Er träumt davon, bei den Wahlen Ende September «Volkskanzler» Österreichs zu werden und sein Land zur «Festung» umzubauen. Doch wer ist Herbert Kickl, der scharfzüngige Anführer der Rechtsaussenpartei FPÖ? Zwei Journalisten porträtieren ihn und ordnen seinen Erfolg in den Siegeszug des Populismus in Europa ein.
Weil sie so viel aussagt über den Mann, der im Zentrum ihres Buches «Kickl und die Zerstörung Europas» steht, schildern die Journalisten Gernot Bauer und Robert Treichler, Redakteure des Nachrichtenmagazins «Profil», die Episode mit der erforderlichen Ausführlichkeit: Am 19. Januar 2018 taucht Peter Goldgruber, Generalsekretär im österreichischen Innenministerium und enger Vertrauter von Minister Herbert Kickl, bei der einflussreichen Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft auf und übergibt ein Konvolut an Anschuldigungen gegen Beamte des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung.
Schockierte Nachrichtendienste
Er habe von Kickl den Auftrag, das Ministerium aufzuräumen, das «derzeit so korrupt wie nie» sei, erklärt Goldgruber gemäss der Aktennotiz einer beteiligten Staatsanwältin. Die Staatsanwaltschaft ordnet eine Hausdurchsuchung an, dreissig bewaffnete Beamte der Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Strassenkriminalität rücken an. Mit einer List verschaffen sie sich Zugang. Unter den konfiszierten Dateien befindet sich auch die Neptun-Datenbank, auf der die Kommunikation mit befreundeten Nachrichtendiensten gespeichert sind.
Die sind schockiert, das internationale Ansehen des Bundesamts ist ruiniert. Andere Nachrichtendienste würden sich künftig hüten, sensible Informationen mit den Österreichern zu teilen, schreibt die «Washington Post». Schockiert ist auch die Öffentlichkeit im Land selbst, denn schon bald erweist sich das Ganze als Fiasko. Schon im August stellt das Oberlandesgericht Wien fest, die Hausdurchsuchung sei rechtswidrig gewesen. Schon zuvor hat das Bundesverwaltungsgericht die von Minister Kickl verfügte Suspendierung von drei Beamten des Bundesamts aufgehoben, und 2023 werden drei ehemalige Spitzenbeamte des Amts in einem Prozess wegen Amtsmissbrauchs freigesprochen.
Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss wird eingerichtet, der eine politisch motivierte Einflussnahme beleuchten soll. Dort erklärt Goldgruber, er sei auf eigene Faust tätig geworden. Kickl schiebt das Ganze auf die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ab – und auf «die überbordende Berichterstattung der Medien». Zwei Tage vor seiner Entlassung als Innenminister nach nur gerade 17 Monaten im Amt im Mai 2019 im Zuge der Ibiza-Affäre will er dann Goldgruber noch zum Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit machen, doch Bundespräsident Alexander Van der Bellen verweigert seine Unterschrift. Später erklärt Van der Bellen, er würde Herbert Kickl nie mehr zum Innenminister ernennen.
Er will Österreich zur «Festung» machen
Dieser Herbert Kickl schickt sich dieser Tage an, Österreichs Kanzler zu werden, und seine Partei, die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ), hat gute Chancen, bei den Wahlen am 29. September auf Platz 1 zu landen – mit, je nach Umfrage, zwischen 26 und 28 Prozent Wähleranteil. Dann will er «Volkskanzler» sein. Höchste Zeit also, den Mann einmal zu porträtieren, der Österreichs Politik mit seiner scharfzüngig-aggressiven Rhetorik spätestens seit der Corona-Pandemie prägt. Zwar will niemand mit ihm koalieren, aber Kickl kümmert das nicht: Unermüdlich reist er durchs Land, verspricht teure Wohltaten, allerdings nur für Österreicher, und kündigt an, das Land zur «Festung» gegen Immigranten aller Art zu machen.
Gernot Bauer und Robert Treichler bewältigen ihre Aufgabe so schnörkellos, wie es sich für die Redakteure eines Nachrichtenmagazins gehört. Erstaunt stellen sie fest: Obwohl man den 55-jährigen Politiker zu kennen glaubt, weiss man fast nichts über seine Herkunft und über seine private Existenz. Das ist durchaus Kickls Absicht, denn auch gegenüber den Journalisten verweigert er alle Auskünfte. So reden denn Bekannte, Gegner, Schulfreunde, und so entsteht ein durchaus stimmiges, wenn auch wenig detailliertes Bild.
Jörg Haider – Vorbild und Förderer
Herbert Kickl wird am 19. Oktober 1968 im kärntnerischen Villach geboren, er wächst in der Bergbaustadt Radenthein in einfachen Verhältnissen auf. Radenthein ist sozialdemokratisch geprägt, und Kickls Vater, ein stiller gelernter Maurer und leidenschaftlicher Fussballer, ist es wohl auch. Der einzige Sohn ist aufgeweckt, er kommt aufs Gymnasium und ist ein guter Kumpel. In Wien, an der Universität, studiert er zunächst Politikwissenschaft und Publizistik, dann Geschichte und Philosophie.
Da ist schon das Idol seines Lebens in Kickls Blickfeld geraten. Es ist Jörg Haider, der mit rebellischem Geist und kühnen Reden die behäbige FPÖ aufmischt. Kickl bricht sein Studium ab und bewirbt sich bei der Freiheitlichen Akademie, dem Think-Tank der FPÖ. Haider wird aufmerksam auf den jungen Mann, den Bauer und Treichler als begabten «Universaldilettanten» beschreiben. Kickl sieht seine Heimat bedroht, durch Parallelgesellschaften, aber auch durch die 68er-Bewegung. Er hat eine ausgeprägte Begabung, Politik auf einfache Slogans zu reduzieren: «Daham statt Islam» ist einer davon, «Heimatliebe statt Marokkaner-Diebe» ein anderer. «Österreich zuerst» ist das Parteiprogramm dieser neuen FPÖ von 2011 überschrieben, Jahre bevor Donald Trump auf denselben Slogan verfällt: «America first».
Geschickt und notfalls ruchlos
Doch Kickl kann nicht nur Werbung, er kann auch Machtpolitik. Als Jörg Haider sich 2005 mit der eigenen Partei verkracht und eine Konkurrenz gründet, folgt Kickl seinem Idol nicht und wird dafür mit dem Posten des FPÖ-Generalsekretärs belohnt. Und als sich der neue FPÖ-Anführer Heinz-Christian Strache auf Ibiza gegenüber einer vermeintlichen russischen Oligarchen-Nichte um Kopf und Kragen redet, und das Video dieser Peinlichkeit im Mai 2019 öffentlich wird, zögert Kickl nicht, zum mittlerweile zum Vizekanzler avancierten Strache auf Distanz zu gehen. Zwei Jahre später schafft er es auch noch, mit dem gemässigten Norbert Hofer den nächsten Bundesparteiobmann mit internen Gerüchten zu Fall zu bringen.
Dass Kickl dies schafft, verdankt er einem veränderten Zeitgeist. Konkret: Dem Rechtspopulismus, der jetzt da und dort an Einfluss gewinnt: in Grossbritannien, in Italien, in Frankreich, in den Niederlanden, in Deutschland – und, schon länger, auch in der Schweiz. Ein separates Kapitel befasst sich mit den Hintergründen dieser Entwicklung. Und es vermag auch zu erklären, warum ein so misstrauischer, einzelgängerischer, oft auch sehr aggressiver Mensch wie Kickl es geschafft hat, eine derart breite Anhängerschaft zu gewinnen. «Er ist eine interessante, aber schwierige Persönlichkeit», zitiert das Buch Stefan Petzner, den früheren Sekretär von Jörg Haider. Und weiter: «Er ist sehr von sich eingenommen, bestimmend und duldet keinen Widerspruch. Gleichzeitig wirkt er aber oft unsicher und ist sensibel. Bei ihm weiss man nie, wo der Mensch aufhört und der Stratege beginnt.»
Gernot Bauer/Robert Treichler: Kickl und die Zerstörung Europas. Zsolnay Verlag, Wien 2024, 251 Seiten