Journal 21: Doris Fiala, haben Sie Ihre Meinung geändert? Erst hielten Sie eine Frauen-Kandidatur für die Nachfolge von FDP-Bundesrat Didier Burkhalter nicht für zwingend. Dann freuten Sie sich über gleich zwei Frauen-Kandidaturen aus der Romandie.
Doris Fiala: Ich habe im Namen der FDP-Frauen und persönlich immer gesagt, dass wir eine FDP-Frau im Bundesrat wünschen, fordern und unterstützen. Aber ich sagte auch, es sei mir bewusst, dass wir in dieser Runde natürlich einen Zielkonflikt haben. Die FDP-Frauen machen im Parlament, das ja die Bundesräte wählt, weniger als 18 Prozent aus; ohne viel Überzeugungsarbeit bei den Männern wird es diesmal nicht gelingen, eine Frau in den Bundesrat zu bekommen. Dass die Tessiner FDP nur Ignazio Cassis vorschlägt, macht es nicht einfacher.
Weshalb haben Sie die Tessiner FDP nicht überzeugen können, auch Laura Sadis auf das Ticket zu nehmen?
Dort, wo die Musik spielt und ein Amt zu holen ist, werden für eine Bundesratswahl meist nur Mitglieder des nationalen Parlaments bevorzugt. Laura Sadis hat sich vor Jahren aus dem Nationalrat und vor zwei Jahren auch aus dem Tessiner Regierungsrat zurückgezogen. Sie hatte trotz ihrer Bereitschaft zur Kandidatur und trotz besten Qualifikationen erwartungsgemäss geringere Chancen.
Warum haben Sie diese Wendung erwartet?
Wenn ich es analysiere, wird kaum einmal jemand, der nicht Mitglied der Bundesversammlung ist, in den Bundesrat gewählt. So erging es 2010 bei der Nachfolge von Bundesrat Hans Rudolf Merz der bestens qualifizierten St. Galler FDP-Regierungsrätin Karin Keller-Sutter. Ein Jahr später wurde sie in den Ständerat gewählt und ist eine unserer Hoffnungsträgerinnen für das höchste Amt in der Zukunft. Pierre-Yves Maillard erging es nicht anders. Wahlen in andere Exekutiven funktionieren ähnlich. FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen wollte in Bern Regierungsrat werden, aber es wurde ihm jemand aus dem Kanton vorgezogen. Ich selber hätte gerne für den Zürcher Stadtrat kandidiert, doch es kam jemand aus dem Gemeinderat zum Zug. Dem Grünen-Nationalrat Bastien Girod erging es gleich. Man gilt trotz nationalem Leisungsausweis und lokalem Wohnsitz als Aussenseiter.
Die jetzt offizielle Waadtländer FDP-Kandidatin Isabelle Moret ist Nationalrätin. Stärkt das ihre Chancen auf ein Zweierticket mit Ignazio Cassis, trotz der Kandidatur des Genfer Regierungsrates Pierre Maudet?
Wir waren von Anfang an transparent und sagten, es werde diesmal noch schwierig bleiben. Wir fordern natürlich eine Frau, aber wenn es am 20. September 2017 bei der Ersatzwahl für Didier Burkhalter nicht klappt, muss es in der nächsten Runde funktionieren. Dann müsste die FDP zur Einsicht gelangen, dass es ein doppeltes Frauenticket braucht! Irgendwann in naher Zukunft wird der von mir sehr geschätzte Bundesrat Johann Schneider-Ammann zurücktreten. Auch dann gibt es sehr tüchtige Frauen für die Nachfolge: Ständerätin Karin Keller-Sutter, Parteipräsidentin Petra Gössi oder auch die Zürcher Regierungsrätin Carmen Walker Späh und andere ...
... und Sie selber.
Für mich ist das kein Thema.
Meinen Sie das ernst? Oder sagen Sie es nur so wie manch andere Politiker?
Ich meine es ernst. Ich strebe das höchste Amt nicht an. Es gibt jüngere Frauen, die dafür bestens qualifiziert sind.
Ganz realistisch: Was tun Sie, wenn Isabelle Moret keine Chance bekommt und dieses Mal wieder keine FDP-Frau Bundesrätin wird?
Wir müssen über diese Ersatzwahl hinausdenken, taktisch und strategisch überlegen, nicht einfach feministische Forderungen formulieren oder medienwirksame Sprüche klopfen, sondern analysieren, wie es uns gelingen kann, auch die bürgerlichen Männer zu überzeugen. Linke Frauen können fordern, ohne den Tatbeweis zu erbringen, was sie wollen; aber Linke wählten zum Beispiel im Jahr 2010 Karin Keller-Sutter nicht ausreichend, sie war wohl eine für sie zu stramme Frau.
Chantal Galladé etwa, SP-Natonalrätin, schrieb, dass sie damals Keller-Sutter gewählt habe.
Schon möglich, dass vereinzelte Linke für sie gestimmt haben. Parteiprogramme allein sollten ja nicht ausschlaggebend sein. Jetzt geht es zunächst um die verfassungsgemässe Vielfalt in der Landesregierung, nicht nur um Partei-Ansprüche. Ich habe grosses Interesse daran, für die Burkhalter-Nachfolge einen lateinischen Sitz zu gewährleisten. Das gilt aber nicht nur für das Tessin, sondern sicher auch für die ausgewiesene Politikerin aus dem Waadtland. Nachdem Isabelle Moret nun offiziell kandidiert, müssen wir FDP-Frauen überlegen, wie wir sie kämpferisch unterstützen können. Auch in der eigenen Fraktion müssen wir die Männer überzeugen, sie bei ihrem Ehrgefühl und ihrer Intelligenz packen, eine Frau zu wählen.
Hat die FDP ein Frauenproblem? Es gab bisher eine einzige FDP-Bundesrätin, Elisabeth Kopp, und ihr Rücktritt liegt auch schon bald drei Jahrzente zurück.
Viele Männer in der Bundesversammlung, vor allem jene, die selber Ambitionen auf den Bundesrat haben, setzen andere Prioritäten. Aber wir FDP-Frauen machen uns nachhaltige Überlegungen. Klappt es diesmal nicht, werden wir in der nächsten Runde ein Doppelticket mit Frauen fordern. Durch die Rücktrittsankündigung von Bundespräsidentin Doris Leuthard kommt in die Frauenfrage zusätzlich Bewegung.
Mit dieser Ankündigung tritt möglicherweise das Thema einer Tessiner Vertretung in den Hintergrund. Die CVP könnte mit Ständerat Filippo Lombardi antreten.
Wir müssen uns genau anschauen, wie sich die CVP nach der Burkhalter-Ersatzwahl für die Nachfolge von Doris Leuthard formiert. Sollte jetzt Ignazio Cassis Bundesrat werden, ist das Thema Tessin vom Tisch und damit auch eine Kandidatur Lombardi. Andererseits: Es bringen sich bereits etliche CVP-Männer in Stellung, die ganz sicher lieber jetzt schon die Frauenfrage lösen würden, damit sie in den nächsten Runden nicht mehr derart ins Zentrum rückt. Die Männer blicken automatisch immer in die nächste Geländekammer, wenn eine Wahl ansteht, hiess es in der NZZ. Das muss man auch von uns Frauen erwarten! Wir überlegen, wie wir bei den nächsten Vakanzen mit unseren hervorragenden Politikerinnen ins Ziel gelangen, mit oder trotz den Männern. Rein rechnerisch haben wir ohne sie bekanntlich immer das Nachsehen. Selbst wenn alle Frauen der Bundesversammlung unsere Kandidatin wählen würden, reichte es nicht.
Wie wollen Sie das ändern?
Ich zähle auf die Einsicht der freisinnigen Männer, dass wir auf die Länge nicht glaubwürdig sind, wenn wir es nicht fertigbringen, als moderne, liberale, fortschrittliche Partei eine Frau in den Bundesrat bringen zu wollen. Nur so haben wir weibliche Vorbilder und können viel mehr Frauen besser ansprechen und überzeugen, denn viele Frauen haben keine eigenen Vorbilder. Zwar haben wir eine tolle Parteipräsidentin, wir hatten eine herausragende Nationalratspräsidentin, aber seit unserer ersten und einzigen Bundesrätin sind 28 Jahre vergangen. Wir brauchen dringend eine bestens qualifizierte neue Magistratin. So würde auch das „Trauma“ rund um den Rücktritt der ersten Bundesrätin Elisabeth Kopp definitiv überwunden. Soll die Partei nicht Schaden nehmen, braucht es jetzt einen Tatbeweis, nicht nur fromme Frauenwünsche, sondern eine tiefe Überzeugung, dass die Frauenfrage für die FDP-Interessen relevant ist.
Was spricht denn für Isabelle Moret – ausser dass sie eine 46-jährige, hübsche Blonde ist?
Sie ist überlegt und liess sich lange Zeit, bis sie sich für eine Kandidatur entschied, denn sie hat schulpflichtige Kinder. Es war sehr weise, wie umfassend sie ihre Situation analysierte.
Und was noch?
Sie ist Rechtsanwältin und politisiert seit 10 Jahren in der Bundesversammlung; sie geniesst weit über die Parteigrenzen hinweg einen guten Ruf. Ihre Themen sind Gesundheits- und Familienpolitik, sie ist aber auch in Wirtschaftsfragen verlässlich. Isabelle Moret bringt die ganze Erfahrung von Bundesbern mit, zwar keine Exekutiverfahrung, aber wenn man davon ausgeht, dass die Musik tatsächlich dort spielt, wo ein Amt zu holen ist, sind 10 Jahre Tätigkeit im Nationalrat ein wichtiger Leistungsausweis.
Isabelle Moret lebt in einem winzigen Dorf im Bezirk Morges, Ignazio Cassis ausserhalb von Lugano. Schon wieder keine urbane Kandidaturen – ausser Pierre Maudet aus Genf. Der Bundesrat besteht praktisch nur noch aus Landeiern.
Es stimmt, dass die spezifischen Bedürfnisse und Probleme von Metropolen nicht mehr direkt in der Landesregierung eingebracht werden. Aber der urbane Geist lebt in Isabelle Moret.
Wie wird Isabelle Moret im bevorstehenden „Beauty Contest“ in den Fraktionen bestehen?
Sie wird auch kritische Fragen gut beantworten. Zum Beispiel, wie sie sich künftig mit ihren schulpflichtigen Kindern zu organisieren gedenke.
Eine Frage, die keinem männlichen Kandidaten gestellt würde, auch wenn sie seit 1848 noch nie relevant war.
Exakt die gleiche Frage würde ich auch einem Mann in der gleichen Situation stellen.
Nach der Ersatzwahl am 20. September steht Ihnen die Abstimmung vom 24. September bevor. Wie halten es die FDP-Frauen nach dem Nein der Partei mit der Rentenreform?
Wir stehen voll hinter diesem Nein und kämpfen dafür, übrigens auch die Jungfreisinnigen.