In der letzten Nummer der »Weltwoche« rechtfertigt ihr Verleger Roger Köppel seine Kampagne gegen den Chefredaktor des Tages-Anzeigers, Res Strehle, mit folgenden Worten: »Niemand konnte sich nach dem Zweiten Weltkrieg noch ernsthaft als Nationalsozialisten bezeichnen, ohne sich damit zu Recht gleich ins totale gesellschaftliche Abseits zu katapultieren. Eine ungleich gnädigere Behandlung erfuhr demgegenüber die mindestens so verwerfliche Ideologie des internationalen Sozialismus, der eine Vorstufe und Voraussetzung des nationalen Sozialismus hitlerscher Prägung bedeutete.«
Die Sozialistische Internationale »mindestens so verwerflich« wie der Faschismus? Das ist starker Tobak, doch er hat Methode, denn in der gleichen Nummer fragt der SVP-Ideologe Christoph Mörgeli: »Müssen Sie nach der Horrorideologie von Genosse Marx jedem Bürger einen Arbeitsplatz anbieten, da das Völkerrecht ein Recht auf Arbeit vorschreibt?« Dass es kein Völkerrecht auf Arbeit gibt, ist Mörgeli egal. Er wird sich doch die schöne Tendenz nicht von Fakten kaputtmachen lassen. Dazu passt auch ein in der vorletzten Ausgabe der »Weltwoche« veröffentlichtes Interview mit einem Relikt des Kalten Krieges, dem angeblich »grossen amerikanischen Historiker« Richard Pipes, der darin behauptet, ohne Lenin hätte es keinen Hitler gegeben.
Verdienen solch absurde Thesen eine Antwort?
Alles klar? Schuld an den grössten Verbrechen der Geschichte sind nicht die Nazi, sondern die Sozi und die »Commies«! Man muss sich tatsächlich die Frage stellen, ob derart abstruse Thesen eine Antwort verdienen. Da sie sich aber an ein historisch wenig beschlagenes Publikum richten, kann etwas Aufklärungsarbeit nicht ganz falsch sein.
Die Arbeiterbewegung entstand Mitte des 19. Jahrhunderts als Reaktion auf die rücksichtslose Ausbeutung der Lohnabhängigen zu Beginn der Industrialisierung. Den Gewerkschaften und den mit ihnen verbündeten sozialistischen Parteien verdanken die Bürger ihren Anspruch auf einen korrekten Lohn, eine geregelte Arbeitszeit, bezahlte Ferien, Zugang zur Bildung, Krankenversicherung, Altersrente und demokratisches Mitspracherecht aller Männer und Frauen. Diese Errungenschaften fielen nicht vom Himmel, sondern wurden von den »Linken« erkämpft.
In Deutschland verbot Reichskanzler Bismarck 1878 die 1863 gegründete Sozialdemokratische Partei (SPD), die im Mai ihr 150-jähriges Bestehen feiert, mit einem »Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie«. In Frankreich führte der sozialistische Premierminister Léon Blum 1936 die 40-Stunden-Woche und den Urlaub für alle ein, der den Grundstein für den Massentourismus legte.
Die Sozialdemokraten - entschiedene Nazi-Gegner
Die Sozialdemokratie war von Anfang an als internationale und pazifistische Bewegung angelegt. Darin unterscheidet sie sich grundlegend vom Faschismus, der nach dem Ersten Weltkrieg in den meisten Ländern Europa Fuss fasste. Dass Hitler seiner chauvinistischen und rassistischen Partei nach mehreren anderen Bezeichnungen schliesslich den Namen »Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei« verpasste, war nur ein Trick, um möglichst viele Opfer der damaligen Wirtschaftskrise anzulocken. Worte wie sozialistisch, demokratisch oder Volk sind nicht urheberrechtlich geschützt. So nennt sich Nordkorea »Demokratische Volksrepublik« und Blochers Gründung »Schweizerische Volkspartei«.
Die Sozialdemokraten waren stets entschiedene Nazigegner. In Österreich unterlagen sie 1934 in einem Bürgerkrieg den Austrofaschisten, die im »roten Wien« ihre Heimwehr-Milizen und das Heer mit Kanonen auf die für Unterprivilegierte errichteten preisgünstigen Gemeindebauten schiessen liessen. In Deutschland kam Hitler vor genau 80 Jahren mit Hilfe des Grossbürgertums und der Industrie an die Macht. Krupp, Thyssen und andere Stahlbarone profitierten in der Folge von den Kriegsvorbereitungen.
Hitler hasste die Sozialdemokraten
Einer der ersten Sozialdemokraten, den die Nazi in ein KZ steckten, wo er 1938 an schlechter Behandlung verstarb, war der Friedensnobelpreisträger Carl von Ossietzky. Die Liste der Intellektuellen, die ins Ausland flüchten mussten, ist lang. Zumeist waren es Sozialdemokraten oder Juden oder beides. Zu ihnen gehörten Willy Brandt und Bruno Kreisky, später Bundeskanzler Deutschlands und Österreichs. Von den Nationalkonservativen wurden sie lebenslang als »vaterlandslose Gesellen« beschimpft.
Hitler hasste die Marxisten und Sozialdemokraten nicht weniger als die Juden. Sie bildeten in seinen Augen eine Symbiose. In der Tat standen bei der Gründung der sozialdemokratischen Parteien jüdische Intellektuelle an der Spitze: in Deutschland August Bebel und Wilhelm Liebknecht, in Österreich-Ungarn Viktor Adler. Ich rate Herrn Köppel und dem »Medizinhistoriker« Mörgeli, einmal in Hitlers »Mein Kampf« nachzublättern. Darin hob der grösste Führer aller Zeiten hervor: »Nur die Kenntnis des Judentums allein bietet den Schlüssel zum Erfassen der inneren und damit wirklichen Absichten der Sozialdemokratie.«
Noch immer muss Marx als Bürgerschreck herhalten
Ebenso absurd ist der Zusammenhang, den unsere heutigen Linkenfresser zwischen dem »internationalen Sozialismus« und kommunistischen Gewaltherrschaften »von Lenin, Stalin, und Mao bis hin zu Pol Pot und dem afrikanischen Schlächter Mengistu« (Köppel) herzustellen versuchen. Fakt ist, dass die kommunistischen Parteien bereits 1919 auf Betreiben Lenins aus der Sozialistischen Internationalen austraten und sich unter dem Kürzel Komintern organisierten. Die russische Oktoberrevolution 1917 war in Wirklichkeit ein Putsch der Bolschewiken gegen die provisorische Regierung der »Menschewiken« (Gemässigten) unter dem Sozialdemokraten Aleksandr Kerenskij. Der Zar hatte damals schon abgedankt.
Die Sowjetunion und ihre nach dem Zweiten Weltkrieg in Osteuropa eingesetzten Satrapen beriefen sich zwar auf Marx und Engels, waren aber nur an der »Diktatur des Proletariats« interessiert. Marx für die Verbrechen Lenins, Stalins oder Maos verantwortlich zu machen, ist grober Unfug. Der Philosoph und Nationalökonom beschäftigte sich mit den Gegebenheiten seiner Zeit und spekulierte nebenbei an der Börse. Als er 1883 in London starb, waren Lenin 13 Jahre und Stalin vier Jahre alt. Mao Zedong war noch nicht geboren.
Es ist erstaunlich, dass Marx 130 Jahre nach seinem Tod noch immer als Bürgerschreck herhalten muss. Die Sowjetunion ist untergegangen und in China dient die Kommunistische Partei nur mehr zur Machterhaltung einer Clique, die die marxistischen Lehren längst über Bord geworfen hat. Das letzte stalinistisch und zugleich dynastisch regierte Land, nämlich Nordkorea, hat eine eigene Ideologie gebastelt, »Dschutsche« genannt. Damit gemeint ist Abschottung und Autarkie.
In Moskau konferierten dieses Wochenende die Finanzminister der »G-20«, der 20 wichtigsten Staaten der Welt. Sie kamen überein, einen Währungskrieg zu vermeiden. Die Schweiz war erstmals als Gast eingeladen. So wird heute Politik gemacht. Die Neo- und Nationalkonservativen stehen auf verlorenem Posten.