Der Januar ist schon fast ins Land gegangen, und es gab noch keinen Krisengipfel in Brüssel. Griechenland macht gute Fortschritte, nicht morgen schon, sondern erst übermorgen Staatsbankrott erklären zu müssen. In Italien wird mal wieder gewählt. In Spanien entwickelt sich ein Korruptionsskandal mit schwarzen Konten der Regierungspartei in der Schweiz, war da mal was mit Immobilienkrise? Der deutsche Exportmotor lässt ein paar Fehlzündungen knattern, aber das «Dschungelcamp» ist da doch wichtiger. Und der Euro setzt zum Höhenflug gegenüber dem Franken an. Also endlich wieder Business as usual in Europa.
Nur eine Zahl
Greifen wir aus der desaströsen wirtschaftlichen Statistik des Jahres 2012 der Eurozone nur eine Zahl heraus. Die durchschnittliche Arbeitslosenquote ist auf rund 11 Prozent gestiegen. Neuer Europarekord. Wenn man dazuzählt, dass in Drittweltländern wie Griechenland, Spanien oder Süditalien damit nur Werktätige erfasst werden, die nicht schon längst in den informellen Wirtschaftssektor abgetaucht sind und in keiner Statistik mehr erscheinen, handelt es sich in Wirklichkeit eher um 20 oder 30 Prozent. In Griechenland und Spanien (Italien arbeitet hart daran) liegt die Jugendarbeitslosigkeit offiziell bei über 50 Prozent. Eine ganze Generation wächst ohne gestaltbare Zukunft heran.
Und überhaupt
Diese Generation wächst zudem in eine Zukunft hinein, in der die Zeche für ungeheuerliche wirtschaftliche Verbrechen bezahlt werden muss. Mit nur durch einen massiven Schuldenschnitt oder eine galoppierende Inflation reduzierbaren Staatsschulden. Mit einem ungezügelten und unkontrollierten Finanzsystem, das nach der letzten Katastrophe bereits fleissig an der nächsten arbeitet. In ein politisches System in Europa, in dem die Untertanen der EU-Staaten von demokratisch völlig unlegitimierten Abkürzungen wie EFSF, ESM oder EZB regiert werden. So bringt es der Altmeister Hans Magnus Enzensberger auf den Punkt. Und dazu Sozial- und Rentenversprechungen, von denen jeder denkende Beitragszahler weiss: Niemals werde ich mein Geld wiedersehen.
Alternativlos
Das eigentliche Unwort des Jahres 2012 ist «alternativlos». Gleichzeitig, wenn man es richtig anwendet, beinhaltet es die ganze Wahrheit. Nicht das Gehampel der angeblich von den «Märkten» getriebenen Regierenden ist alternativlos. Sondern das Endergebnis. Es heisst Katastrophe. Es heisst Chaos. Es heisst Unregierbarkeit. Es heisst Entstaatlichung, Faustkampf und Entstehen von rechtsfreien Räumen. Die Folgen von wirtschaftlichen Fehlentscheidungen, die Konsequenzen einer Fehlgeburt wie des Euros stellen sich erst irgendwann ein – vor allem, wenn man mit Notenpresse und Niedrigzinspolitik zwei mächtige Mittel in der Hand hat, die Wirkung von tödlichen Fehlentscheidungen hinauszuzögern. Der genaue Zeitpunkt ist unvorhersehbar. Aber das Ende ist genauso unausweichlich wie bei einem komatösen Patienten, der künstlich am Leben erhalten wird.
Und die Schweiz?
Aber der Euro ist doch erstarkt, bewegte sich in den letzten Wochen von 1.20 Franken auf 1.25 hinauf, das ist doch ein positives Zeichen. Leider nur, wenn man diese Entwicklung oberflächlich betrachtet und falsch interpretiert. Wäre er wirklich erstarkt, müssten dahinter ja wirtschaftliche Fundamentaldaten stehen, die diese Erklärung zuliessen. Da es die nicht gibt, muss der Grund woanders liegen. Man muss nicht weit suchen: Der US-Staat schrammt an der Zahlungsunfähigkeit entlang, das drückt die erste Weltwährung Dollar. Die japanische Zentralbank öffnet mal wieder die Geldschleusen, das wirkt auf die zweite Weltwährung Yen. Und Spekulanten retten sich aus ihren Wetten auf einen fallenden Euro. Also handelt es sich um ein Strohfeuer. Ausserdem ist ja der Franken nicht plötzlich schwächer geworden.
Gibt es Hoffnung?
Auch da muss man, zugegeben mit etwas Zweckoptimismus, Enzensberger zustimmen. Europa mit seiner halben Milliarde Einwohnern hat schon andere Katastrophen überstanden. Blutige, zerstörerische, Ruinenlandschaften hinterlassende Desaster. Und ist immer wieder aus Trümmergebirgen auferstanden. Schön zu wissen, dass Europa nicht untergehen wird. Diese Hoffnung hilft allerdings der arbeitslosen jungen Generation in Europa nicht wirklich. Nach dem verpassten Einstieg in ein selbstbestimmtes Leben muss sie dann zuerst noch die Zeche für die Verbrechen ihrer Eltern zahlen. Dann die Trümmer wegräumen und den Wiederaufbau starten. Nicht gerade eine fröhliche Perspektive.
Eskapismus
Flucht aus der Realität, die Ersetzung der Wirklichkeit durch mediale Scheinwelten ist in solchen Zeiten für viele das Mittel der Wahl. Die Erklärung dafür, wieso weltweit über eine Milliarde Menschen bei reinen Zeitvernichtungsmaschinen wie Facebook, Twitter und Co. den tristen Alltag durch virtuelle Scheingeselligkeit ersetzt. Der Grund dafür, wieso in Deutschland Trash-TV auf der untersten Ebene Rekordeinschaltquoten verzeichnet. Wieso Millionen gebannt mitverfolgen, welcher abgetakelte D-Promi in einem von kranken Gehirnen ausgedachten «Dschungelcamp» an hirnrissigen Mutproben scheitert. Wobei, das Fressen von Insekten und unaussprechlichen Tierbestandteilen könnte schneller als von vielen vermutet Bestandteil ihrer Lebenswirklichkeit werden.