Noch immer läuft er von einem Interview zum anderen. Für Jean-Stéphane Bron interessieren sich Film-Fans ebenso wie Opernfans. Das verdankt er natürlich seinem neuen Film mit dem einfachen Titel «L’Opéra de Paris». Das klingt sachlich, aber es eröffnet auch Traumwelten … Paris! Oper! Stars und Glamour … Aber genau darum geht es Jean-Stéphane Bron in seinem Film nicht.
Jean-Stéphane Bron ist ein Schweizer Dokumentarfilmer. Er kommt aus Lausanne und hat insbesondere mit zwei seiner Filme Furore gemacht: «Mais im Bundeshaus» und «Cleveland versus Wall Street». Jetzt sitzt er bei Mineralwasser und Espresso in Zürich. Durchs Fenster sieht man das Zürcher Opernhaus. Und warum hat er – als Schweizer – seinen Film nicht zum Beispiel hier im Opernhaus gemacht statt in Paris? «Weil das Zürcher Opernhaus viel kleiner, und mein Produzent Philippe Martin ein Franzose ist …», sagt er lachend und schiebt die Dächlikappe ein bisschen mehr in die Stirn. «Mein Produzent hatte mir damals erzählt, dass es gerade Änderungen in der Pariser Oper gibt. Wenn es also dort nicht zu einem Wechsel an der Spitze gekommen wäre, hätte ich den Film wohl nicht gemacht.»
Aber die Verschiebungen im Machtgefüge, die neuen Konstellationen, die sich daraus ergeben, das hat Bron interessiert. Oper ist ansonsten nicht so nach seinem Geschmack. «Und ehrlich gesagt, habe ich keine Ahnung von Oper und war noch nie in einer Vorstellung, bevor ich zu drehen begann. Aber das war immer die Basis meiner Filme: über etwas zu berichten, das ich nicht kenne. Und in einem gewissen Sinne kann ich sogar sagen, dass ich mich viel mehr für die Oper interessiert habe, als Leute, die sich als Opernfans bezeichnen und dann Filme machen, die kaum Ähnlichkeit mit der Realität in der Oper haben. Ich habe mich intensiv mit der Struktur beschäftigt, mit der Dramaturgie und den Abläufen eines Opernhauses.»
Kurz zuvor war Stéphane Lissner neuer Intendant der Pariser Oper geworden, die Karten wurden also in verschiedenen Bereichen neu gemischt. «Ich musste Lissner allerdings erst davon überzeugen, sich filmen zu lassen, während er selbst noch nicht hundertprozentig am neuen Posten angekommen ist. Es brauchte etliche Vorgespräche.»
Beobachter aus sicherer Distanz
Beim Drehen ging es Bron nicht darum, Aufführungen zu zeigen, sondern wie es zur Aufführung kommt. Er selbst macht keine Interviews. Stattdessen gibt es einige Personen, die immer wieder auftauchen. Stéphane Lissner natürlich, der Intendant, neben anderen aber auch Mischa, ein junger russischer Nachwuchssänger oder Philippe Jordan, der musikalische Direktor. Brons System besteht darin, zuzuhören, was der eine mit dem anderen bespricht. «Oft ist es Mischa, der hinter die Kulissen schaut. Dann ist es Lissner, der Philippe Jordan beobachtet. Philippe Jordan bespricht sich mit Mischa … und so weiter.» Bron ist der Beobachter aus einer gewissen Distanz. «Ich blicke auch mit Humor und einer gewissen Ironie auf diese Gesellschaft, in der jeder seinen festen Platz hat.»
Im ersten Teil des Films laufen die Proben zu Wagners «Meistersingern». Im zweiten Teil zu Arnold Schönbergs «Moses und Aron». «Ein Stier wird gecastet, um auf der Bühne aufzutreten, der Regisseur zeigt seine Macht. Zu dieser Zeit gab es Streiks auf den Strassen in Paris und auch gewerkschaftliche Spannungen drinnen in der Oper. Es geht auch um die Eintrittspreise. Wer kann überhaupt teilhaben am Spektakel Oper. Dann geschieht der Anschlag aufs Batalcan und es gibt ein Mit-Leiden der Opernleute.» Schliesslich gibt es auch Spannungen zwischen Benjamin Millepied, dem Star-Choreographen, und der Opernleitung und Millepied verlässt seinen Posten als Ballettchef wieder.
Der andere Blick
Immer wieder zu sehen: Philippe Jordan, der Zürcher, der seit einigen Jahren Generalmusikdirektor in Paris ist und gleich mehrere Produktionen probt. Auch Star-Tenor Jonas Kaufmann taucht in einer Probe auf, ohne dass er speziell erwähnt würde im Film. Zuschauer, die ihn kennen, entdecken ihn, andere halt nicht. Das hat Bron bewusst so gemacht. Sein Augenmerk liegt nicht auf den Stars. «In der Oper interessiert mich zum Beispiel die Ankleiderin, die das Erscheinungsbild der Diva auf der Bühne beobachtet. Das ist ihr Beruf. Und sie hat einen anderen Blick auf die Sängerin als der Regisseur. Und ich: ich blicke auf diesen Blick.»
Gab es denn auch Probleme beim Filmen? «Nein, die Probleme habe ich gefilmt!» lacht er. Allerdings gab es eine Berufssparte, die nicht im Film erscheinen wollte: die Leute aus der Technik. «Ich glaube, es ging darum, Druck zu machen auf ihre Gehaltsforderungen. Sie stehen immer im Schatten … ich habe alles versucht, aber selbstverständlich ist es ihr Recht, sich zu verweigern.»
Und wie haben jene auf den fertigen Film reagiert, die mitgemacht haben? «Viele meinten, es habe ihnen nicht gefallen, was sie im Film sagten. In Wirklichkeit war es aber ihre für sie ungewohnte Stimme, die ihnen nicht so gefiel», sagt Bron. «Ein bisschen Angst hatte ich einzig bei Philippe Jordan, denn bei der Musik ist praktisch immer er der Dirigent. Und er stellt extrem hohe Ansprüche. Wenn er zum Beispiel Aufnahmen macht, dann korrigiert er immer wieder. Ich hatte schon befürchtet, dass er dann sagt, dieses geht nicht und jenes erst recht nicht. Aber seine Mutter war ja Tänzerin und ich glaube, als er im Film die Szene mit der erschöpften Tänzerin sah, hat ihn das so sehr berührt, dass er sich nicht mehr um die Musik kümmerte …»
Jean-Stéphane Bron führt das Publikum mit seinem Film in ein Universum ein, das den meisten aus dieser Sicht unbekannt ist. So unbekannt, wie es Bron selbst war, bevor er zu drehen begonnen hat. Heute sagt Bron, dass der Film auch eine Art Hommage sein soll, an eine Hochkultur, die teuer ist und zu der nicht jeder Zugang hat. Dass dieser Blick hinter die Kulissen hochinteressant ist und eben doch auch ein breiteres Publikum anspricht, zeigen die Zahlen auf der Schweizer Kino-Hitparade. Da ist «L’Opéra de Paris» bereits an sechster Stelle.
«L’Opéra de Paris»
Regie: Jean-Stéphane Bron
Jetzt im Kino