„Die schönsten Tage des Jahres“, wie sie ein Neckermann-Ferienkatalog euphorisch nennt, gehen zu Ende. An vielen Orten der Schweiz beginnt das neue Schuljahr. Es ist die Rückkehr aus freien Tagen in die geregelte Unterrichtswelt. Jetzt werde es wieder ernst, sagt man und fügt bei: Mit der Schule fängt ja der Ernst des Lebens an.
„Humor nimmt mir die Angst“
Die heutigen Lehrpläne sind dicht und die Schulprogramme gefüllt, die Zeiten knapp und die Freiräume eng. Und doch sollte etwas genügend Raum finden: Humor und Heiterkeit. Nicht umsonst meint der Volksmund: Mit Humor geht alles viel besser. Er sei ja die Fähigkeit, heiter zu bleiben, wenn es ernst wird. Schule und Heiterkeit sind daher kein Widerspruch, sie bedingen sich. Es braucht Gelassenheit und heitere Distanz; so erreicht die Schule ihren Auftrag leichter.
„Wenn ein Lehrer Humor hat, nimmt mir das die Angst“, hat mir ein Schüler einmal anvertraut. Darum sollte jede Schule dem unterrichtlichen Alltag eine heitere Note geben und Humor zum guten Ton gehören. Das steht zwar in keinem Stundenplan, taucht kaum in einem Curriculum auf; vielleicht erscheint es ab und zu in einem Leitbild. Der Humor ist eine Art Sauerstoff fürs Gemüt, ein Weichmacher der Seele. Die Autofahrer würden vielleicht vom „sozialen Schmiermittel“ reden. Heiter sein: nie das Lächeln verlieren, auch wenn im schulischen Alltag einem ab und zu vielleicht das Lachen vergeht.
Lachend ernsthaft sein
Doch heiter sein ist gar nicht so einfach. Und wer unter Stoff- und Leistungsdruck steht, wie viele in den heutigen Schulen, hat es doppelt schwer. Auch der Erziehungsauftrag wird anspruchsvoller und schwieriger. Lehrerinnen und Lehrer brauchen darum die Kraft des Gegenläufigen, den Mut zum Gegenhalten und zum Widerstand. Das gehört zur Pädagogik, das ist Teil ihres Auftrags.
Es ist das „alte Wahre“, von dem Goethe in „Wilhelm Meisters Lehrjahren“ sinngemäss sagt: „Wenn wir die Menschen so nehmen, wie sie sind, bleiben sie stehen. Nehmen wir sie aber so, wie sie sein sollten, bringen wir sie dahin, wie sie sein können.“ Natürlich müssen Lehrpersonen junge Menschen mögen, sonst haben sie den Beruf verfehlt. Aber nicht partout in ihrer aktuellen Form, in ihren momentanen Launen – eher in ihrer Möglichkeitsform. Die Entwicklung von Möglichkeiten aber ist pädagogische Arbeit, nicht immer Spass. Damit junge Menschen diese Arbeit auf sich nehmen, brauchen sie ein Zugpferd. Das sind die Lehrerinnen und Lehrer. Diese Arbeit geht einfacher, geht leichter mit einer Prise Humor. Nicht umsonst sagt der Dichter Gotthold Ephraim Lessing in seinem Stück „Minna von Barnhelm“: „Kann man denn nicht auch lachend sehr ernsthaft sein?“
Lachend ernsthaft sein – ein wunderbares Paradoxon. Und der Autor des Nathan fügt bei: „Das Lachen erhält uns vernünftiger als der Verdruss.“ Wie recht er hat. Und das vor rund 250 Jahren! Eine alte Wahrheit – eine, die nicht veraltet und insofern klassisch ist.
Über sich selber lachen
Wer über sich selbst lachen kann, hat immer etwas zu lachen. Ein überraschender Grundsatz, allerdings nicht immer ganz einfach. Vielleicht bin ich selber der sicherste Humorkredit – ich und meine Selbstironie. Über sich selber lachen – und das auch den Schülerinnen und Schülern erlauben. Wenn mir etwas Dummes passiert, wenn mir ein Fehler unterläuft, wenn ich etwas Falsches formuliere. Humorvoll zugeben und lachen – eine selbstironische Heiterkeit.
Lehrerinnen und Lehrer verlieren dabei nichts von ihrem Status, nichts von ihrer wichtigen pädagogischen Autorität. Im Gegenteil! Wenn sie mit ihrer Rolle spielen, gewinnen sie in der Beziehung zu den Schülern und stärken ihren Status. Menschen, die über sich selber lachen können, werden gerade deswegen ernst genommen.
Miteinander, nicht übereinander lachen
Kinder lachen gerne; das sieht man, das hört man – auch auf dem Pausenplatz. Sie lachen pro Tag 200- bis 300-mal, Erwachsene 20-mal. Und noch etwas: Für ein lächelndes Gesicht strapaziert man dreizehn Muskeln, für ein mürrisches sechzig. Nackte Nutzanwendung! Es lohnt sich zu rechnen.
Fröhliches Lachen entlastet nicht nur die Gesichtsmuskulatur. Es aktiviert das ganze Hirn. Von der rechten bis zur linken Hälfte, von der Stirn bis zum Hinterkopf. Lachen ist darum sicher nicht ungesund. Eher das Gegenteil. Mit einem einzigen Vorbehalt: Wir dürfen nicht übereinander lachen, sondern miteinander. Nur ein solcher Humor bringt auch Vertrauen. Und das Vertrauen wird noch stärker, wenn der Humor an einen ernsthaften Inhalt gekoppelt ist. Eben: „[...] lachend ernsthaft sein!“
Das fröhliche Lachen tönt hörbar weiter
Genauso hat schon die berühmte thrakische Magd im alten griechischen Milet gelacht – mit letztlich erlösender und darum fördernder Wirkung. Eine heitere Anekdote erzählt davon. Und seit Thales’ Malheur kommt in der Philosophie das Lachen vor – und damit auch in der Schule: Vor den Augen der Thrakerin stürzt der Philosoph und Sterndeuter Thales in eine Zisterne, als er spät abends gedankenverloren durch die Strassen von Milet geht und die Sterne betrachtet. „Die Geheimnisse des Himmels willst du erforschen und siehst nicht einmal, was vor deinen Füssen liegt!“, lacht die witzige Magd – und der Philosoph Thales lacht mit.
Eine Anekdote vielleicht – mindestens so gut erfunden, dass es heiterer gar nicht ginge. Und seither tönt das fröhliche Lachen hörbar weiter.
Das Lachen von Milet als Bildungsziel
Die Geschichte der thrakischen Magd und des ehrwürdigen Philosophen im Brunnenloch kommt Lehrerinnen und Lehrern vielleicht in den Sinn, wenn sie vor einem neuen Schuljahr stehen und die Ansprüche der dichten Lehrpläne und auch der Eltern betrachten – und dabei vielleicht ein ernstes Gesicht machen. Doch hoffentlich wird ihnen bald klar, dass mit heiterem Humor alles viel besser geht. So wie es dem Philosophen Thales nach dem Lachen der thrakischen Magd wieder besser gegangen ist.
Und das muntere Lachen von Milet hat sich durch die ganze Geschichte fortgesetzt. Es gehört in jede Schule und in jedes Klassenzimmer – wenn möglich als modernes Bildungsziel.