Kurz vor dem G8-Treffen haben die Amerikaner erklärt, dass sie ihre Haltung gegenüber Syrien ändern würden. Sie gedächten "etwas mehr" Kriegsgüter an die syrischen Rebellen zu liefern. Um was für „Güter“ es sich handelt und wie viele es sein sollen – das wollten die amerikanischen Sprecher nicht preisgeben. Dieser „Schritt voran“ wurde damit begründet, dass in Syrien wegen der angeblichen Giftgas-Einsätze Obamas „Rote Linie“ überschritten wurde. Auch die Einmischung Hizbullahs verändert die Lage.
Hizbullah klar auf der Seite von Asad
Hizbullah hat sich klarer als zuvor und nun endgültig auf der Seite der syrischen Regierungstruppen engagiert. Seine Kämpfer spielten offenbar eine bedeutende Rolle bei der Rückeroberung des strategischen Städtchens Qusair, welche der syrischen Armee die Strassen sowohl nach Homs wie nach den Alawitengebieten an der syrischen Küste öffnet. Damit können die Rebellen keine Waffen mehr aus Libanon erhalten, denn die Schmuggelwege sind abgeschnitten.
Wohl wichtiger noch: Die Milizen, die auf Regierungsseite kämpfen, glichen bisher halbprofessionellen Räuberbanden. Hizbullah mit seiner grossen Erfahrung im Guerilla-Krieg wird nun diese Kämpfer zu Partisanen ausbilden und versuchen, zusätzliche Kräfte zu rekrutieren.
Dies ist von grosser Bedeutung für Damaskus, weil die grösste Schwäche des Regimes und seiner Streitkräfte bisher darin bestand, dass sie zwar über viele und schwere Waffen verfügten, aber nicht über genügend verlässliche Soldaten, um ganz Syrien unter ihre Kontrolle zu bringen.
Die neu ausgebildeten und disziplinierten Milizen sollen dies nun ändern. Sie werden jetzt als die neue "Nationale Verteidigungskraft" bezeichnet und sollen bereits 60‘000 Mann umfassen. Ziel sei eine Hilfsstreitmacht zur Unterstützung der regulären Armee von 100‘000 Soldaten.
Bisher kein weiterer Vorstoss
Nach dem Fall von Qusair rechnete man mit einer Offensive der Regierungsarmee in Richtung Aleppo. Doch diese ist bisher ausgeblieben. Vielleicht wollen die syrischen Generäle zuerst die Milizen voll zu einer schlagkräftigen Truppe ausbilden, bevor ein Vorstoss unternommen wird. Die Berater aus Russland und Iran könnten der gleichen Meinung sein. Dies sowohl aus militärischen als auch aus diplomatischen Gründen.
Je alarmierender die Lage für die Rebellen ist, desto wahrscheinlicher wird, dass sie von den USA, den Briten und möglicherweise auch den Franzosen schwere Waffen erhalten. So möchte der Westen eine Niederlage der Aufständischen verhindern. Deshalb könnte die Strategie der Regierungsseite darin bestehen, nicht mit einer Offensive zu provozieren – so lange nicht, bis die Milizen zusammen mit den Regierungstruppen ihre volle Stärke erreicht haben. Dann wäre ein rascher Vorstoss nach Norden erfolgsversprechend, und zwar bevor die „Freunde Syriens“, also die Rebellenseite, durch gesteigerte Waffenlieferungen reagieren könnten.
Wenn die Regierung in Damaskus nicht von selbst auf solche Ideen kommt, werden sie ihr von den Russen und Iranern nahe gelegt werden.
Kein Überflugverbot
Auf der westlichen, inklusive der amerikanischen Seite herrscht nach wie vor Unklarheit, wie man sich verhalten soll. Ein Überflugverbot im Norden scheint sowohl von den Amerikanern wie auch den Franzosen abgelehnt worden zu sein. Es würde die westlichen Mächte in einen offenen Krieg mit der syrischen Luftwaffe und ihrer Luftabwehr verwickeln – ein Krieg, in dem die Russen dem Asad-Regime den Rücken stärken würden. Wieweit sie dabei gehen würden, lässt Moskau offen. Doch die Formel gilt: Nichts ist schlimmer als ein syrischer Bürgerkrieg. Schlimmer ist nur noch ein amerikanisch-russischer Krieg in Syrien.
Die französische Regierung hat klar gemacht, dass sie jedes kriegerische Eingreifen ablehnt, solange der Sicherheitsrat ein solches nicht bewilligt. Klar ist, dass er wegen des russischen und chinesischen Vetos ein solches Eingreifen nicht bewilligen wird.
Die Wünsche der „Freien Syrischen Armee“
Was die Rebellen möchten, hat General Selim Idriss, Chef der Freien Syrischen Armee, klar gemacht: Er fordert, wie er dem Wall Street Journal erklärte, 200 russische KONKURS Antitank Raketen; 100 sogenannte Manpads (das sind von der Schulter aus abgeschossene Anti-Flugzeug Raketen); weiter steht auf seiner Wunschliste viel Munition für Gewehre und Maschinengewehre sowie Zugang zu Satellitenbildern.
Obama wird vielleicht zunächst einen Teil dieser Wünsche erfüllen. Viel Zustimmung zu energischen Schritten kann er auf dem G8-Gipfel nicht erwarten. Alle anderen Staaten ausser Grossbritannien und Frankreich, werden von einer weiteren Verwicklung in Syrien abraten. Die Einwände dagegen sind bekannt. Der Krieg würde nur verlängert, heisst es. Die Waffen könnten in die falschen Hände geraten und letztlich die gewaltbereiten Islamisten stärken. Ferner wird argumentiert, der Syrien-Krieg drohe sich auf den ganzen Nahen Osten auszudehnen. Er könne sich zu einem Vernichtungskrieg zwischen Sunniten und Schiiten entwickeln.
Die hässliche Alternativlösung
Dies alles trifft zu. Doch was meist nicht erwähnt wird, gilt auch: Wenn man diese Übel wirklich vermeiden wollte, müsste man dafür sorgen, dass Asad so bald wie möglich gewinnt. Was das hiesse, kann man sich ausmalen: es wäre unschön.
Es gäbe noch den dritten Weg einer „Aussöhnung“ in Syrien, vielleicht unter Vermittlung der UNO und ausländischer Mächte. Dazu gibt es zwei Haupthindernisse. Einerseits fehlen auf Seiten der Rebellen die Gesprächspartner für eine solche Aussöhnungsaktion. Anderseits versteht die Regierungsseite unter „Aussöhnung“, dass Asad an der Macht bleibt und darüber bestimmt, „was die Syrer wünschen“. Vielleicht könnte Asad sogar Wahlen versprechen, die dann von den Machthabern gesteuert würden, wie das ja schon seit 1971 in Syrien regelmässig geschah.
Ist der Mittelweg noch gangbar?
Dieser dritte Weg, der zu einer Aussöhnung führen sollte, hätte mit einer internationalen Syrien-Konferenz in Genf beginnen sollen. Teilnehmer wären die syrischen Parteien, aber auch die wichtigen Aussenmächte. Doch gegenwärtig sieht es so aus, als ob diese Konferenz gar nicht zustande kommen könnte. Die syrischen Konfliktparteien glauben beide weiterhin, dass sie alles gewinnen könnten: dass sie also keinen Kompromiss einzugehen müssten.
Die Aussenmächte haben unterschiedliche Ziele: Russland und Iran möchten das Asad-Regime, mit oder ohne Asad, erhalten. Die "Freunde Syriens" wollen genügend Druck auf beide Seiten im syrischen Bürgerkrieg ausüben, damit beide gezwungen wären einen Kompromiss einzugehen.
Nur wenn keine der beiden Seiten gewinnt, kann Druck für eine Versöhnung aufgebaut werden. Damit dieses Ziel erreicht werden kann, muss nun aktiv dafür gesorgt werden, dass die Rebellen nicht verlieren.