Hier sitzt der Konzertmeister, beziehungsweise die Konzertmeisterin und spielt die erste Geige. Es ist eine Funktion, die Fingerspitzengefühl nicht nur auf der Geige verlangt, sondern durchaus auch im zwischenmenschlichen Sinne. Denn hier sitzt das Scharnier, das Orchester und Dirigent verbindet.
Die Generalprobe zu «Médée» am Vormittag ist gut gegangen, erzählt sie. «Also jedenfalls im Orchester, was auf der Bühne passiert, sehen wir ja nicht …», schiebt sie lachend nach. Das Orchester ist «La Scintilla», die Barockformation des Opernhauses, ein Ensemble, das historisch informiert ist und auch auf alten Instrumenten spielt. Und nicht nur das: «La Scintilla» hat sich im Laufe der über zwanzig Jahre seit seiner Gründung einen Namen weit über Zürich hinaus geschaffen. Der Funke zur Gründung kam von Nikolaus Harnoncourt, dem grossen Dirigenten und Neuerer der alten Musik, der in Zürich so vieles bewirkt hatte. Der Name «La Scintilla» drängte sich da fast auf: scintilla, italienisch für Funke …
Ausschlaggebend war Harnoncourt
Ada Pesch war von Anfang an dabei. Nach Ihrem Studium in den USA hatte sie zunächst in Hof, in der deutschen Provinz, eine Stelle als Konzertmeisterin bekommen. Sechs Jahre später wechselte sie nach Zürich. «Natürlich spiele ich nicht nur Barockes bei ‘Scintilla’, sondern auch die grossen Opern, Verdi, Wagner, bis hin zur modernen Musik. Aber die Barockmusik mag ich sehr, weil sie so direkt ist, die Gefühle so deutlich macht.»
Ausschlaggebend für Ada Peschs Weg als Musikerin war Nikolaus Harnoncourt. «Er hat mein Leben verändert», sagt sie unumwunden. «Was ich vorher über das Musizieren gelernt hatte, konnte ich fast alles vergessen. Sein Enthusiasmus, seine Begeisterungsfähigkeit, sein immenses Wissen, das war unglaublich und hat mich total inspiriert.» Im Laufe der Jahre sind viele der grossen Barock-Dirigenten nach Zürich gekommen. «Neben Harnoncourt hat mich auch William Christie stark geprägt», sagt sie. Und William Christie ist es auch, der jetzt die eher selten gespielte Oper «Médée» von Marc-Antoine Charpentier dirigiert. 1693 wurde das Werk in Paris uraufgeführt, rund 300 Jahre später dann von William Christie wieder ausgegraben. «Das ist musikalisch ein ziemlich kniffliges Stück», so Ada Pesch. «William Christie hat es schon mehrmals aufgeführt, aber für uns war vieles neu. Dass die Musik so stark von der Sprache geprägt ist, macht es nicht ganz einfach.» Es brauchte eine Anlaufzeit, bis Dirigent und Orchester im gleichen Schritt unterwegs waren, aber jetzt ist Ada Pesch begeistert.
Gibt es denn einen Dirigenten, bei dem Ada Pesch ihr eigenes Geigenspiel viel schöner findet, als bei einem anderen? Sie muss sehr lange nachdenken und meint dann: «Sagen wir mal so: am freiesten spiele ich, wenn ich im Sommer beim Festival in Ernen im Wallis bin, dann gibt es keinen Dirigenten und wir Musiker reagieren und hören nur aufeinander.»
Flexibel bleiben
Den Wechsel zwischen grossem Orchester und «La Scintilla» findet Ada Pesch auf jeden Fall gut. Man bleibt flexibel. «Und ich konnte auch schon als Konzertmeisterin bei den Ensembles von William Christie und Marc Minkowski auftreten, das ist sehr spannend.» Spannend ist aber sicher auch die Tatsache, dass sie mit «La Scintilla» Cecilia Bartoli mehrmals auf Tournee begleiten und mit ihr auch CD-Aufnahmen machen konnte. Inzwischen hat Cecilia Bartoli in Monte Carlo ein eigenes Barockensemble zusammengestellt, «Les Musiciens du Prince», und auch hier gehört Ada Pesch als Konzertmeisterin dazu.
Ein neuer Dirigent ist für ein Orchester immer eine Herausforderung. Man kennt sich gegenseitig noch nicht so recht, es gibt Unsicherheiten. Da ist es Sache der Konzertmeisterin, zwischen Dirigent und ihren Kollegen zu vermitteln. Dabei sieht sie sich in erster Linie als musikalische Vertreterin des Dirigenten gegenüber dem Orchester. Und da ist wieder Fingerspitzengefühl gefragt … «Wenn ein fremder Dirigent vor das Orchester tritt, merken wir manchmal schon an seinem Gang, ob wir mit ihm gut klarkommen oder halt etwas weniger … Das ist wie in jeder Beziehung im Leben: mal funkt’s, ein anderes Mal nicht. Aber ich würde sagen, wir in Zürich sind ein sehr freundliches Orchester.» Und so freundlich, wie Ada Pesch das sagt, glaubt man es ihr.
Nun setzt sie ihre Mütze wieder auf, draussen ist es kalt. Die Geige kommt in den Rucksack und beide machen sich auf den Heimweg. Es ist für Ada Pesch ein besonderer Tag. Nicht nur wegen der gelungenen Generalprobe. Es ist der Tag der Amtseinsetzung von Donald Trump und Ada Pesch ist und bleibt fassungslos, was da in den USA vor sich geht. Am gleichen Tag ist aber Roger Federer in Melbourne beim Australian Open eine Runde weitergekommen. Und das ist für sie als grosser Federer-Fan ein Lichtblick an diesem garstig-grauen Tag.
«La Scintilla» im Opernhaus Zürich:
«Médée»
Marc-Antoine Charpentier
ab 22. Januar 2017
Rossini-Konzert
29. Januar 2017
Salut à la France!
Jean-Philippe Rameau
Christoph Willibald Gluck
20. Februar 2017