Sogar das alte Orakel Alan Greenspan prophezeit inzwischen: «Der Euro bricht zusammen.» Willkommen im Club. Der deutsche Bundespräsident Wulff kritisiert völlig zu Recht den gegen alle Regeln verstossenden Aufkauf von Staatsschuldpapieren durch die Europäische Zentralbank als «rechtlich bedenklich» und schliesst sich damit dem Ex-Präsidenten und dem Amtsinhaber der Deutschen Bundesbank an. Von den Regierungen in der Euro-Zone und aus den USA hört man nur hilfloses Gestammel, das nun wirklich niemand mehr ernst nehmen kann.
Und in der Schweiz?
Der Bundesrat kann nicht wirklich kritisiert werden, weil er sich in einer Prognose mal wieder verhauen hat und inzwischen statt von einem Defizit von einem Überschuss von 2,5 Milliarden fürs Jahr 2011 im Staatshaushalt ausgeht. Und die putzige Wahlkampf-Idee, mit der Giesskanne 2 Milliarden an Geschädigte durch den starken Franken zu verteilen, hat er bereits gestrichen. Selbst die SVP hat Mühe, den drohenden Untergang eidgenössischer Tugenden und Werte an die Wand zu malen, dem nur sie begegnen könne. Sogar die prognostizierte bedenklich niedrige Wahlbeteiligung könnte nur mit Anlauf als Politikverdrossenheit interpretiert werden. Lerne zu klagen, ohne zu leiden, diesem Prinzip verschreiben sich einige Interessenvertreter der Wirtschaft, der Arbeitnehmer und von Randgruppen. Wieso ist das hierzulande alles so idyllisch?
Kontrolle und Konsens
Exemplifizieren wir einen bedeutenden Unterschied an zwei zumindest fragwürdigen, wenn nicht überflüssigen Bauwerken: Gotthard-Basistunnel und Bahnhof Stuttgart 21. Beides Milliardenlöcher, die offenbar die angekündigten Versprechungen nicht einlösen werden. In Deutschland stolperte eine Landesregierung darüber, und ihre grün-roten Nachfolger müssen nun der Bevölkerung erklären, wieso der Bahnhof halt doch gebaut werden wird. In der Schweiz kam niemand auf die Idee, vor dem Tunnel zu protestieren oder sich gar Schlachten mit der Polizei zu liefern. Einfach, weil vorher darüber abgestimmt wurde, und wer zu faul war, ein Nein einzulegen, akzeptiert den Konsens, dass ihm seine Abstinenz nicht das Recht gibt, anschliessend zu protestieren.
Die Steuerfrage
Jeder Bewohner der Eurozone reibt sich verwundert die Augen, wenn er erfährt, dass in der Schweiz die Bevölkerung in Gemeinden und Kantonen über die Höhe des Steuerfusses abstimmt. Und keinesfalls aus Prinzip immer für möglichst niedrige Abgaben ist. In Deutschland hingegen möchte Finanzminister Schäuble am liebsten die neuen Milliardenverpflichtungen im Rahmen des x-ten Rettungsschirms Europäische Finanzstabilitätsfazilität eingehen, ohne dem Parlament Gelegenheit zu geben, dazu Stellung zu nehmen. Von einer Volksabstimmung ganz zu schweigen. So einfach ist’s: Wer Steuern zahlt, ohne das Geringste über ihre Verwendung bestimmen zu dürfen, und mitbekommt, dass das nicht mal seine Volksvertreter können, der sieht sich nicht als Staatsbürger, sondern als Untertan.
Das Kleinteilige
Es zeigt sich in der EU immer deutlicher, dass zu Dinosauriern angewachsene Staatsgebilde für den spürbaren Demokratieverlust keinen Ersatz anbieten können. Unabhängig davon, wie und ob überhaupt der Euro gerettet werden könnte, unabhängig davon, ob die Europolitiker eine Bande von wortbrüchigen Versagern oder eine Ansammlung von kompetenten und weitsichtigen Staatenlenkern sind: Nur eine kleine Minderheit ihrer Untertanen fühlt sich noch als EU-Bürger, der seinen Anliegen demokratisch Gehör verschaffen kann. Ganz anders in der Schweiz. Ein Gemeindeammann, ein Stadtpräsident, ein Regierungsrat und selbst ein Minister ist für seine Handlungen behaftbar. Weil die davon Betroffenen dank der Kleinteiligkeit der Schweiz ihrem allfälligen Unmut notfalls sogar mit einem Referendum oder einer Initiative Ausdruck verleihen können. Deshalb muss auch niemand, das ist kein Oberflächenphänomen, mit gepanzerter Limousine und Bodyguards unterwegs sein. Diese Insignien der Macht begleiten europäische Regierungsvertreter ein Leben lang, auch nach dem Abgang.
Keine Idyllenmalerei
Natürlich werden in der Schweiz grosse Würfe oder herausragende Politiker gerne auf ein guteidgenössisches Mittelmass zurechtgestutzt. Gibt es Hinterzimmerintrigen, wohldotierte Lobbys, fehlende Transparenz bei der Parteienfinanzierung, gegenseitige Antipathie zwischen Stadt und Land, unter den verschiedenen Sprachgruppen. Dazu fehlende Konfliktfähigkeit, eine gewisse quengelnde Selbstgerechtigkeit, wenn die Schweiz wegen kleineren oder grösseren Sauereien im Finanzbereich gnadenlos zur Kasse kommt. Da gilt dann: Machen andere doch auch, aber auf uns hackt man rum, sind halt alles Neider. Und im Umgang mit unseren systemgefährdenden Grossbanken hat sich die Schweizer Politik nicht mit Ruhm und Ehre bekleckert. Aber vielleicht erledigt sich das Problem ja von selbst, wenn der Aktienkurs beispielsweise der UBS auf 5 Franken zusammenschnurrt und weitere Tausende von Angestellten entlassen werden. Der politische Umgangston ist allerdings rauer geworden, aber auch da gibt es bereits Gegenströmungen.
Gut aufgestellt
Wenn die politische und wirtschaftliche Zukunft der Welt so düster wird, wie es immer mehr kompetente Kenner vorhersagen, dann ist die Schweiz, um einen Begriff aus dem Managertalk zu verwenden, immerhin sehr gut aufgestellt. Friedrich Engels hat ja vorgeschlagen, nach dem weltweiten Sieg des Sozialismus aus der Schweiz ein Museum zu machen, in dem glückliche Kommunisten das Walten des Kapitalismus betrachten können. Also eine Art schweizumfassendes Ballenberg. Vielleicht hatte er damit gar nicht so Unrecht. Nur, dass die Schweiz nicht von sozialistischen Staaten umgeben wäre, sondern von wirtschaftlich und politisch gescheiterten Systemen. Dann allerdings, auch eine lustige Vorstellung, mit einer ziemlich hohen Mauer um die Eidgenossenschaft herum.