Gehen die Börse runter und der Franken hoch, herrschen Panik und üble Laune. Ist es umgekehrt, hellen sich zuvor besorgte Mienen wieder auf und bricht Optimismus aus. Beides ist kurzsichtig und dumm. Denn weder die Börsen noch die Währungskurse haben etwas mit dem realen Zustand der Weltwirtschaft zu tun. Und den wirklichen Problemen, die auf uns zukommen. Darüber spricht und schreibt kaum jemand. Vielleicht, weil es zu deprimierend wäre.
Erstes Problem: Die Rentner
Es ist eigentlich verwunderlich, dass sich die zukünftigen Rentner nicht schon längst ein Beispiel an den marodierenden Jugendlichen in London genommen haben. Wohl nur deshalb, weil sie nicht zur Kenntnis nehmen wollen, dass in den letzten Jahren ihr angespartes Altersguthaben verröstet wurde. Denn ihre Vorsorgegroschen wurden grösstenteils in nie mehr zurückzahlbare Staatspapiere investiert. Es kann ja niemand ernsthaft hoffen, dass zu 100 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) verschuldete Staaten diese Last jemals begleichen können. Schlimmer noch: Da sind die sogenannten Sozialversprechen, also auch staatliche Renten, noch gar nicht eingerechnet. Tut man das, sind wir beim bis zu Siebenfachen des BIP angekommen. Da könnte nicht mal ein Wunder helfen. Eine ganze Generation von Rentnern wird verarmen und verelenden.
Zweites Problem: Das Gratisgeld
Die USA haben es zur Staatsdoktrin erhoben, dass in den nächsten Jahren Geld nichts kostet. Abgesehen von den bereits beschriebenen tödlichen Folgen für die Finanzwelt werden damit auch bislang stabile und aufstrebende Länder wie beispielsweise Brasilien überschwemmt. Und China, der zweitgrösste Gläubiger der USA, nach deren eigener Notenbank Fed wohlgemerkt, mahnt zwar den Pleitestaat USA mit scharfen Worten zu mehr Schuldendisziplin, ist aber wie jeder Gläubiger auf Gedeih und Verderb seinem Schuldner ausgeliefert. Denn was US-Schulden tatsächlich wert sind, das bestimmen die USA, nicht China. Und es gibt keine Theorien, die die Folgen beschreiben, wenn die Vereinigten Staaten ihre Schulden wegzuinflationieren beginnen. Einfach deshalb, weil solche gigantischen Dimensionen nicht fassbar sind.
Randproblem: Die Schweiz
In den Strudel mit hineingerissen werden selbst Staaten wie die Schweiz, die über eine solide Wirtschaft und ein ebensolches Staatshaushaltgebaren verfügen. Deutlichstes Merkmal davon ist der wild herumtanzende Franken. Dem nützt es nichts, dass er stabil und sicher ist, wenn die wichtigsten Währungen der Welt, Dollar und Euro, wurmstichig und hohl sind. Ob der Franken 1 zu 1 oder 1 zu 1.10 oder 1 zu 1.40 zum Euro steht, sind nur graduelle Unterschiede. Ein solch wildes Tanzen und Schaukeln hemmt die Investitionsbereitschaft in der Schweiz, und diese Folgen wird die Eidgenossenschaft so oder so zu spüren bekommen. Ob der Währungskrieg der Nationalbank gewonnen wird oder nicht. Denn sie kann höchstens Übertreibungen glätten, aber natürlich nicht das fundamentale Problem von Dollar und Euro lösen.
Drittes Problem: Der Niedergang der USA
Wir erlebten offensichtlich nur ein kurzfristiges Triumphieren der einzigen Super- und Ordnungsmacht der Welt, die nach dem Zerfall der UdSSR übrigblieb. Durch zwei unsinnige Kriege schwer angeschlagen, ohne wertschöpfende Industriebasis, dafür mit verrottender Infrastruktur, haben die USA zu lange über ihre Verhältnisse gelebt. Nicht nur der Zentralstaat, auch viele Bundesstaaten taumeln am Rande des Bankrotts, einige von ihnen sind bereits faktisch pleite und fahren ihre gesellschaftlichen Leistungen bis hin zur Strassenbeleuchtung oder Müllabfuhr auf Null herunter. Natürlich werden auch Schulen, Krankenhäuser und Polizeistationen geschlossen. Als internationale Ordnungs- oder Interventionsmacht fallen die USA in Zukunft aus.
Viertes Problem: Die Populisten
Wollen wir uns für einen Moment vorstellen, dass eine Sarah Palin oder eine Michele Bachmann als Präsidentin der USA die Macht hätten, mit einem Druck auf den roten Knopf die Welt in Schutt und Asche zu legen? Das wird vielleicht eine gewisse Restvernunft der Wähler noch verhindern. Aber es ist ja kein Zufall, dass obskure Bewegungen wie die Tea Party, demagogisch, populistisch und grenzdebil, dazu finanziert von obskuren Gestalten wie den Gebrüdern Koch, immer mehr an Einfluss gewinnen. So wie in Europa rechte Demagogen auf dem Vormarsch sind, von Norden bis Süden. Und obwohl es sie in dieser Form in der Schweiz (noch) nicht gibt, werden sie auch hier von einem als Biedermann verkleideten Brandstifter herzlich begrüsst: «Hoffen wir auf eine Tea-Party in Europa», sie sei «ein Segen für die USA», faselt dieser Amokschreiber. Es ist zu hoffen, dass die SVP doch zu intelligent ist, um diesen Ratschlag zu beherzigen.
Letztes Problem: Die Demokratie
Durch das völlig verantwortungslose Gehampel und Gestreite der Politiker in den USA und in Europa verlieren immer grössere Bevölkerungsschichten das Vertrauen in die Demokratie. Ein demontierter und führungsschwacher Obama, eine Ansammlung von nicht mal demokratisch legitimierten Eurokraten, die den Ereignissen hinterherhecheln, falsch und zu spät reagieren, während sie von der Finanzwelt vor sich hergetrieben werden, es ist ein Trauerspiel. Da wächst im Publikum der Wunsch nach einfachen Lösungen, einem starken Mann, einem Regime, das durchgreift und aufräumt. Dabei hilft auch eine zunehmende Entstaatlichung, selbst in Europa, weil die unter ihrer Schuldenlast fast zusammenbrechenden gesellschaftlichen Infrastrukturen immer mehr Gebiete der Anarchie, dem Faustrecht, im besten Fall der Selbstorganisation durch die Betroffenen freigeben.
Wo gibt es Hoffnung?
Das Zauberwort lautet immer: Wirtschaftswachstum. Aus der Krise raus, mehr Wertschöpfung, mit der auch der Staat seine Schulden und deren Zinsen bezahlen kann. Nur: In Europa, in den USA, in Japan sind nicht mal von Optimisten Anzeichen dafür am fernen Horizont erkennbar. Und wo die Strassenbeleuchtung und die Mühlabfuhr noch funktionieren, sagen sich Jung und Alt, Rentner und Arbeitnehmer, Banker und Politiker: Augen zu und durch, wird schon nicht so schlimm werden. Da haben sie recht. Es wird nicht schlimm werden. Es wird sehr wahrscheinlich noch viel schlimmer werden. Um einen alten Satz von Karl Kraus zu paraphrasieren: Es wird geschehen, was wir uns heute nicht vorstellen können. Und könnten wir es, es geschähe nicht.