Ministerpräsident Haidar al-Abadi hat den Krieg gegen den IS als beendet und gewonnen erklärt. Dies trifft insofern zu, als der IS im Irak kaum mehr eine territoriale Präsenz innehat. Anscheinend haben seine letzten Kämpfer im Grenzgebiet zwischen dem Irak und Syrien Zuflucht gesucht, tief im Inneren der Syrischen Wüste. Möglicherweise gibt es dort noch gegen dreitausend IS-Bewaffnete.
Wiedererstandene Grenze zu Syrien
Die irakische Armee sucht die syrische Grenze, die der IS auf der Höhe seiner Macht als aufgehoben erklärt hatte, wieder ihrer ganzen Länge nach abzusichern und dieser IS-Leute habhaft zu werden.
Auf der syrischen Seite der Grenze stehen meist Truppen der SDF, das heisst der Syrischen Demokratischen Kräfte, die zur Mehrheit aus syrischen Kurden bestehen, zur Minderheit aus mit diesen zusammenarbeitenden Arabern. Sie erhalten zurzeit noch Unterstützung von der amerikanischen Luftwaffe sowie die Hilfe amerikanischer Berater und Sondertruppen auf dem Boden.
Der südlichste Sektor dieser Grenze jedoch – wo die Grenzlinie das Euphrattal überquert und in den Wüsten südlich davon – befindet sich in der Hand der syrischen Regierungsarmee, die ihrerseits Hilfe von der russischen Luftwaffe erhält.
Der irakische Krieg gegen den IS ist insofern nicht abgeschlossen, als es nach wie vor eine Untergrundpräsenz von IS-Terroristen gibt, die bereit sind, Selbstmordanschläge durchzuführen, und offenbar vorläufig auch in der Lage, solche zu organisieren. Bagdad bleibt ihr bevorzugtes Ziel. Doch Anschläge kommen auch weiter im Süden vor, im Inneren der von Schiiten bewohnten südlichen Provinzen sowie im Norden in den neu dem IS entrissenen Landesteilen.
Spannungen mit Kurden
Neben dem IS-Krieg, der noch voll bereinigt werden muss, gibt es auch das gespannte, kriegsträchtige Verhältnis zu den irakischen Kurden. Die meisten der zwischen Kurden und Bagdad umstrittenen Gebiete, einschliesslich der Erdölstadt Kirkuk, hat die irakische Armee am 19. Oktober dieses Jahres den kurdischen Peschmerga entrissen, nachdem Streit über das „Unabhängigkeits“-Referendum ausgebrochen war, das die Kurden durchgeführt hatten.
Doch es gibt noch einige kleinere „umstrittene Gebiete“ in der nördlichen Provinz Ninive (Hauptstadt Mosul), die in der Hand der Peschmerga verblieben sind. Wie der Streit zwischen Bagdad und irakisch Kurdistan weitergeht, ist zurzeit ungewiss. Beide Seiten versuchen zunächst, ihn mit friedlichen Mitteln zu lösen. Doch er bleibt völlig ungelöst.
Iran kontra USA
Die wichtigste Bruchlinie, die es für den Irak in der Nachkriegszeit zu überwinden gilt, ist jene zwischen dem iranischen Einfluss und dem der USA. Wie gefährlich dieser Gegensatz ist, zeigt der Umstand, dass es im Land bewaffnete Gruppen gibt, die Iran zuneigen und von Iran gestützt und teilweise unterhalten werden, während andere sich von den Amerikanern ausbilden lassen.
Amerikanische Ausbilder wirken in der regulären irakischen Armee und suchen diese kampffähig zu machen. Es waren amerikanisch ausgebildete Elitetruppen von Armee und bewaffneter Polizei, welche zu Lande die Hauptlast der Belagerung von Mosul trugen. Diesen Kämpfern kamen jeweils die Flugzeuge der amerikanischen Koalition zu Hilfe, wenn sie Luftschläge gegen Stellungen und Heckenschützen des IS anforderten.
Vermutlich stehen diese Kampfflugzeuge weiterhin jenen irakischen Truppen zur Verfügung, die sich gegenwärtig bemühen, die Wüste, soweit es gehen mag, von den letzten IS-Kämpfern zu säubern. Was nachher geschehen soll, ist unklar. Präsident Trumps Absichten sind unbekannt, und viel dürfte auch davon abhängen, ob der Ministerpräsident weiterhin amerikanische Ausbilder für seine Armee anfordern will und welche Bedingungen dafür ausgehandelt werden.
Milizen: Terroristen oder Sicherheitsfaktoren?
Zurzeit erklären die Amerikaner, ihrer Ansicht nach sollten die irakischen Milizen der sogenannten Volksmobilisation aufgehoben werden. Milizionäre, die weiter als Militärs zu dienen gedächten, sollten in die reguläre Armee eingegliedert werden. Doch die Anführer der mächtigsten der Milizen widersprechen laut. Am vergangenen Samstag erklärte der Stellvertretende Kommandant der Volksmilizen, Abual-Mahdi al-Muhandis: „Wir brauchen militärische Kräfte, die erfahren sind in Kämpfen gegen Terroristen und gegen alle Bedrohungen von aussen, und wir müssen genügend Kräfte aufrechterhalten. Wir sehen unsere Rolle als ergänzend zu derjenigen der Armee. Sie können nicht kämpfen ohne uns, und wir nicht ohne sie!“
Fast gleichzeitig hat ein Mitglied des amerikanischen Senats ein Gesetz vorgeschlagen, durch das gewisse irakische Volksmilizen wie jene, die sich „Asaib Ahl al-Haqq“ und „Harakat Hizbullah an-Nujaba“ nennen, („Scharen der Anhänger der Wahrheit“ und „Bewegung der Edlen der Partei Gottes“) zu Terroristen erklärt werden sollen. Der Anführer dieser zweitgenannten Gruppierung, Akram al-Kaabi, wurde schon 2008 von den USA als Terrorist klassifiziert.
Der Chef einer der bekanntesten dieser Milizen, der pro-iranischen „Badr Brigade“, Hadi al-Amri, verweist auf einen Widerspruch, den er in der Haltung der USA sieht, weil diese erklären, sie selbst seien unentbehrlich für die irakische Armee, während die Volksmobilisation entbehrlich sei. „Diese Doppelmoral muss aufhören!“, donnerte er. „Wir erleben zurzeit die letzten Tage des IS, doch es wäre falsch zu denken, das Ende von IS sei das Ende der Angelegenheit!“ Welche Angelegenheit er meint, sagte er nicht.
Übergewicht der Schiiten
Gesamthaft gibt es zur Zeit 140’000 Angehörige der Volksmobilisation. Von ihnen sind 34’000 Mann sunnitische Kämpfer und rund 10'000 Angehörige der Minderheiten wie Christen, Schabak und Jesiden, alle in ihren eigenen Einheiten. Die übrigen knapp 100’000 sind Schiiten.
Doch auch unter den Schiiten gibt es Unterschiede. Manche von ihren Milizen sind loyal gegenüber dem irakischen Grossayatollah Sistani und anderen irakischen Geistlichen, andere jedoch neigen dem iranischen „Herrschenden Gottesgelehrten“ Khamenei zu. Letztere werden direkt von Iran unterstützt.
Seit dem vergangenen Sommer sind die Milizen der Volksmobilisation durch einen Parlamentsbeschluss reguläre Angehörige der irakischen Streitkräfte, und Ministerpräsident Haidar al-Abadi gilt formell als ihr Oberbefehlshaber. Doch sie stehen weiterhin unter ihren eigenen Anführern und rekrutierten ihre eigenen Mannschaften. Der Staat bezahlt gegenwärtig jedem Milizsoldaten den Gegenwert von 500 Dollar im Monat. Die regulären Armeesoldaten erhalten das Doppelte, doch es gibt Bestrebungen im Parlament, ihren Sold auf den Gegenwert von monatlich 2’000 Dollar zu erhöhen.
Muqtada as-Sadrs Wandlungen
Neben diesen Milizen, die im Krieg gegen den IS mitgekämpft haben, gibt es noch die Anhänger des schiitischen Geistlichen Muqtada as-Sadr. Er verfügt über eine grosse Zahl von ihm fanatisch ergebenen Gefolgsleuten, meist aus den schiitischen Elendsvierteln der Grossstädte Bagdad und Basra. Zur Zeit der amerikanischen Besetzung kämpften sie gegen die Amerikaner, später hat Sadr sie in ein Friedenscorps umgewandelt und eingesetzt für Demonstrationen gegen die Korruption der irakischen Politiker.
Zur Zeit der Bedrohung Bagdads durch den IS, im Sommer 2014, wurden Teile der Sadr-Anhänger wieder bewaffnet und auch als Volkserhebungsmiliz mobilisiert. Doch Sadr will sie nun wieder entwaffnen und nicht als permanent bewaffnete Gruppe aufrechterhalten. Ihre Zahl ist nicht in den 140’000 der gegenwärtigen Volksmobilisation inbegriffen. Sie waren in den südlichen Städten und in der Hauptstadt verblieben und hatten nicht am Feldzug gegen den IS teilgenommen. Ihr Chef, Sadr, ist heute ein irakischer Nationalist, der für den Zusammenhalt der drei Bevölkerungsgruppen des Iraks unter einer zentralen Regierung in Bagdad eintritt.
Glaubwürdige und populäre Milizenführer
Die Milizen und ihre Anführer sind im Irak populär, natürlich vor allem bei den Schiiten. Ihre Führer gelten nicht als korrupt und auf eigenen Vorteil bedacht, wie es den meisten Politikern, auch den ins Parlament gewählten keineswegs ohne Grund nachgesagt wird.
Die Bevölkerung des Südens und Bagdads erinnert sich auch daran, dass die irakische Armee nach der Überrumpelung von Mosul durch den IS im Sommer 2014 zusammenbrach, und dass es einzig die damals nach Aufrufen von Sistani entstandene Volksmobilisation war, die dafür sorgte, dass Bagdad und der Süden des Iraks gegen den IS verteidigt wurden.
Im kommenden Frühling und Sommer stehen lokal- und Parlamentswahlen bevor. Viele der Parlamentarier versuchen mit Milizführern ein politisches Bündnis zu schliessen, weil sie bessere Chancen haben, Stimmen zu gewinnen, wenn Milizführer für sie eintreten.
Verdeckte ethnische Säuberungen?
Gegen einige der Milizen wurden Vorwürfe erhoben, sie hätten Racheaktionen an Sunniten in den vom IS befreiten Ortschaften und Städten durchgeführt. Ihren Opfern werfen sie vor, sie gehörten zum IS oder sie hätten mit diesem sympathisiert. Die Milizführer geben zu, dass gelegentlich „Fehler“ gemacht worden seien.
Die Ankläger versichern jedoch, es handle sich um viel mehr. Sie behaupten, diese Milizen versuchten in bestimmten, bisher von Sunniten bewohnten Regionen und Ortschaften schiitische Mehrheiten zu konstruieren, indem sie den wegen der Kriegsaktivitäten geflohenen Zivilisten verböten, nach der Befreiung in ihre Heimatorte zurückzukehren. Der Haus- und Landbesitz dieser Geflohenen werde von schiitischen Neusiedlern in Besitz genommen.
Derartige Versuche ethnischer Säuberung kommen vor allem in der sunnitisch-schiitisch gemischten Provinz Diyala vor. Sie liegt nordöstlich von Bagdad und reicht bis an die iranische Grenze.
Unbewältigte Schuldfragen
Die Frage, was mit den Angehörigen von IS-Kämpfern und mit gefangenen Kämpfern geschehen soll, ist heikel. Manchmal wurden Flüchtlinge und Gefangene erschossen, was einem Kriegsverbrechen gleichkommt. Als Regel gilt, dass gefangene IS-Kämpfer und Behörden in besondere Lager verbracht werden, wo sie – ohne Zweifel nicht bei bester Behandlung – ihre Aburteilung durch Richter erwarten. Ihre Frauen und Kinder kommen in gesonderte Lager. Bei ausländischen IS-Leuten, bei Frauen aus anderen islamischen Staaten oder auch aus Europa – oftmals mit kleinen Kindern –, versucht der Irak, sie in ihre Ursprungsländer abzuschieben.
Es kommt oft vor, dass Anklagen gegen Flüchtlinge erhoben werden, wonach diese in Wirklichkeit Mitglieder oder Sympathisanten des IS seien und versuchten, sich unter die Masse der zivilen Fliehenden zu mischen. Das kann zutreffen, es kann sich bei derartigen Anschuldigungen aber auch um Racheaktionen gegen alte Feinde handeln.
Dabei gibt es schwer zu beurteilende Grenzfragen, wie: Wer war ein Sympathisant? Wer machte unter Zwang mit? Was hat die angeklagte Person im Dienst des IS getan, was hat sie unterlassen? – Offiziere der regulären Armee und solche der Milizen können in solchen Belangen bestenfalls summarisch Gerechtigkeit üben. Entscheide jedoch, die nach dem Empfinden der sunnitischen Bevölkerungsteile ungerecht ausfallen, sind gefährlich. Kommen sie allzu oft vor, drohen sie erneut Wasser auf die Mühlen des IS oder künftiger vergleichbarer Gruppierungen zu leiten.
Fallstricke des Wiederaufbaus
Mit derartigen Fragen verbunden sind die Probleme des Wiederaufbaus. Die Bewohner der zerstörten Städte und die aus ihnen Geflohenen sind fast ausschliesslich Sunniten. Sie erhielten Versprechungen von Seiten der Regierung, dass ihnen beim Wiederaufbau geholfen werde. Doch die versprochenen Kompensationen, etwa für zerstörte Häuser und Wohnungen, treffen nur selten und langsam ein. Kommt dann doch Hilfe, vermuten die bisher leer ausgegangenen Nachbarn, der Betreffende hätte eine Vorzugsbehandlung erlangt, wahrscheinlich auf krummen Wegen.
Da es viel Korruption gibt, herrscht beständig Korruptionsverdacht. Der Ministerpräsident, Haidar al-Abadi, hat erklärt, nach dem Sieg über den IS sei der nächste Schritt die Korruptionsbekämpfung.
Doch es fehlt auch einfach das Geld, um allen Bedürfnissen der gründlich zerstörten Städte nachzukommen, die nun vom IS befreit worden sind. In den meisten der dem IS entrissenen Ortschaften konnte nicht einmal die Infrastruktur für Wasser und Abwasser oder die Elektrizitätsversorgung wiederhergestellt werden.
Zweieinhalb Jahre Krieg gegen den IS
Die Rückeroberung von Süden nach Norden hatte schon im April 2015 mit der Provinzhauptstadt Tikrit begonnen. In der Endphase des Krieges gegen den IS wurde im vergangenen Juli Mosul von der regulären Armee und kurz darauf auch die letzte der irakischen Städte des Nordens, Tel Afar, durch die Milizen der Volksmobilisation eingenommen. Danach erfolgte noch ein Feldzug dem Euphrat entlang aufwärts bis zur syrischen Grenze, beendet am 13. Dezember dieses Jahres.
Gegenwärtig läuft der Versuch, den IS aus dem Wadi Hauran zu vertreiben. Dies ist ein beinahe immer wasserloses Wüstental, tief eingeschnitten und mit Höhlen ausgestattet. Der Wadi ist in seinem irakischen Teil 350 Kilometer lang. Er beginnt in Jordanien, im Grenzraum des Dreiländerecks von Saudi-Arabien, Jordanien und dem Irak und zieht sich hin bis an den Euphrat nahe der Stadt Haditha unterhalb der syrischen Grenze. Er scheint der IS-Führung als letztes Versteck zu dienen. Das Wüstental befand sich seit Juni 2014 im Besitz des IS.
Wiedereingliederung der Sunniten
Mit dem Ende der Kämpfe rücken die Fragen des Wiederaufbaus und der künftigen Ordnung des Iraks ins Zentrum. Sie hatten sich schon zuvor gestellt. Doch die militärische Aktion überschattete sie. Nun muss sich zeigen, ob das Land in der Lage ist, den sunnitisch-arabischen Teil seiner Bevölkerung, zwischen sieben und acht Millionen Menschen, wieder als Vollbürger in den irakischen Staat einzuverleiben. Bisher ist dies misslungen. Seitdem das Land zur Zeit der amerikanischen Besetzung in den Jahren 2006 und 2007 in zwei Teile zerfiel, kämpften Sunniten und Schiiten gegeneinander. Nach dem Abzug der Amerikaner von 2010 fanden die beiden Religionsgemeinschaften nicht zusammen, weil der damalige Ministerpräsident, Nuri al-Maleki, die Schiiten privilegierte und mit ihrer Untrstützung das Land zu beherrschen suchte.
Die Schiiten bilden eine knappe Mehrheit von etwa 55 Prozent der rapide anwachsenden irakischen Bevölkerung von beinahe 40 Millionen. Gegenwärtig zählen die Schiiten rund 22 Millionen. So gut wie alle Schiiten sind arabophon. Die Sunniten jedoch sind geteilt in gut sieben Millionen Araber und knapp sieben Millionen Kurden. Der IS hatte die Ressentiments der arabischsprechenden Sunniten ausgenützt, um in Mosul, der grössten sunnitischen Stadt des Iraks, die Macht zu erlangen. Etwas später hatte er dann auch die wichtigsten anderen sunnitisch-arabischen Städte beherrscht. Es sind daher die sunnitischen Städte und Provinzen, die am meisten durch den Krieg zu leiden hatten. Sie sind heute weitgehend zerstört. Viele ihrer Bewohner befinden sich noch immer in Lagern.
Gefahr neuer Zusammenbrüche
Wenn der Wiederaufbau erfolgreich verliefe, könnte Bagdad die Loyalität der Sunniten zurückgewinnen. Doch wenn er zögerlich oder gar nicht vorankommt, werden die Ressentiments der arabischen Sunniten noch weiter anwachsen. Sie würden in diesem Fall an ihrer alten Meinung festhalten, es seien immer die Schiiten, welche in Bagdad regierten und darauf aus seien, sie – die Sunniten – zu benachteiligen. Ginge es jedoch mit dem Wiederaufbau voran, so verbesserten sich die Aussichten, dass der irakische Staat wieder zusammenzufinden vermag und als Staat fortexistieren kann.
Im anderen Fall droht ein Zusammenbruch. Die Kurden fordern ohnehin ihren eigenen Staat, und die arabischen Sunniten werden in Unzufriedenheit und Ressentiment leben und möglicherweise aufbegehren. Der schiitische Süden würde in weitere Abhängigkeit von dem grossen iranischen Nachbarn geraten. Das Land könnte dann leicht, wie heute schon Jemen, zu einer blutigen Arena werden, in der die sunnitisch-schiitische Rivalität ausgetragen wird, mit den Golfstaaten und Saudi-Arabien auf der sunnitischen und Iran auf der schiitischen Seite.
Der Wiederaufbau der sunnitischen Landesteile und mit ihm die Wiedereingliederung der arabischen Sunniten wird aber jedenfalls schwierig werden. Er benötigt grosse Summen, über welche der irakische Staat angesichts der relativ niedrigen Erdölpreise nicht verfügt. Wenn die Korruption nicht rasch und gründlich gemeistert werden kann, wird ausserdem noch ein grosser Teil der Gelder denen zufallen, die sie auf ihre Mühlen zu leiten wissen. Das würde für weitere Ressentiments bei den durch den Krieg in erster Linie geschädigten arabischen Sunniten sorgen.
Fehlende Gelder
Um nur Mosul zu nehmen: Die Uno hat versucht, 985 Millionen Dollar für eilige humanitäre Hilfe zu erhalten, die dem Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur der Stadt dienen sollte. Sie konnte aber nur Zusagen (nicht Auszahlungen) von Geberstaaten in der Höhe von 423 Millionen mobilisieren.
Die irakische Verwaltung spricht davon, dass ein Wiederaufbauplan für die gesamten befreiten Gebiete etwa 100 Milliarden Dollar kosten würde. Sie hofft in Zukunft grosse Teile dieser Summen durch Investitionen aus dem Ausland aufzubringen. Doch die Wirtschaftsstruktur des Landes in ihrer gegenwärtigen Form ist für private Anleger ungünstig. Der Staat dominiert die gesamte Wirtschaft durch das ihm unterstehende Erdölwesen. Dieses bringt auch fast das gesamte Staatseinkommen ein. Die leitenden Posten werden oftmals auf Grund von politischen Verteilungskämpfen und Kompromissen besetzt, nicht auf der Grundlage fachlicher Kompetenz.
Nur ein Beispiel: Staatliche Misswirtschaft hat dazu geführt, dass Bagdad seit den Zerstörungen durch die amerikanische Invasion von 2003 noch immer mit ungenügender Elektrizitätsversorgung zu kämpfen hat. Wer es sich leisten kann, betreibt nach wie vor seinen eigenen privaten Generator.
Um bedeutende Summen von privaten Anlegern aus dem Ausland zu erhalten, müsste das Land seine Wirtschaft umbauen. Manche Politiker und Wirtschaftsfachleute sind der Ansicht, dass der Irak dies nicht schaffen kann und deshalb die Gelder für seinen Wiederaufbau in Iran oder, wie andere es sehen, in Russland oder in China suchen müsste.