wenn ich den Leuten helfe. Das wäre nicht mehr aufrichtig.“
Nie vereinnahmt
Gegen seine Nachrufer braucht sich Muhammad Ali nicht mehr aufzulehnen. Sie beklagen nicht nur den Tod eines einzigartigen Athleten, sondern auch den einer unbeugsamen Persönlichkeit, die mit ihrer Prinzipientreue weltweit Millionen von Menschen inspiriert hat. „Weisst du, wieviel Charisma du haben musst, um charismatisch zu bleiben, wenn es scheint, als seist du in dir selbst verloren? Während über 30 Jahren hat Ali es geschafft, von einer heimtückischen Krankheit zwar geschwächt, aber nie vereinnahmt zu werden. Nie“, schreibt Jerry Brewer in der „Washington Post“.
„Er konnte einen Raum dominieren, als er der lauteste, schnellste und lustigste Schwergewichtschampion aller Zeiten war. Aber selbst, wenn Schmerzen ihn schweigen liessen, konnte er in der Öffentlichkeit die Aura verändern. Er tat es mit einem Murmeln oder einem Grinsen oder mit der Olympischen Fackel in der Hand 1996 zum Start der Spiele in Atlanta. Am meisten aber tat er es kraft seines Herzens, und das war unübersehbar in der Art, wie er im Boxring einen epischen Kampf nach dem andern ausfocht, in der Art, wie er seine Berühmtheit nicht missbrauchte, um seine Überzeugung zu verleugnen und in der Art, wie er sich einfach um Menschen kümmerte.“ Wie im November 1990 in Bagdad.
Verständnis gegenüber dem Islam fördern
Oder wie noch im vergangenen Dezember, als Muhammad Ali in einem Communiqué den Vorschlag Donald Trumps kritisierte, angesichts des IS-Terrors ausländische Muslime nicht mehr in die USA zu lassen: „Ich rede als jemand, der nie beschuldigt worden ist, politisch korrekt zu sein. Ich glaube, dass unsere Politiker ihre Stellung dazu nutzen sollten, das Verständnis gegenüber der Religion des Islam zu fördern und klar zu machen, dass diese fehlgeleiteten Mörder die Ansichten der Leute pervertiert haben, was der Islam wirklich ist.“