Ein Griechen-Schuldpapier mit 2-jähriger Restlaufzeit kann man heute für höchstens 25 Prozent des Nominalwerts kaufen. Dennoch hat Standard & Poor’s das Rating bei CC belassen: «Hohe Wahrscheinlichkeit eines Zahlungsausfalls.» Das macht auch Sinn, davon später. Grosses Gebrüll gab es wegen der Herabstufung Frankreichs auf AA+, immerhin die zweitbeste Bewertung. Und um ein «+» besser als die Note für den grundsoliden Konzern Nestlé, worauf die «NZZ am Sonntag» völlig zu recht hinweist.
Geschummelte Staatsbilanzen
Wären europäische Finanzminister CFOs börsenkotierter Firmen, sässen sie schon längst wegen Bilanzbetrugs im Gefängnis. Schön für sie, dass Staaten keine anständige Bilanz vorlegen müssen. Sogenannte implizite Schulden, beispielsweise Rentenversprechen und andere Sozialleistungen, also klar bezifferbare künftige Verpflichtungen, müssen nicht ausgewiesen werden.
Dabei übersteigen sie die «offiziellen» Staatsschulden ums bis zu 15-fache. Alleine die 12 Euro-Gründungsstaaten stapeln in Wirklichkeit Staatsschulden von über 31 Billionen Euro auf die Schultern ihrer Bürger. Dass nur 9 der aktuell 17 Eurostaaten sanft herabgestuft wurden, ist eigentlich ein Witz.
Neues Loch im Rettungsschirm
Weniger lustig ist die Auswirkung auf den aktuellen Rettungsschirm EFSF. Denn wenn Sicherheiten von Gläubigern die Bestnote AAA verlieren, muss nachgelegt werden. Und über diese höchste Bonität verfügt in der Eurozone als einzig ernstzunehmende Volkswirtschaft nur noch Deutschland. Falls sich die Merkel-Regierung nicht entschliessen sollte, dem deutschen Steuerzahler noch mehr Lasten aufzubürden, verlöre auch der ohnehin schon löchrige Rettungsschirm seine Bestnote. Und könnte den Schirm zumachen.
Feuchter Finger im Wind
Wieso hat die eigentlich unverbindliche Meinungsäusserung einer US-Rating-Agentur überhaupt dermassen gravierende Auswirkungen? Ganz abgesehen davon, dass die drei marktbeherrschenden Bonitätsprüfer Moody’s, Standard & Poor’s und Fitch ja in der Finanzkrise I bewiesen haben, dass auch sie nicht in die Zukunft schauen können und völlig unsinnige Beurteilungen von Hypothekarschrottderivaten abgegeben haben?
Handelt es sich da nicht gar um eine US-Verschwörung gegen Europa? Sollte dieser Würgegriff nicht durch eine eigene, unabhängige, nicht profitorientierte Rating-Agentur gebrochen werden? Seit 2008 kündigen europäische Politiker einen solchen Schritt an. Geschehen ist bislang, Überraschung, nichts.
Reine Heuchelei
Es ist noch viel schlimmer, sonst wäre es keine Politik von Eurokraten. Vor allem, wenn ihnen die Beurteilungen nicht passen, kritisieren europäische Politiker lauthals den völlig übertriebenen Einfluss von Rating-Agenturen. Den sie ihnen selbst zugeschanzt haben. Denn die meisten sogenannten institutionellen Anleger, beispielsweise Pensionskassen, sind verpflichtet, Schuldpapiere, die die beste Bonität verlieren, aus ihren Bilanzen zu räumen. Zu wie viel Prozent ein als Sicherheit für einen Kredit hinterlegtes Papier beliehen werden kann, hängt von seiner Rating-Note ab.
Das haben nicht diese Agenturen verbrochen, sondern Politiker. 1975 bekamen die drei Grossen, die rund 90 Prozent des Bewertungsmarkts beherrschen, von der US-Börsenaufsicht den Ritterschlag «national anerkannte statistische Rating-Organistationen». Europa schloss sich dieser Entscheidung an, denn der IQ von Eurokraten war schon damals nicht höher als heute.
Fauler Zauber
Wieso hat dann das definitiv und amtlich bankrotte Griechenland noch eine unveränderte Bewertung von CC? Ganz einfach, weil eine gewisse Chance besteht, dass die Europäische Zentralbank, die unter klarem Bruch diverser Bestimmungen den grössten Batzen von Hellenen-Schulden in den Büchern hat, diese durch das Herstellen von frischem Geld bedienen kann, wenn sie fällig werden. Allerdings: Mit neuen Schulden kann man Zeit kaufen, aber keine Schlussrechnung bezahlen. Wenn man Staat heisst und über eine Notenpresse verfügt.
Böse Spekulanten
Neben den Rating-Agenturen werden von inkompetenten Politikern weitere Bösewichte und Schuldige ausgemacht, um vom eigenen Versagen abzulenken: die Hedgefonds, die Spekulanten. Diese treiben angeblich mit Wetten auf Staatsbankrotte ansonsten zukunftsfrohe Volkswirtschaften wie Griechenland oder Portugal oder Ungarn in die Pleite.
Völliger Unsinn: Spekulieren heisst wetten. Und für eine Wette braucht es immer zwei. Auch das absurdeste und gehebelte (und legale) Derivat, das auf einen Bankrott zockt, braucht einen Wettpartner, der dagegenhält. Also ist das ein Nullsummenspiel. Genau wie die Politik von Merkel, Sarkozy und Co.