Buhlschaft. Was für ein Wort! Irgendwie aus der Zeit gefallen … irgendwie ein bisschen anzüglich … Laut Duden ist es ein «Liebesverhältnis», eine Affäre, ein Flirt. Aber der Duden sagt auch klipp und klar: «veraltet». Alles andere als veraltet ist die «Buhlschaft» in Salzburg, wo jedermann zuschauen kann, wie sie im «Jedermann» hemmungslos ihre Verführungskünste einsetzt. Und dies seit nunmehr 104 Jahren, also seit der Gründung der Salzburger Festspiele.
Und da ist sie, die «Buhlschaft» des Jahres 2024: Deleila Piasko, apart, eine junge Frau mit dunklen Haaren, mitten im Mittagsgewusel vor dem Festspielhaus. «Grüezi», sagt sie, denn sie ist Schweizerin. Und sie ist die 38. Buhlschaft seit 1920.
In einer ruhigen Ecke des Stifts St. Peter sitzen wir am schweren Holztisch. Wie sie denn zu dieser Rolle gekommen ist, frage ich Deleila Piasko. Hat da eines Tages das Telefon geläutet und jemand sagte: Hier sind die Salzburger Festspiele, wollen sie die «Buhlschaft» spielen? «Genau so ist es gewesen», sagt sie und lacht. «Ganz genau so! Ich wünschte, ich könnte eine spannendere Geschichte erzählen, aber es war ganz simpel. Robert Carsen, der Regisseur, hatte mich gesehen und sagte, ich wäre genau das, was er sich für die Buhlschaft vorstellte. Ich habe mich natürlich sehr gefreut. Und ich habe schnell gewusst, dass diese Rolle eine Erfahrung ist, die ich in meinem Leben machen möchte …» Und sie hat zugesagt.
Zürich, Berlin, Wien, Salzburg …
Aufgewachsen ist Deleila Piasko in Kilchberg als Tochter eines Physikers und einer Tänzerin. Die Mutter erkannte früh, dass auch die Tochter gern tanzte, sich verkleidete und Rollen spielte. Das Kindertheater Metzenthin war dann der nächste Schritt. Von da an ging es geradlinig weiter: Hochschule für Schauspielkunst in Berlin, Volksbühne Berlin, Stadttheater Bern, Staatsschauspiel Dresden und schliesslich fest im Ensemble des Wiener Burgtheaters. Dann TV-Produktionen, Filme. Zuletzt drehte sie unter der Regie von Thomas Imbach in Basel den Film «Lili», der auf der Erzählung von Arthur Schnitzlers «Fräulein Else» beruht.
Und nun also die Buhlschaft im «Jedermann». Die Anfrage war zwar überraschend für Deleila Piasko gekommen, aber: «Als ich am Burgtheater engagiert war, wurde gerade Caroline Peters als Buhlschaft ausgewählt und ich bewundere ihre Arbeit sehr ... da habe ich gedacht, wow …! Also mir ist die Bedeutung dieser Rolle bewusst, aber darauf hingearbeitet habe ich nicht, das war nicht in meinem Blickfeld …»
Die Rolle der Buhlschaft ist genau genommen recht klein, aber die Aufmerksamkeit des Publikums beträgt mindestens 200 Prozent. Eine knappe halbe Stunde steht Deleila Piasko auf der Bühne. Wie schwierig ist das für sie?
«Schwierig? Ich weiss nicht, ob das der richtige Begriff ist … Ich würde sagen, es ist ein bisschen verwunderlich, ein bisschen unproportional. Ich habe manchmal den Eindruck, als hätte ich zwei Jobs: Der eine ist die Arbeit auf der Bühne, der andere all diese Medienereignisse, Interviews und Events, die ich besuche … ich nehme das alles mit, weil es interessant ist, das alles zu erleben. Man wird auf den Sockel gestellt … und fühlt sich auch geschmeichelt. Und man lernt auch viel durch all diese Begegnungen.»
Also ist die Buhlschaft eine Traumrolle? «Ich würde nicht sagen, es ist DIE Traumrolle. Aber es ist ein Sich-Einreihen mit so vielen grossartigen Schauspielern, in diese lange Tradition, es ist auch eine Ehre, ein Teil der Salzburger Festspiele zu sein … das ist wirklich etwas Besonderes. Dafür bin ich dankbar, auch wenn es mir manchmal ein bisschen zu viel wird. Aber die Zeit vergeht ganz schnell, es ist wie ein Rausch.»
Jedermann geht mit der Zeit
Gleichzeitig sind «Jedermann» und seine «Buhlschaft» auch Spiegel ihrer Zeit, sie verkörpern den Zeitgeist, der sich verändert, Bühnenbild und Kostüme sind anders, nur das Ende, der unausweichliche Tod, bleibt immer gleich. In Bezug auf ihre Interpretation der Buhlschaft sagt Deleila Piasko: «Ich bin eine Frau meiner Zeit und bewege mich dementsprechend. Ich bin aber eine von vielen, DIE moderne Frau gibt es nicht. Ich denke, es muss facettenreich bleiben, aber ich möchte es nicht verallgemeinern.»
Sehr eindrücklich findet sie persönlich die Partyszene, da gibt es wilden Breakdance und die Buhlschaft schmachtet mit Jedermann in einem Tango dahin … «Carpe diem», sagt sie etwas nachdenklich. «Von der Lebenslust, von der Freude zum Memento mori … Dieser Kontrast: Wenn auch die Buhlschaft Jedermann verlässt, und Jedermann merkt, dass er nicht mehr zu retten ist und dass er dem Tod gehört …»
Buhlschaft trifft auf Wirbelwind
Wieviel Freiheit hatte sie denn selbst bei der Interpretation der Buhlschaft? Wie weit konnte sie ihre Vorstellungen umsetzen? Sie lacht und überlegt lang. «Also ich bin sehr neugierig und versuche auch während der Vorstellung immer wieder Neues. Natürlich ist in dieser Inszenierung sehr vieles klar choreographiert. Es ist wie eine Partitur. Ich finde, es ist auch ein MUSS und der Reiz der Bühne, die Dinge auch immer wieder neu und frisch zu denken. Diese Figur hat keinen grossen Monolog, alles was bei dieser Figur stattfindet, findet im Zusammenspiel mit Jedermann statt.»
Nun ist ja Philipp Hochmeir ein absoluter Wirbelwind als Jedermann, wie ist denn das für sie? «Ich glaube, wir haben beide tolle Kräfte und lassen uns von Energie und Freiheit und Temperament und Spiellust antreiben!»
Und was ist letztlich das Aufregendste für sie am «Jedermann»?
«Also dieser Domplatz, das ist wirklich etwas Besonders. Ich habe das erste Mal unter freiem Himmel gespielt und das war am Anfang eine Herausforderung: dieser Widerstand der Wände, der Raum, den man füllen muss, er ist ja nicht hermetisch abgeschlossen, man merkt manchmal gar nicht, wo die Energie hinfliesst. Es hat so eine Mystik, es ist so monumental. Dort zu spielen ist schon etwas Besonderes, auch durch die Witterung, wenn es eindunkelt oder zu regnen beginnt …»
Nach verschiedenen Film-Drehs hat sie aber gerade auch das Live-Element des «Jedermann» geschätzt. «Auch wieder die Erfahrung machen zu können, zu proben, auf der Probenbühne zu stehen und etwas auszuprobieren, dieser Ensemblegeist …, da habe ich wieder Blut geleckt, das Adrenalin, das einem durch den Körper schiesst, die Leute zu spüren, den Raum einzunehmen und zu wissen, wenn man springt, dann muss man schwimmen …»
Deleila Piasko strahlt und sagt, das alles habe sie vor Salzburg so vermisst.