Die Annäherung zwischen den USA und Kuba ist der Anfang vom Ende einer ebenso innigen wie absurden Feindschaft.
Steckte der Keim des Zerwürfnisses in einer Zehndollar-Note? Mitte der dreissiger Jahre des vorigen Jahrhunderts bat der damals neunjährige Fidel Castro den Präsidenten der Vereinigten Staaten, Franklin Delano Roosevelt (1882-1945), um einen solchen Schein. „Mein lieber Freund Roosevelt“, schrieb der Schüler des Instituts La Salle im fernen Santiago de Cuba, ich spreche zwar wenig Englisch, aber wage es dennoch, Ihnen zu schreiben... Ich hätte gerne, dass Sie mir zehn Dollar schicken, denn ich habe noch nie einen Zehndollarschein gesehen; und ihr Autogramm. Fidel.“ Der kleine Kubaner bekam zwar eine Antwort, aber kein Geld. „Vielen Dank für Ihren Brief“, beschied ihm Roosevelt nach ein paar Wochen, „aber ich kann ihnen kein Geld schicken.“
Castros Ehrgeiz
Diese Episode, schrieb der 2011 gestorbene Exilkubaner Eliseo Alberto in einem Essay, habe Fidel Castro auch noch im hohen Alter verärgert erzählt. „Vielleicht hätten zehn Dollar die Geschichte Kubas verändert“, mutmasste der Schriftsteller, der durch seine Autobiografie „Rapport gegen mich selbst. Ein Leben in Kuba.“ bekannt geworden war.
Wohl kaum. Castro, der am 13. August 1926 auf einer Hazienda namens Macanas im kleinen Dorf Birán zur Welt kam, fühlte sich bereits in jungen Jahren zum Revolutionär berufen. Schon in der Schule bei den Jesuiten fiel er durch seinen Machttrieb, den Siegeswillen und die Entschlossenheit, in allem der Erste zu sein, auf. Er wollte der Wegbereiter einer besseren Welt sein und glaubte, seinem Volk um dieses Zieles willen jedes Opfer abverlangen zu dürfen.
Machttrieb und missionarischer Eifer
Castro hat Kuba Anfang 1959 von einer Gewaltherrschaft befreit, aber danach – getrieben von unbändigem Machtwillen und missionarischem Eifer – selbst mit harter diktatorischer Hand regiert. Dank ihm und seinen Mitkämpfern erlangte die Karibikinsel wahre Souveränität, blieb sie nicht länger ein „Luxusbordell“ der Vereinigten Staaten.
Der Líder Máximo war jedoch nicht willens und fähig, in seinem Land eine echte Demokratie aufzubauen. Persönliche Freiheit blieb und bleibt bis heute den Bedürfnissen der Revolution untergeordnet. Seine Anhänger heben zu Recht immer wieder seine Verdienste im Gesundheitswesen und im Bildungssektor hervor. Diesen konkreten sozialen Erfolgen stehen aber ein ausgeklügeltes Bespitzelungssystem und ein brutaler Repressionsapparat gegenüber. Zahlreiche Andersdenkende landeten im Gefängnis, weil das Regime sich von ihnen in seinen Herrschaftsansprüchen gefährdet sah. Rund zwei Millionen Kubaner leben im Exil; wie viele bei ihrer Flucht ertranken, kann niemand sagen.
Vom Embargo bis zur Kriegsgefahr
Castros radikaler Bruch mit der etablierten kapitalistischen Gesellschaftsordnung war eine direkte Herausforderung der Hegemonialmacht USA, die Lateinamerika als ihren Hinterhof betrachtete. 1960 versuchte Washington erfolglos, ihn mit einem Handelsembargo gegen Kuba in die Knie zwingen. Im April 1961 scheiterte die Invasion von 1300 Exilkubanern, die mit Unterstützung der US-Regierung in der Schweinebucht an der Südküste Kubas landeten.
Ein Jahr später kam es zur Kuba-Krise. US-Präsident John F. Kennedy verhängte eine Seeblockade und drohte mit einem Atomschlag gegen die Karibikinsel, weil die Sowjetunion dort Abschussrampen für Mittelstreckenraketen eingerichtet hatte. Moskau sah sich zu diesem Schritt legitimiert, da die USA an der türkisch-sowjetischen Grenze ebenfalls Atomwaffen stationiert hatte. Der Atomkrieg zwischen den USA und der Sowjetunion schien gefährlich nahe. Nach Geheimverhandlungen stimmte Washington dann aber dem Abbau ihrer Anlagen in der Türkei zu und willigte ein, keine weiteren Angriffe auf Kuba vorzubereiten. Im Gegenzug entfernte die Sowjetunion ihre Raketenbasen auf der Insel.
Gescheiterte Hardliner-Politik
Damit liess sich zwar im letzten Augenblick ein Krieg verhindern, die Beziehungen zwischen den USA und Kuba waren aber nach wie vor auf einem Nullpunkt. 1964 wurde Kuba auf Druck seines politischen Erzfeindes aus der Organisation Amerikanischer Staaten ausgeschlossen, alle lateinamerikanischen Staaten mit Ausnahme Mexikos brachen ihre diplomatischen Beziehungen zu Kuba ab. Gut 30 Jahre später unterzeichnete US-Präsident Bill Clinton mit dem Helms-Burton-Gesetz ein weiteres Embargo-Dekret, das wegen seiner teilweise geradezu demütigenden Bedingungen jeglichen Annäherungsversuch der beiden Staaten blockierte.
Mit ihrer über weite Strecken irrationalen Kuba-Politik erreichten die USA das Gegenteil von dem, was sie wollten. Mit jedem gescheiterten Attentat festigte sich die Legende vom mutigen David, der sich dem anmassenden Goliath nicht beugt. Washingtons blindwütiger Feindschaft gegen Havanna hat es Castro, gegen den es insgesamt 600 Mordanschläge gegeben haben soll, zu einem schönen Teil zu verdanken, dass er zu einer Figur der Weltpolitik wurde. „Es sind die Vereinigten Staaten, die mich zu einem Mythos gemacht haben“, sagte Fidel Castro im Jahr 2000 in einem Interview. „Wenn ich es zu meinen Lebzeiten geworden bin, so auch dank ihrer unzähligen gescheiterten Versuche, meinem Leben ein Ende zu setzen.“
Jetzt hat selbst Barack Obama öffentlich eingestanden, dass die USA Kuba nicht kleinkriegen konnten. Wenn 50 Jahre Sanktion den Karibik-Staat nicht vom Kommunismus abgebracht haben, so hat er offenbar eingesehen, werden es 50 weitere auch nicht tun.
Beidseitig erst ein Anfang
Fidel Castro hat 47 Jahre die Geschicke seines Landes gelenkt, länger als jedes andere Staatsoberhaupt irgendwo auf der Welt. 2008 trat er, schwer krank, endgültig von seinem Amt zurück , nachdem er seinen Bruder Raúl zum Nachfolger bestimmt hatte. Der neue Staatschef leitete eine Reihe kleiner Reformschritte ein, die das Land vor allem wirtschaftlich vorwärtsbringen sollen. Die nun von den USA angekündigte neue Offenheit kommt ihm bei diesen Bemühungen entgegen. Die Annäherung dürfte ihm auch deshalb gelegen kommen, weil der niedrige Ölpreis es Venezuela, Kubas engstem Verbündeten, nicht mehr ermöglicht, die Karibikinsel in bisherigem Mass wirtschaftlich zu unterstützen.
Und welche Veränderungen sind im politischen System zu erwarten? Erfüllt sich Obamas Hoffnung, dem Wandel in der Kuba-Politik der USA werde mittel- bis langfristig eine Destabilisierung des autoritären Systems in Havanna folgen? Die Fassade der Revolution hatte schon zu bröckeln begonnen, als noch Fidel Castro die Fäden der Macht in der Hand hielt.
Weniger Bevormundung und Bürokratie?
Allen seinen Appellen und Disziplinierungsmassnahmen zum Trotz nahmen Korruption, Klientelwesen, Verwaltungsmängel, Schattenwirtschaft und schlechte Arbeitsmoral ein ständig grösseres Ausmass an. Viele der elf Millionen Kubaner waren bei allem Respekt vor ihrem charismatischen Líder Máximo unzufrieden mit ihrer Lebenssituation, lehnten sich aber nicht offen auf. Auch heute strebt die Mehrheit keinen radikalen Bruch mit der Vergangenheit an. Aber sie wünscht sich etwas mehr Meinungsfreiheit und Konsum und weniger Bevormundung und Bürokratie.
Die Annäherung zwischen den USA und Kuba könnte ein Ansatz zu den erhofften Veränderungen sein. Aber sie ist vorläufig nur ein erster Schritt, sowohl in Washington als auch in Havanna. Revolutionen mögen blitzartig erfolgen, Reformen dauern in der Regel etwas länger.