Ob bei der durch die Generalversammlung von Xamax Neuenbrug im Expresstempo besiegelte Übernahme der Aktienmehrheit des Fussballclubs durch den angeblich milliardenschweren Tschetschenen Bulat Tschagajew juristisch und finanziell alles mit rechten Dingen zugegangen ist, kann man als Aussenstehender nicht beurteilen. Der tschetschenische Geschäftsmann, der in Genf mit einer Rohstoff- und einer Immobilienfirma registriert ist, schweigt sich über den Übernahmepreis aus. In einem Interview mit dem westschweizerischen Fernsehen antwortete er auf die indirekt gestellte Frage, ob das Geschäft mit sauberem Geld finanziert werde, er kenne den Unterschied zwischen sauberem und schmutzigem Geld nicht. Geld sei einfach Geld.
Gönner in Neuenburg und in Grosny
Bleibt zu hoffen, dass da wenigstens die zuständigen Finanz- und Steuerbehörden in der Romandie genauer Bescheid wissen wollen, um welche Art von Geld es sich handelt, über die der angebliche Milliardär Tschagajew verfügt. Und ob diese Summen ordentlich versteuert werden. Tschagajew soll bereits seit 1987 – also noch vor dem Kollaps der Sowjetunion – in der Schweiz Geschäfte betreiben.
In dem erwähnten Fernsehinterview antwortet er auf Russisch. Laut Medienberichten soll er weder Französisch noch Englisch sprechen. In der „Handelszeitung“ ist zu lesen, in Branchenkreisen sei der Tschetschene mit seinen beiden Genfer Firmen nicht bekannt. Das Präsidium des von ihm gekauften Xamax überlässt er dem früheren russischen Fussballer Andrei Rudakow, der seit längerem in der Schweiz wohnt und einen Schweizer Pass hat.
Wie gesagt, die juristischen und finanziellen Umstände dieser obskuren Transaktion müssen von den Behörden geprüft werden. Wie aber steht es mit den politischen Verbindungen und Ansichten des neuen Xamax-Besitzers? Tschugajews Aktvitäten als Fussball-Gönner beschränken sich keineswegs nur auf die helvetische Szene. Er ist gleichzeitig Hauptsponsor und (einer von vier) Vizepräsidenten des Fussballclubs Terek Grosny in seiner teschetschenischen Heimat.
Präsident dieses Clubs ist das Oberhaupt (den Titel Präsident lehnt er ab) der russischen Teilrepublik Tschetschenien, der 34-jährige Ramsan Kadyrow. Kadyrow junior regiert seit dem Tod seines Vaters Achmed Kadyrow – dieser kam 2004 bei einem Bombenanschlag im Stadion von Grosny ums Leben - die kleine Kaukasus-Republik mit eiserner Hand. Ramasan Kadyrow sei für ihn, sagte der neue Xamax-Besitzer im Westschweizer Fernsehen, „wie ein Bruder“.
Vorwürfe von Memorial und Human Rights Watch
Eine höchst ominöse Aussage. Denn Ramsan Kadyrow ist nicht irgendein autoritärer Herrscher in der russischen Provinz, sondern ein brutaler Despot – allerdings protegiert von Putin und Medwedew, denen er in der unruhigen Kaukasusrepublik mit rücksichtslosen Methoden prekäre Stabilität gewährleistet. Kadyrows Regime wird von angesehenen Menschenrechtsorganisationen wie der russischen Gesellschaft Memorial oder Human Rights Watch die Verantwortung für unzählige Morde, Entführungen, Erpressungen und einem islamisch verbrämten Gesinnungsterror totalitären Zuschnitts angelastet.
Nicht wenige Kenner der tschetschenischen Verhältnisse sind der Ansicht, dass die – bis heute nicht aufgeklärten – Ermordung der bekannten russischen Journalistin Anna Politkowskaja von Schergen Kadyrows ausgeführt wurde. Die Journalistin hatte in ihren Berichten für die unabhängige Zeitung „Nowaja Gaseta“ die Gewaltmethoden Kadyrows mit schonungsloser Schärfe angeprangert. Auch die Entführung und Ermordung der Menschenrechtsaktivistin Natalja Estemirowa vor zwei Jahren geht wohl auf das Konto Kadyrows und seiner berüchtigten Terrortruppe, den Kadyrowzi. Kadyrow hatte die mutige frühere Lehrerin in Grosny zuvor offen als Feindin beschimpft.
Ende 2008 wurden in Tschetschenien sieben Frauen im Alter zwischen 18 und 30 Jahren mit Kopfschüssen hingerichtet – offenbar wegen angeblicher Verstösse gegen die islamischen Sitten. Kadyrows Menschenrechtsbeauftragter Nuchadschiew erklärte, für Frauen der Bergvölker gelte eben ein bestimmter Verhaltenskodex und männliche Verwandte, die sich durch das Benehmen von Frauen beleidigt fühlten, übten eben Lynchjustiz (NZZ 8.11.2010). Von einer Aufklärung dieser barbarischen Verbrechen ist nichts bekannt.
Teurer Glamour mit ausrangierten Stars
In den beiden Tschetschenienkriegen (1994 bis 1996 und 1999 bis ca. 2006), den die schlecht geführte russische Armee mit rücksichtsloser Gewalt gegen eine verblendete und innerlich zerstrittene „Unabhängigkeitsbewegung“ führte, wurde die Hauptstadt Grosny und zahlreiche Dörfer fast vollständig zerstört. Unter der Herrschaft von Kadyrow junior ist Grosny mit Milliardensummen aus Moskau und erpressten Tributzahlungen der lokalen Bevölkerung in erstaunlich kurzer Zeit neu aufgebaut worden.
Doch hinter dieser glänzenden Fassade ist von einer soliden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erholung des stolzen, geschundenen Kaukasusvolkes – über dessen Tragödie schon Lew Tolstoi in seiner grossen Erzählung „Hadschi Murat“ berichtet – wenig zu entdecken. Die im Krieg zerstörten Industriebetriebe sind nicht mehr aufgebaut worden. Die grosse Mehrheit der arbeitsfähigen Bevölkerung findet keine regelmässige Arbeit. Am ehesten gibt es Anstellungsmöglichkeiten, wenn man sich Kadyrows Sicherheitsapparaten verdingt. Viele Tschetschenen, die keine Existenzgrundlage finden können, ziehen weg in die grösseren russischen Städte oder ins Ausland. Nicht wenige fliehen vor der Repression des Regimes.
Dieweil gefällt es dem Tyrannen Kadyrow, sich selbst und Teile seines geplagten Volkes durch sportliche Inszenierungen mit Hilfe mehr oder weniger ausrangierter Superstars zu vergnügen. So wurde für Kadyrows Fussbalclub Terek Grosny die frühere holländische Stürmergrösse Ruud Gullit als Trainer verpflichtet. Kostenpunkt: Fünf Millionen Franken für zwei Jahre. Dieser Tage sind zum Eröffnungsspiel im neu aufgebaute Achmed-Kadyrow-Stadion in Grosny der frühere argentinische Fussball-Zauberer Maradona und andere angejahrte Grössen eingeflogen worden. Auch der ehemalige Box-Weltmeister Mike Tyson, berüchtigt für seine gewalttätigen Eskapaden, wurde von Kadyrow dem Volk schon als prominenter Gast vorgeführt.
Sind alle Xamax-Fans politisch gleichgültig?
Grosszügig bezahlt für diese und andere zweifellos kostspieligen Show-Einlagen hat offenbar der Hauptsponsor von Terek Grosny und frisch gebackene Besitzer von Xamax, Bulat Tschagajew. Frage: Weiss man in Neuenburg über dieses andere fussballerische Mäzenat des rätselvollen Retters aus Tschetschenien näher Bescheid? Und stört es am Neuenburgersee niemanden, dass der neue Xamax-Boss sich rühmt, mit einem Despoten brüderlich verbunden zu sein, der zumindest für einen Teil der Mord- und Terrortaten verantwortlich ist, die sich in den letzten Jahren in Tschetschenien abgespielt haben? Mag sein, dass viele Fussbalfans solche Zusammenhänge kaum interessieren. Aber sind alle Fussball-Liebhaber im Umfeld von Xamax-Neuenburg politisch derart gleichgültig?