Die TV-Ideenschmiede „Talpa“ gehört zum Imperium von John de Mol, der auch außerhalb der Landesgrenzen als Erfinder von „Big Brother“ bekannt geworden ist. „Talpa“ kam bereits vor einem Jahr auf „Jeugdzorg Nederland“ mit der Idee zu, ein Programm zur Anwerbung von Pflegefamilien zu machen. Herausgekommen ist eine Art „Herzblatt“ für Pflegekinder: Das Kind zieht bei drei Kandidatenfamilien für jeweils ein Wochenende zum Probewohnen ein, danach darf es sich für eine der drei Familien entscheiden. Voraussetzung: das betroffene Kind ist mindestens 12 Jahre alt.
Die Pläne waren weit gediehen, zwei Fernsehsender hatten bereits Interesse an der Ausstrahlung bekundet, und die Amsterdamer Jugendhilfeorganisation „Spirit“ hatte bereits mit der Suche nach Kandidaten begonnen. Bei sämtlichen Familien aus dem Datenbestand von „Spirit“ wurden schriftlich angefragt, ob sie an der Fernsehshow teilnehmen wollten.
Nicht alle Empfänger der Briefe waren von der Idee begeistert. Einer von ihnen, so vermuten die Medien, hielt nicht dicht. Denn kurz nach Versendung der Briefe wurde das bis dato geheime Projekt der breiten Masse bekannt.
Kritik der politischen Parteien
Während ein „Talpa“-Sprecher meldet, keine Angst vor negativen Reaktionen zu haben, ist „Jeugdzorg Nederland“ deutlich beeindruckt vom digitalen Shitstorm, der nach Veröffentlichung des Konzepts über die beiden Medienpartner hereinbricht. Der derzeitige Wahlkampf tut sein übriges. Neben den Christdemokraten äußert auch die in Umfragen führende Sozialistische Partei (SP) scharfe Kritik an dem Vorhaben. „In einer Fernsehshow seine neuen Eltern auswählen. Weil es so toll ist, dass sich Deine eigenen Eltern nicht um Dich kümmern können... Ekelhaft! Kranke Fernsehmacher“, twittert SP-Politikerin Renske Leijten. Sie fordert, dass sich die zuständige Staatssekretärin mit diesem Thema auseinandersetzen soll. Zu viel Druck für die „Jeugdzorg“. Das Direktorium beeilt sich zu sagen, man habe von den Gesprächen der eigenen Kollegen mit „Talpa“ gar nichts gewusst und das Konzept müsse sowieso noch überarbeitet werden. Die jetzigen Pläne würden den Pflegekindern zu wenig Schutz bieten. So ganz rückt man dann aber doch nicht vom Partner „Talpa“ ab, denn generell sei man froh über die Idee, positive Aufmerksamkeit für das Thema Pflegefamilien zu schaffen.
Auch so mancher Experte sieht in dem Konzept zumindest einen positiven Ansatz. Auf der Webseite der Tageszeitung „De Volkskrant“ äußern sich ein Pädagoge und Psychologe positiv über die Tatsache, dass die Kinder zumindest selber wählen dürfen – trotzdem lehnen auch sie die Pflegekinder-Realityshow ab.
Bei „Talpa“ gibt man sich gelassen. Man werde darüber hinweg kommen, wenn die Sendung nicht produziert werden würde. Die Verlierer sieht „Talpa“-Sprecher Thomas Notermans woanders: „Vor allem für die Kinder wäre es schade.“
Nicht der erste TV-Skandal
Die Aufregung um die Pflege-Show ist nicht der erste Fernsehskandal in den Niederlanden. Provokante TV-Konzepte haben dort mittlerweile Tradition. 1999 sorgte die später weltweit erfolgreiche Fernsehformat „Big Brother“ für Aufregung. Auch hier war John de Mol der Ideengeber. 2004 entwickelte de Mols zwischenzeitlich verkaufte Produktionsfirma „Endemol“ die „Grote Donorshow“, die große Organspendershow. In der Livesendung sollte die unheilbar kranke Organspenderin Lisa entscheiden, welcher der drei im Studio anwesenden Kandidaten nach ihrem Tod ihre Niere bekommen sollte. Kurz vor der Entscheidung verkündete der Moderator, dass Lisa in Wirklich eine Schauspielerin sei und dass die Sendung lediglich auf den Mangel an Organspendern aufmerksam machen solle. Außer 7.500 Extraspendern brachte die Sendung den Machern einen Emmy und weltweite Publizität ein.
So setzt „Talpa“ mit dem Pflegekinder-Herzblatt auf ein bewährtes Konzept: Fernsehproduzent sucht den Skandal mit einem Format, das die Grenzen des guten Geschmacks weit hinter sich lässt, erfährt dafür jede Menge Gratispublizität, und wenn es gut läuft, wird die Show ins Ausland verkauft oder heimst zumindest noch einen Preis ein.
Ist es da ein Wunder, dass die potentiellen Zuschauer einem John de Mol nicht abnehmen, dass er nur die Interessen der Pflegekinder im Sinn hat? „Talpa will vor allem Geld mit dem Elend anderer verdienen“ und „bei John de Mol zählt nur die Quote“ sind noch die harmloseren Kommentare in den Foren.