Benennen wir zuerst die Dimension des Problems. In den USA verwaltet der «offizielle» Bankensektor ein Kreditvolumen von rund 13 Billionen Dollar. Schattenbanken hingegen 16 Billionen Dollar. Und zwei weitere Zahlen. An den weltweiten Börsen, inklusive High-Frequency-Trading, wurden 2010 Aktien und Obligationen im Wert von 87 Billionen Dollar gehandelt. Ausserbörslich Finanzderivate, also Wettscheine, für 601 Billionen Dollar. Ausserbörslich heisst «over the counter», bedeutet: keine Regeln, fast keine Kontrolle, Wildwest, aber legal. So viel zur kühnen Hoffnung, dass Staaten und Regierungen vielleicht doch einmal im roten Bereich mit Gratisgeld zockenden Bangstern Fesseln anlegen könnten. Was sie bisher sowieso unterliessen.
Was ist eine Schattenbank?
Das ist kein finsteres Hinterzimmer, in dem Mafiosi Schutzgelder zählen. Schattenbanken sind in erster Linie Hedgefonds und sogenanntes Private Equity, also Kapitalbeteiligungsgesellschaften. Um überhaupt nichts zu kümmern brauchen sich die, wenn sie nur Privatanlagen verwalten. Kann wohl kein Zufall sein, dass der Grosspekulant George Sorros sein Finanzvehikel vor kurzem genau so aufgestellt hat. Aber auch Hedgefonds sind durch eine Briefkastenadresse auf den Cayman Islands oder den Bahamas weitgehend vor störenden staatlichen Kontrollen geschützt. Offizielle Banken verwenden diese dunklen Gefässe zum Beispiel dafür, um ihre Bilanzen, in erster Linie das Eigenkapital, auf hübsch zu schminken.
Auf Banglish heisst das «Capital Relief Trade», also Eigenkapitalerleichterungs-Handel. Und der geht vereinfacht so: Eine Bank muss Vorschriften genügen, mit wie viel Eigenkapital sie einen Kredit zu unterlegen hat. Das sind zum Beispiel 10,5 Prozent. Nun lagert die Bank besonders heikle Risiken an eine Schattenbank aus, dadurch verbessert sich die Risikoklasse des gesamten Kreditvolumens, das nötige Eigenkapital schrumpft auf weniger als ein Prozent. Die Schattenbank kassiert für diese Dienstleistung natürlich eine üppige Gebühr.
Risiko bleibt Risiko
Da die meisten Banken spätestens seit der letzten Finanzkrise und bis heute bei Eigenkapital schwach auf der Brust sind und selbst mit Risikogewichtungen und anderen Kernkapitalberechnungszauberformeln sich beim hemmungslosen Zocken unangenehm beschränkt fühlen, schnitzen Hunderte von smarten Investmentbankern und Fondsmanagern neue Wunderwerke. Im Gefolge von «Repo105», sozusagen dem Veteranen des Hokuspokus, wie man Eigenkapitalvorschriften elegant und legal umgehen kann. Da trifft es sich gut, dass Hedgefonds in ihrer ewigen Suche nach scharfen Wetten auf den Geschmack gekommen sind. Alte Hasen wie George Sorros und jüngere Stars wie John Paulson sind da längst dabei. Weltweit, so wird geschätzt, liegt nur noch ein Drittel aller Kreditrisiken bei Banken. Aber Risiko bleibt Risiko. Darauf kommen wir zurück.
Zwischenfrage: Woher kommt das Geld?
Natürlich müssen auch diese Hedgefonds Financiers haben, die sie mit Spielgeld ausstatten. Da hätten wir mal wieder in erster Linie Versicherungen und Pensionskassen, die ja trotz Nullzinsen und demografischem Wandel versuchen müssen, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Deshalb ist weltweit der Anteil «alternativer Anlageformen» im Portefeuille, wie das dezent genannt wird, auf 19 Prozent gestiegen. Also Anlagen in weitgehend unregulierten Finanzvehikeln. Damit Schattenbanken auch ungeniert und ungestört handeln und zocken können, ohne sich allenfalls von Börsenvorschriften eingeengt zu fühlen, gibt es dafür schon lange sogenannte «Dark Rooms», also aufsichtsfreie Handelsplätze.
Kommt uns bekannt vor
Stillstand ist Rückschritt. Früher gab es «Special Investment Vehicles» und «Conduits», in die Risiken ausgelagert wurden, was einen hübschen Beitrag zur Finanzkrise I leistete. Aber auch ein «Capital Relief Trade» kann ja noch optimiert werden. Man kann ihn, hatten wir bei der Verwurstung von Hypotheken in undurchschaubare «Collateralized Dept Obligations» (CDO) doch schon, in synthetische handelbare Derivat-Papiere verwandeln. Der Name CDO ist ja etwas vorbelastet, also heissen diese neuen Höllenmaschinen «Reg Caps», «Junior Tranche» oder «First loss piece». Alles blumige Umschreibungen für das gleiche Prinzip: Kreditrisiken werden geschnetzelt und kleingehackt, neu zusammengemixt und als ganz ingeniös konstruierte und profitable Wunderwaffe an Investoren verkauft, die nicht die geringste Ahnung mehr haben, was da eigentlich drin ist und welche Sprengkraft diese grossartige Neuerfindung hat. Wie damals bei den CDO.
Gefahr erkannt
Ein eher unverdächtiger Fachmann wie der Goldman-Sachs-Vize Gary Cohn warnte schon vor einiger Zeit, die Verschiebung der Risiken in die Schattenbanken sei «die grösste Gefahr für die Finanzstabilität». Die Gefahr ist dadurch natürlich nicht gebannt, im Gegenteil. Denn Risiko bleibt Risiko, so sehr man es auch verpackt, mit Schleifchen schmückt und unter einen Berg von finanztechnischem Geschwafel begräbt. Risiko heisst ganz einfach: Es kann schiefgehen. Risiko heisst hier: Es muss schiefgehen. Denn genauso wenig, wie es der Hypothekenaberwitz CDO einem Arbeitslosen ohne Rücklagen wirklich und sinnvoll erlaubte, endlich Hausbesitzer zu werden, genauso wenig sorgen diese neuen finanziellen Massenvernichtungswaffen für kleinere Risiken. Im Gegenteil: Banken umgehen damit legal Eigenkapitalvorschriften. Und die Hersteller dieses neuen Wahnsinns verdienen sich beim Konstruieren, Verpacken und Verkaufen dumm und dämlich.
Ungeheuerlich, aber wahr
Es ist wie beim Wettlauf zwischen Hase und Igel. Kaum hecheln die Staatshasen heran, denken ernsthaft über Beschränkungen und Regeln nach, sitzt da schon der nächste Igel und sagt entspannt: Bin schon da. Bin schon viel weiter. Ihr wollt uns wirklich mit blöden Eigenkapital- und Börsenvorschriften ärgern? Selbst dagegen wehren wir uns mit aller Kraft. Aber mit einem Lächeln auf den Lippen. Denn Schattenbanken und «Dark Rooms» funktionieren schon längst und bestens. Natürlich nur bis zur nächsten Kernschmelze. Aber dann schippern wir schon längst auf der Luxusyacht in den karibischen Sonnenuntergang. Also zumindest die Cleveren unter uns.