Kriselnde Binnenwirtschaft, Absetzbewegungen westlicher Länder und auch von einzelnen Unternehmen, ebenso wie Xi Jinpings unverhülltes, und damit kontraproduktives Streben, sein Reich als global wichtigste Supermacht zu etablieren, werfen die grundlegende Frage auf, ob Chinas vermeintlich unumkehrbarer Aufstieg sich ins Gegenteil verkehrt.
Kriselnde Binnenwirtschaft
Verschiedene Unternehmen in der Schweiz, darunter auch Banken, setzen auf chinesisches Wirtschaftswachstum wie zuvor. Sie werden sich dabei die Finger verbrennen: Die chinesische Binnenwirtschaft stagniert, da der grosse «Nachholboom» ausbleibt. Die chinesische Führung hatte gehofft, der chinesische Durchschnittsbürger würde nach der durch die Pandemie erzwungenen Pause wieder und mehr konsumieren. Der vermeintliche Überhang der verfügbaren privaten Ersparnisse ist in China um einen Faktor 3 kleiner als etwa in den USA, wo bekanntlich der Nach-Pandemie-Boom zur Überhitzung der Konjunktur und damit zu vorübergehend gefährlich hoher Inflation geführt hat.
Ruchir Sharma, Vorsitzender von «Rockefeller International», wo die Mittel für die zu den weltgrössten Stiftungen zählende «Rockefeller Foundation» generiert werden, sieht das bisherige Wachstumsmodell Chinas als gescheitert an: «Stimulus and debt was always unsustainable and now has run out of steam»: (Stimulierung und Schulden waren seit jeher nicht nachhaltig, (dieses System) ist nun eingebrochen.) Als Beispiel mag der sich in einer tiefen Krise befindende, chinesische Immobilienmarkt gelten: Dessen explosionsartiges Wachstum mit entsprechendem gewaltigen Überhang von Leerwohnungen wurde durch Landverkäufe von Lokalbehörden genährt, welche dadurch ihre Budgets finanzierten, währenddem die Käufer von finanziellen Konjunkturanreizen der Zentralregierung profitieren. Diese bleiben nun aus, womit das Kartenhaus einknickt.
Wirtschaftliche Absetzbewegungen
Schlagzeilen verkünden aktuell, dass dem anfänglichen US-amerikanischen Ruf nach «de-coupling» – die Unterbrechung von Wirtschaftsverbindungen mit China – nun angesichts des Gewichts der Wirtschaftsbeziehungen zwischen China und dem Westen die Forderung folgt nach «de-risking» – Abbau strategischer Abhängigkeit von China und betriebswirtschaftliche Verteilung des bislang auf China zentrierten Geschäftsrisikos auf andere Länder und Regionen.
Im Papier «Europäische wirtschaftliche Sicherheitsstrategie» der EU-Kommission an die Adresse der Mitgliedsländer wird der erste Teil von «de-risking» konkretisiert. Direktinvestitionen in Europa sollen stärker überwacht und umgekehrt europäische sicherheitsrelevante Investitionen in China verboten werden. Zudem sollen für «dual use»-Güter – zivile und militärische Nutzung möglich – umfassende Exportkontrollen eingeführt werden. Damit wird eine Parallele deutlich zum Kalten Krieg, als solche Kontrollen mit der UdSSR und dem Ostblock bestanden. Die zwei grossen EU-Mitglieder Deutschland und Frankreich versuchen, hier im Moment noch auf die Bremse zu treten; sie werden aber wohl letztlich von der Realität eingeholt.
Auf der Ebene einzelner Unternehmen mehren sich Beispiele von Absetzbewegungen. Im prominenten Fall des Reifenherstellers Pirelli hat die italienische Regierung in der Folge von Klagen aus der Gründerfamilie des Weltkonzerns die Rechte des grössten Anteilseigners von Pirelli, des chinesischen Konzerns Sinochem, so beschnitten, dass de facto die Familie die volle Kontrolle wieder übernimmt. Sinochem ist übrigens auch bestimmender Aktionär von Syngenta, einem heute essentiell chinesischen Unternehmen.
Sogar die deutsche Autoindustrie, zu den wichtigsten Befürwortern freien Wirtschaftverkehrs mit China gehörend, kommt nun unter Druck. VW, BMW und Mercedes sind von der NGO «Europäisches Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte», mit Sitz in Berlin, bezichtigt worden, Zwangsarbeit in der west-chinesischen Provinz Xinjiang zu dulden. Diese Klage muss nun auf der Basis des deutschen Lieferkettengesetzes von der nationalen Wettbewerbsbehörde geprüft werden. VW hat bereits angekündigt, dass im Werk in Xinjiang keine Autos mehr gefertigt würden.
Ob «de-coupling» oder «de-risking», der Endeffekt ist derselbe. Das Volumen westlicher Wirtschaftstätigkeit in und mit China nimmt ab.
«Xivilisation»
Im April dieses Jahres hat Xi als 3. Pfeiler seiner Vorstellung einer künftigen Weltordnung die «Global Civilization Initiative» enthüllt; dies in der Folge seiner «Global Security Initiative» und der «Global Development Initiative».
Letztere bildet das ideologische Gerüst der «Belt and Road Initiative», der neuen Seidenstrasse, welche Beijing als Welthauptstadt mittels einer gewaltigen Kette von Infrastrukturprojekten mit Südostasien, Afrika und Europa verbinden soll. Zahlreiche Autobahnen, Häfen und Bahnlinien sind tatsächlich entstanden, viele davon haben allerdings – weil finanziert mit keineswegs günstigen chinesischen Krediten und ausschliesslich von chinesischen Arbeitskräften gebaut – in den Empfängerländern riesige Schulden und ob diesem neuen Kolonialismus aufgebrachte Bürger hinterlassen.
Die «Global Security Initiative» meint tatsächlich ungestümes Wachstum chinesischer Aufrüstung und entsprechender Möglichkeiten zum Kauf von chinesischen Rüstungsgütern für jene in der 3. Welt, welche sich nicht länger auf den teureren westlichen Märkten eindecken wollen.
Der ideologisch anspruchsvollste Pfeiler der «Xivilisation» – das offizielle Sprachrohr Beijings im Ausland, die «Global Times», spricht tatsächlich und ohne ironischen Unterton von Xivilization – ist zweifellos die «Civilization Initiative». Vordergründig kommt sie daher als anti-kolonialistisches Zurück zu den jeweiligen lokalen Traditionen, verbunden mit der Verneinung «westlicher» Werte wie Menschenrechte, Rechtsstaat und Demokratie. Sie entfaltet damit eine gewisse Attraktivität insbesondere für die zahlreichen Autokraten und ihre einheimische Klientel in der 3. Welt, welchen so die ideologische Grundlage offeriert wird, lästige Kritiken aus dem Westen, aber auch berechtigte Begehren ihrer eigenen Bürger zurückzuweisen.
Angesichts der langen Reihe von Bewerbern, welche der Organisationsstruktur der Brics (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) beitreten wollen, scheint Xis Unterfangen, einen mächtigen, antiwestlichen Gegenpol zu bilden, auf den ersten Blick erfolgreich. Bei näherem Zusehen wird aber klar, dass Brics ein reines Zweckbündnis ist, wo jeder seine eigenen Ziele verfolgt und keineswegs gewillt ist, nach der chinesischen Pfeife zu tanzen. Indien ist gar auf einen strategischen Kurs eingeschwenkt – wie sich anlässlich des kürzlichen Staatsbesuches von Premier Modi in Washington gezeigt hat –, der eine dezidiert anti-chinesische Note aufweist.
Die Reaktion
Es sind denn auch die wichtigsten direkten Nachbarn Chinas im Indo-Pazifik, welche schnell und dezidiert gegen Beijing Stellung nehmen. Und so zum Ausdruck bringen, dass sie die gegenwärtige Pax Americana im Pazifik einer durch den chinesischen Drachen dominierten Region vorziehen. Der «Quadrilateral Dialogue» (Quad) mit den USA, Japan, Indien und Australien ist die entsprechende sicherheitspolitische Ausprägung davon; Korea ist lediglich wegen seinem strategischen Mühlstein am Hals – dem «Bruderland» im Norden der Quad – (noch) nicht beigetreten. De facto nimmt Seoul aber bereits an entsprechenden, sicherheitspolitisch relevanten Tätigkeiten teil, so etwa den Militärmanövern. Interessant in diesem Zusammenhang die neuesten Handelszahlen, wonach koreanische Exporte nach den USA jene nach China kürzlich überholt haben.
In Südostasien, wo die Asean (Association of South-East Asian Nations) seit Jahren auf dem Zaun sitzt zwischen der von den USA garantierten Sicherheit einerseits und der Verlockung des chinesischen Riesenmarktes andererseits, ist ebenfalls eine eindeutige sicherheitspolitische Hinwendung zum Westen zu beobachten. Jüngstes Beispiel sind die Philippinen, wo die Regierung von Marcos jun. zum traditionellen Militärbündnis mit Washington zurückgekehrt ist.
Xi ist heute wohl in der typischen Blase der Autokraten gefangen, wo Höflinge jedem auch noch so abwegigen Einfall des Herrschers applaudieren und nur noch ihm genehme Neuigkeiten durchlassen. So geschehen während der absurden Null-Covid-Politik von Xi, welche erst nach desaströsen Resultaten geändert wurde. Realistisch denkende Mitglieder der chinesischen Führungsriege müssten aber zum Schluss kommen, dass sich der gegenwärtige Kurs absoluter Unterwerfung gegenüber dem Diktat von Xi gefährlich erweisen könnte. Denn Autokraten und Diktatoren haben tönerne Füsse, wie uns die Aktualität in Russland einmal mehr vor Augen führt.