Wer in welchem Aufzug bei welcher Koje gesichtet wurde, dass viel Champagner geflossen sei, welche Summen für dies und jenes geboten wurde. Ueberhaupt scheinen Umsatzzahlen die einzig relevanten Erfolgsfaktoren zu sein. Von der real existierenden bildenden Kunst, von Ideen, Konzepten, Artefakten war am allerwenigsten die Rede. Das Beschreiben und Interpretieren von Kunstwerken, im allgemeinen Kunstkritik genannt, trat hinter kommerziellen Erwägungen und Berechnungen ziemlich in den Hintergrund. Selbst wenn die Art Basel sich als Verkaufsmesse definiert: es geht bei den gehandelten Waren ja doch um Dinge und Werte, die in ökonomischen Kategorien allein nicht hinreichend und sicher nicht zufriedenstellend erklärt werden können.
Was für eine Ueberraschung und was für eine Erlösung, wenn man sich nach solchen Lektüren, die den Kunsthunger nicht wirklich zu stillen vermögen, in Zürich einen Nachmittag lang Ausstellungen anschaut. Drei, vier sollten es werden, bei zweien ist es geblieben; und die hatten es in sich, vermochten einen buchstäblich zu verzaubern.
Harmonisches Ambiente
Im Kunsthaus, an einem heissen Sommertag, war ich einer von höchsten zehn Besuchern, der im grossen Saal die Sammlung Hubert Looser ins Blickfeld nahm. Ein angenehmes Privileg. Handelt es sich doch um eine Ausstellung, die auch als eine Art Gesamtkunstwerk fasziniert. Und dieses Gesamtkunstwerk – die Illusion, dass man alles beim Betreten des Saals mit einem Blick erfassen könne – erschliesst sich natürlich bei spärlicher Besetzung besonders gut. Beim Spaziergang durch den Saal verwandelt sich die Illusion in eine Ueberzeugung: das Sammlerehepaar Looser muss sich sehr bewusst und gezielt um Bilder und Plastiken bemüht haben, die auf geheimnisvolle Art zusammenpassen und, raffiniert gehängt und präsentiert, wie das im Kunsthaus der Fall ist, ein harmonisches Ambiente erzeugen.
Surrealismus, abstrakter Expressionismus und Minimal Art aus den USA, arte povera aus Italien (die schon klassisch anmutende Moderne) dominieren. Man lässt das Ganze auf sich wirken und findet dann seine Vorlieben, zu denen es einen immer wieder zieht. Die Französin Fabienne Verdier gehört dazu, die lange in China gelebt hat und auf riesigen Leinwänden rhythmische schwarze Pinselhiebe nachbildet, schwarze Landschaften, die an chinesiche Tuschmalerei erinnern und als Replik auf das Werk Willem de Koonings entstanden sind. De Kooning ist in der Sammlung Looser am prominentesten vertreten; der nächste Gang führt mich vor sein mächtiges Triptychon: sich verschlingende Farblinien in rot, blau, gelb – ein wogendes, ein stark bewegtes und bewegendes Bild, ein Werk wie eine Kraftquelle, die massenhaft Energie verströmt. Für mich das schönste, zugleich das einfachste der gezeigten Werke stammt vom Amerikaner Al Taylor. Ein in den Raum gehängtes, gewundenes Stahlband, das den Eindruck einer linearen Geste, einer leicht hingeworfenen Zeichnung vermittelt; ein schwereloses Zeichen in der dritten Dimension, ein kleines Wunder.
Und noch ein Gesamtkunstwerk
Vom Kunsthaus geht´s Richtung Escher-Wyss-Platz und dort in Zürichs Herz der modernen Kunst. Da ist im Migros Museum für Gegenwartskunst eine Installation des Kanadiers Goffrey Farmer zu sehen, die die Qualitäten einer spektakulären Theateraufführung mit denjenigen eines ambitionierten Konzerts verbindet – und das alles im Rahmen einer Installation, die in den Bereich der bildenden Kunst gehört. Aber vielleicht sind diese Unterscheidungen in Farmers Fall gar nicht mehr sinnvoll; man braucht sie bloss, um beschreiben zu können, versuchsweise, was abläuft.
Farmer hat zusammen mit technisch erfinderischen Helfern ein „work in progress“ geschaffen, ein Werk, das sich zeitlich weiter entwickelt: eine Stunde von geplanten acht ist im Migros Museum realisiert. Das Entwicklungspotential liegt in der Musik, den Geräuschen und Klängen und den mechanischen Bewegungen, die von den aufgestellten Figuren ausgeführt werden. Der früh verstorbene Frank Zappa, amerikanischer Komponist und (Rock)musiker, war einer der experimentierfreudigsten Künstler des letzten Drittels des 20. Jahrhunderts. Sein Song „Let´s Make The Water Turn Black“ gibt der Ausstellung den Titel. Farmer „übersetzt“ Zappas Leben und Musik in kinetische Kunst. Sein Sammelsurium kurioser Figuren bewegt sich in einer Atmosphäre von Klängen in wechselnden Beleuchtungen.
Man betritt den Saal und steht einem Feld gegenüber, um das man herumgehen kann. Die Figuren aus Holz, Metall, Plastik, Styropor und aus allen möglichen künstlichen Materialien erinnern an Comic-Männchen, an Tinguely-Gebilde, an Trickfilmwesen. Witz und Humor eignet ihnen in hohem Masse, was wiederum zu Zappa passt, der ein Meister der Satire, der Parodie – und der Provokation war. Das skurrile und erheiternde Ensemble wird alle paar Minuten in anderes Licht getaucht, Figuren drehen sich, fallen, erheben sich. Feine und grobe Klänge begleiten die Bewegungen, Fetzen aus der Musik Zappas und anderer Komponisten der Moderne. In den mal warmen, mal kalten Beleuchtungen ändern sich die Stimmungen auf dem Figurenfeld – und in mir vertieft sich der Eindruck eines multiplen Kunstwerks, das sich vor meinen Augen weiter entwickelt und alle Sinne anspricht. Da hat ein inspirierter Künstler so etwas wie eine Kunst-Theater-Aufführung inszeniert. Wobei: das, was man sieht und hört ist wirklich nur die Spitze des Eisbergs. Dahinter (darunter) steckt eine Menge kniffligster Arbeit.
Die Sammlung Hubert Looser ist im Kunsthaus Zürich noch bis zum 8. September zu sehen.
Die Ausstellung „Let´s Make The Water Turn Black“ im Migros Museum dauert noch bis zum 18. August.