Bereits im November 1911 wurde in China nach der bürgerliichen Revolution und dem Fall der letzten Kaiser-Dynastie der Gregorianische Kalender eingeführt. Doch erst 1949 nach dem Bürgerkrieg zwischen Nationalisten und Kommunisten erklärte der „Grosse Steuermann“ Mao Dsedong den westlichen Kalender für obligatorisch. So beginnt auch heute noch in der Volksrepublik das Neue Jahr mit dem 1. Januar. Doch in den Köpfen von Chinesinnen und Chinesen in der Stadt wie auf dem Land, die kommunistische Führungs-Elite eingeschlossen, beginnt halt das Neue Jahr nach wie vor und noch immer nach dem Lunisolarkalender.
Die Legende
Nach der historisch nicht belegbaren Legende hat Kaiser Huangdi – der berühmte „Gelbe Kaiser“ – in der Mitte des dritten Jahrtausends vor unserer Zeitrechung die chinesische Kalenderdeutung erfunden. Seither ist der Mondkalender ein so unverzichtbarer Teil der Chinesischen Kultur und des Alltags geworden wie die vor dreitausend Jahren erfundenen chinesischen Schriftzeichen. Die Harmonie von Himmel, Erde und Mensch steht im Mittelpunkt der Kalenderdeutung, auch chinesische Astrologie genannt. Der Lunarsolarkalender besteht aus fünf Zyklen zu je zwölf Jahren. Zwölf Tierzeichen stehen im Mittelpunkt. Nach der Legende hat Buddha die Tiere zu sich gerufen. Doch nur zwölf kamen. Zuerst kam die Ratte, dann der Büffel, der Tiger, der Hase, der Drache, die Schlange, das Pferd, die Ziege, der Affe, der Hahn, der Hund und das Schwein. Jedes Tier konnte einem Jahr seinen Stempel aufdrücken. Das ist die Grundlage des zwölfjährigen Rhythmus.
Der Mondkalender berechnet sich nach einem Zyklus von sechzig Jahren und wird bestimmt von Wasser, Feuer, Erde, Metall und Holz. So gibt es zum Beispiel eben den Wasser-, den Feuer-, den Erde-, den Metall- und den Holz-Hasen. Zur Kalenderdeutung werden zusätzlich aus der chinesichen Philosophie des Daoismus die zwei sich ergänzende gegensätzlichen Begriffe Yin und Yang verwendet. Das Chinesische Neujahr - auch Frühlingsfest genannt – beginnt je nach aktuellem Kalender zwischen dem 21. Januar und dem 21. Februar. Gegenwärtig ist es der 8. Februar mit dem Übergang von der Holz-Ziege zum Feuer-Affen.
Dem Glück den Weg weisen
In ganz Ostasien, besonders aber in China, ist das Frühlingsfest das Fest des Jahres. Wichtiger als für Europa und Amerika das Weihnachtsfest. Hunderte von Millionen von Chinesen und Chinesinnen sind unterwegs zu ihren Familien. Eisenbahn, Busse, Flugzeuge sind überbelegt. Die Festtagssaison dauert rund vierzig Tage. In diesem Jahr ist alles noch komplizierter. Dank der immer noch guten Wirtschaftslage reisen noch mehr Menschen. Zudem ist es im Vergleich zu den Vorjahren extrem kalt von Nord bis Süd. Affen-Kälte also. Doch von den traditionellen, normalen Vorbereitungen lässt sich niemand abhalten. Das Haus, die Wohnung wird gereinigt, die Fenster und Türen sind geöffnet, um das Wohlergehen hereinzulassen. Die Lichter brennen in der Nacht, um böse Geister abzuschrecken und dem Glück den richtigen Weg zu weisen. Auch die Haare sollen in dieser Zeit nicht geschnitten werden, weil die Worte Haar und Glück (Fa) beinahe gleich ausgesprochen werden, und somit das Glück nicht weggeschnitten werden soll. Auch alle Schulden sollen vor dem grossen Fest beglichen werden.
Das Volk bei Laune halten
Die allmächtige Kommunistische Partei und die Regierung lassen sich es angelegen sein, das Volk bei Laune zu halten. Die grösste Fernseh-Show auf Erden mit über einer halben Milliarde Zuschauer läuft über die Bildschirme. Die Frau von Staats- und Parteichef Xi Jinping, Peng Liyuan, wurde einst bei der Neujahrs-TV-Show als Sängerin zum chinesischen Superstar. Im Kino ist derzeit Sun Wukong, der im klassischen, populären Roman „Die Reise nach dem Westen“ verewigte Affenkönig, der absolute Bestseller. Zudem gibt die chinesische Post jeweils Sonderbriefmarken aus. Angefangen hat das 1980. Unter Mao war das nicht möglich, denn der „Grosse Vorsitzende“ wollte alles „Alte“ vernichten, so unter anderem auch den Aberglauben und mithin die Tierkreiszeichen. Doch seit Beginn der Reform vor 36 Jahren wird jedes Jahr eine Sondermarke herausgegeben.
Die neuesten Postwertzeichen im Wert von 1,2 Yuan (rund 18 Rappen) wurde vom berühmtesten Zeichner Chinas, Huang Yongyu, entworfen: ein Motiv zeigt einen Affen mit Pfirsich (Symbol des langen Lebens) und einen Affen mit zwei Affen-Kindern, ein Hinweis auf die seit dem 1. Januar gültige Zwei-Kind-Familienpolitik. Die Marken waren innert weniger Tage ausverkauft, obwohl auch in China wie anderswo kaum mehr Briefe umsomehr aber e-mails, WeChats und Weibos versandt werden. Die amtliche Nachrichten-Agentur Xinhua (Neues China) meldete, dass Chinesinnen und Chinesen „so wie die Affen“ hinter dem Postwertzeichen her waren. Zeichner Huang Yongyu, mittlerweile 91 Jahre alt, hatte bereits die Marke von 1980 entworfen, ebenfalls ein Affenjahr. Die In einer Auflage von rund fünf Milionen auf den Markt gebrachte Marke mit einem Wert von 5 Fen ist heute ein rares Sammlerstück. Eine einzige Marke kostet rund 14‘000 Yuan (2‘150 Franken). Für einen Viererblock jener Affenmarke werden an der Sammlerbörse im Westen Pekings gar rund 60‘000 Yuan geboten. Affen-teuer. Für Briefmärkeler: die 1980-Affenmarke ist so etwas wie das chinesische Basler Dybli......
Hoffnung auf kleines Affen-Genie
Obwohl im sozialistischen China seit mehreren Jahrzehnten der Aberglaube offiziell abgeschafft ist, sind noch viele Chinesinnen und Chinesen den Kalenderweisheiten innigst zugetan. So werden dem Affen – wie allen andern Tierzeichen übrigens – eine Vielzahl von guten Eigenschaften zugeschrieben. Hier eine kleine Auswahl: Flexibel, erfinderisch, gesunder Menschenverstand, zupackend, scharfsinnig, witzig, raffiniert, pfiffig, humorvoll, engagiert, vielseitig interessiert, liebevoll, voller Power, gerissen, kreativ, grosszügig, charmant, schlau, ehrgeizig, anpassungsfähig, kompromissbereit, vorsichtig. Aber eben auch: stolz, intolerant, eifersüchtig, überheblich, egoistisch, streitsüchtig, lügnerisch, eitel, zynisch, geschwätzig, unordentlich und hochnäsig. Das sind Eigenschaften, notabene, die eigentlich jedem der zwölf Tierkreiszeichen zugeordnet werden können. Mehr oder weniger jedenfalls. So sind denn, wie jedes Jahr, die Geburtsabteilungen der Kinderspitäler schon jetzt für die ersten Monate des Affenjahres fast ausgebucht, wie chinesische Medien berichten, weil viele Eltern sich umbedingt ein kleines Affen-Genie wünschen.
Xinnian Kuaile!
Chinesische Meteorologen sagen derweil für die Festtage grosse Kälte voraus. Doch schon bald, so chinesische Klimatologen, wird es vermutlich wegen der globalen Klimaerwärmung auch in China wieder wie letztes Jahr sehr warm, beziehungsweise heiss werden. Affen-Hitze also oder – wer weiss – gar Feuer-Affen-Hitze. Die Kommunistische Partei aber feiert das Frühlingsfest, wie es sich für eine aufgeklärte autoritäre Regierung gehört, mit dem Volk in neu-konfuzianischer Tradition. Das Affen-Jahr verspricht Bewegung, genau das, was China im Jahre 1 des neuen Fünfjahresplanes (2016-2020) braucht. Staats-, Partei- und Militärchef Xi Jinping wird es richten. Wie der utopische Revolutionär Mao Dsedong und Reformübervater Deng Xiaoping ist auch Xi kein Affe, meines Wissens auch keine Ratte. Xi und seine nicht abergläubischen Genossen sind ganz einfach nur eines: waschechte Kommunisten. Xinnian Kuaile!!