Mit dem Rücktritt Imran Khans gelingt es auch der siebten Zivilregierung in Pakistans Geschichte nicht, eine volle Amtszeit durchzustehen. Doch diesmal könnte die Demokratie die Siegerin sein – und nicht wie bisher das Opfer.
In der Nacht auf den Sonntag verlor Pakistans Regierung in einer Vertrauensabstimmung des Parlaments ihre Mehrheit und muss nun zurücktreten. Khan war es vor einer Woche zunächst gelungen, diesem Votum zuvorzukommen. Stunden vor der Vertrauensabstimmung löste er das Parlament auf, wegen dessen angeblicher Beteiligung an einer amerikanischen Verschwörung gegen ihn. Das Oberste Gericht hob den Beschluss des Parlamentspräsidenten auf und warf Khan Verfassungsbruch vor; es verordnete eine Wiederholung des Misstrauensvotums.
Dieses hat er nun verloren. Ministerkollegen Khans hielten nach dem Verdikt an der Verschwörungstheorie fest und verdächtigten indirekt die Armee der Komplizenschaft. Dies mag erstaunen, denn es war die Armee gewesen, welche die Partei des ehemaligen Cricket-Stars gefördert hatte. Ohne ihre Hilfe hätte er die Wahl von 2018 nicht gewonnen.
Autokratischer Stil
Khan stellte sich zu Beginn seiner Amtszeit denn auch offen auf die Seite der Streitkräfte. Sein autokratischer Stil machte ihn jedoch bald zu einem ungemütlichen Partner für die Generäle. Dazu kam sein arroganter Umgang mit Parteikollegen und Kaderleuten. Das Management des Staats und namentlich der Wirtschaft war auf ihn zugeschnitten – und es versagte.
Das Resultat war eine Vertiefung der wirtschaftlichen Misere, mit einer Kombination von hoher Verschuldung und einer zweistelligen Inflationsziffer. Ein Beispiel war die wiederholte Brüskierung Saudi-Arabiens, einem wichtigen Kreditgeber für das erdölabhängige Land, die 2020 in die Kündigung eines Lieferkredits mündete. Dieselbe Unverfrorenheit zeigte Khan gegenüber dem Währungsfonds und China, denen er statt mit Schuldendienst mit noch höheren Kreditforderungen entgegentrat. (Pakistan ist ein alter IWF-Kunde, mit 13 Milliardenkrediten in den letzten dreissig Jahren.)
Forsches Auftreten
Khan erwies sich zwar als gefügiger – aber nicht als gelehriger Schüler der Militärs. Schon bald erkannten sie in dessen Misswirtschaft und Führungsstil einen drohenden Schaden für ihre Reputation – für eine nicht-demokratische Institution wie die Armee ein wichtiges Attribut der nationalen Legitimität. Das forsche Auftreten gegenüber Bündnispartnern – namentlich den USA und Saudi-Arabien – tangierte zusätzlich die nationalen Sicherheitsinteressen, als deren Garant sich die Armee versteht.
Wie so oft bei früheren Klientel-Regierungen kam es zu einem Zerwürfnis zwischen den Generälen und ihrem Schüler. Diesmal hatte Khan die Vorzeichen allerdings umgekehrt. Frühere Premierminister wie Nawaz Sharif und Benazir Bhutto lancierten ihre Angriffe an der linkspopulistischen Flanke, wo sie grössere Wählersympathien ausmachten. Sie bemängelten etwa das Demokratie-Defizit der Armee, die harte anti-indische Linie sowie die Unterstützung islamistischer Gruppen.
Die Opposition witterte Morgenluft
Imran Khan drehte den Spiess um und wechselte auf Rechtspopulismus: Er tolerierte radikale Islamisten, usurpierte die moderaten Avancen von Armee-Chef Qamar Bajwa gegenüber Indien. Seine Kritik am Bündnispartner Amerika wurde so ausfällig, dass sich Bajwa gezwungen sah, die Beziehung öffentlich wieder ins Lot zu rücken. Und er verhöhnte die politische Klasse und vergiftete die Beziehung zum Parlament (das sich in früheren Fällen manchmal mit der Regierung gegen die Armee verbündet hatte).
Die zunehmenden Differenzen zwischen Regierung und Armeeführung liess die Oppositionsparteien Morgenluft schnuppern und führten zum Antrag der Vertrauensabstimmung im Parlament. Mit der Unterstützung der enttäuschten Koalitionspartner Khans und einiger Dissidenten seiner PTI-Partei drohten sie die Regierungsmehrheit zu kippen.
Besuch bei Putin
Imran Khan ergriff die Flucht nach vorn – und zum Verfassungsbruch. Die Gelegenheit dazu gab ihm Putins Ukraine-Invasion. Statt eine geplante Moskaureise zu verschieben, trat er sie just am Tag des Einmarschs in die Ukraine an. Joe Bidens Sicherheitsberater Jake Sullivan hatte in einem Gespräch mit seinem pakistanischen Kollegen vergeblich versucht, Khan davon abzuhalten.
Daraus konstruierte Khan nun seine Verschwörungstheorie. Kaum aus Moskau zurück, blies er zum Gegenangriff. In mehreren Grossveranstaltungen sprach er von einem Komplott. Dessen Plausibilität blieb vage, und er nannte Washington nicht beim Namen. Das Ganze lief aber darauf hinaus, dass Washington die Unabhängigkeit der Khan-Regierung ein Dorn im Auge ist und daher abgesetzt werden muss. Sullivans Versuch, Khan an der Abreise nach Moskau zu hindern, sei ein Teil davon gewesen, sagte Aussenminister Qureshi am Sonntag. Der amtierende Parlamentspräsident, ein Parteikollege Khans, sah in der Opposition Mitverschwörer und löste das Parlament auf. Das Oberste Gericht musste schliesslich einschreiten, um dieses bizarre Gespinst aufzulösen.
Mangelhafter Leistungsausweis
Es mag sein, dass Khan dieses gefährliche Spiel mit demokratischen Institutionen durchzog, obwohl er dessen Scheitern kommen sah. Sein Kalkül könnte sein, sich für den kommenden Wahlkampf zu rüsten, indem er sich als Opfer fremder Mächte und des heimischen «Establishments» positioniert. Mit einer Wahlplattform, in der gegen die USA, gegen die Armee, gegen ein Indien-Appeasement und für den Islam geworben wird, hofft er, sich einen Weg zurück an die Macht freizumachen.
Dagegen spricht allerdings sein mangelhafter Leistungsausweis in der Regierungsführung, speziell dem wirtschaftlichen Management. Sein autokratischer Führungsstil hat zudem verhindert, die Parteiorganisation zu stärken und über die städtischen Regionen hinaus auf dem Land zu verankern. Hier sieht er sich alten Parteien (wie der Muslim-Liga und der PPP-Volkspartei der Bhuttos) gegenüber, die über etablierte Grassroots-Netzwerke verfügen.
Rechtsmässig enthoben
Für Aussenstehende bleibt zu notieren, dass mit dem Sturz der Regierung auf den ersten Blick einmal mehr die Brüchigkeit von Pakistans demokratischen Strukturen vor Augen geführt wird. Bei seinem Amtsantritt hatte Khan verkündet, er werde der erste Regierungschef sein, der sein Amt über die ganze Dauer von fünf Jahren ausüben werde. Es gelang ihm ebenso wenig wie seinen sechs Vorgängern.
Nicht das antidemokratische Diktat der Militärs führte zu seinem Sturz, sondern sein eigener Versuch, zum Zweck des Machterhalts demokratische Institutionen zu unterlaufen. Es war sein Verfassungsbruch, der ihn zu Fall brachte. Insofern erwiesen sich die demokratischen Sicherungen diesmal als stärker. Khan ist seines Amts enthoben worden – rechtmässig.