Der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis hielt am 17. Mai vor dem US-Kongress eine Rede. Es war das erste Mal, dass einem griechischen Regierungschef diese Ehre zuteil wurde. Er wies auf eine zweihundertjährige Partnerschaft der beiden Länder hin – seit Beginn des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges. Gleichzeitig sprach er auch Probleme wie den Krieg in der Ukraine und den ungelösten Territorialkonflikt mit der Türkei an.
Wie alle Abkömmlinge reicher und mächtiger griechischer Politikerfamilien wurde Mitsotakis in den USA ausgebildet. Die bedingungslose Westbindung wurde ihm dort eingetrichtert, sein Englisch ist geschliffen und er findet in Politik und Wirtschaft in Amerika überall offene Türen vor. Diese Reise in die USA muss also ein Höhepunkt in seiner Karriere gewesen sein. Die Rede wurde allerdings «pour la galérie» geschrieben; sie war klar auf das amerikanische Publikum gemünzt. Er erhielt denn auch viel Zuspruch, zum Beispiel von der «Washington Post», die den «tosenden Beifall» hervorhob, den ihm der Kongress entgegenbrachte. Mitsotakis stellte selber fest, dass er in den USA mehr Applaus bekomme als vor dem griechischen Parlament. Verschnupft hingegen reagierte der türkische Präsident Erdogan, der mit Mitsotakis nicht mehr sprechen will.
Auch in Griechenland selber kam die Rede weniger gut an und stiess in Oppositionskreisen zum Teil auf offene Ablehnung. Der Antiamerikanismus ist in Griechenland weit verbreitet und er hat Gründe. Der Putsch gegen die demokratische Regierung im April 1967 war von der CIA gesponsert und die nachfolgende Junta wurde von den USA immer unterstützt – bis sie in Zypern selber einen Putsch gegen den Präsidenten, Erzbischof Makarios, sponserte, was dann den türkischen Einfall in den Nordteil der Insel provozierte – eine Wunde, die in Griechenland bis heute schwärt. All das war in Washington kein Thema. Mitsotakis sprach hingegen den Krieg in der Ukraine an und verglich die Belagerung von Mesolongi im griechischen Unabhängigkeitskrieg – deren verbliebene Bewohner entzogen sich der türkischen Gefangenschaft durch Selbstmord – mit dem Schicksal von Mariupol und den letzten Truppen im Stahlwerk Asow. Dieser Passus wurde in Griechenland stark kritisiert, weil Mesolongi bis heute im kollektiven Bewusstsein der Griechen sehr präsent ist und diese Vereinnahmungsversuche fürchten, andererseits weil dem dort eingesetzte Asow-Batallion nicht nur in Griechenland der Ruf des Rechtsextremismus anhaftet und bereits zum Zeitpunkt der Rede absehbar war, dass die letzten Verteidiger von Mariupol kapitulieren würden.
Mitsotakis sprach immerhin über den Zypernkonflikt, zwar zurückhaltend, aber er rief zu einer Lösung auf. Angesichts der ständigen Luftraumverletzungen durch die Türkei in der Ostägäis, wurde er aber bei diesem Thema deutlicher und verlangte, dass die territoriale Integrität Griechenlands respektiert würde.
Keine Gegenleistung – Westbindung wird nicht belohnt
Die Frage ist, was der Ministerpräsident aus Amerika mitbrachte. Zuerst einmal einen fünfjährigen Vertrag, der den Ausbau von US-Stützpunkten auf griechischem Boden regelt. Damit ist zwar der NATO gedient, Griechenland hat aber nichts davon, wie überhaupt die Mitgliedschaft von Hellas in diesem Bündnis praktisch nur Kosten verursacht. Dass bei einem Krieg der Türkei gegen das kleine Griechenland die NATO sich auf die Seite von Hellas stellen würde, glaubt in Athen kaum jemand – auch der NATO-Vertrag sieht keinen Bündnisfall vor, falls der Angriff von einem anderen NATO-Land, zum Beispiel der Türkei, ausgehe. Wir sehen also eine bedingungslose Westorientierung Griechenlands, die aber nicht belohnt wird und für die Athen keinen Gegenwert erhält. Der ehemalige Ministerpräsident und Oppositionsführer Alexis Tsipras warf dem Ministerpräsidenten in seiner gewohnte deutlichen Art vor, diesen Vertrag ohne Gegenleistung unterschrieben zu haben und Griechenland so zu einem amerikanischen Satelliten zu machen. Es gelingt der griechischen Regierung nicht nur nicht, die NATO-Partner dazu zu bewegen, die Luftraumverletzungen in der Ostägäis zu stoppen, auch die türkische Aufrüstung scheint ungebremst weiterzugehen: Die türkische Opposition gegen den NATO-Beitritt von Finnland und Schweden wird in Athen als der Versuch angesehen, bei den USA die Aufhebung der Rüstungssanktionen zu erreichen. Nachdem die Türkei das russische S-400 Boden-Luft-System angeschafft hatte, flog das Land aus dem F-35-Kaufprogramm und ein Kauf von F-16-Jets kam auch nicht zustande. Griechenland fürchtet, dass der Türkei ein Deal gelingt, bei dem das Land die Einwände gegen die NATO-Erweiterung fallenlässt, aber wieder ungebremst aufrüsten kann. Damit hätte sich bewahrheitet, was in Athen Beobachter seit jeher fürchten, dass nämlich der Westen immer der Türkei den Vortritt lässt und Hellas am Ende mit leeren Händen dasteht. In den Kommentarspalten der sozialen Medien in Griechenland schlägt dem türkischen Präsidenten für seine Art, die Interessen seines Landes zu vertreten, etwas wie Bewunderung entgegen («Er ist zwar unser Feind, aber er ist ein Patriot!»). Erdogan schafft es, die Sanktionen gegen Russland nicht nachzuvollziehen, aber trotzdem mit allen Seiten im Gespräch zu bleiben und sowohl zu Russland wie zur Ukraine gute Beziehungen zu unterhalten. Dass die Türkei gegenüber Griechenland vorgezogen wird, ist nicht neu und hat der Türkei erlaubt, zu einer gefährlichen Regionalmacht zu werden. Aber dass der griechische Ministerpräsident dies einfach so hinnimmt und für einen Ausbau der NATO-Basen keine Gegenleistung verlangt, wurde zum Beispiel vom ehemaligen Finanzminister Varoufakis hart kritisiert. Griechenland hat nicht viele Hebel in der Hand, um sich aussenpolitisch gegenüber der «Turkey-first»-Politik, die zum Beispiel in Deutschland seit Bismarck axiomatischen Charakter hat, Geltung zu verschaffen. Aber wenn es um neue Militärbasen geht, wäre es kluge Aussenpolitik, von Anfang an klarzumachen, dass solche Basen nicht ohne Gegenleistungen zu haben sind.
Zur Verteidigung der griechischen Politik kann man immerhin sagen, dass Mitsotakis in guter Gesellschaft ist. Erdogan erpresst Europa. Er droht Griechenland in der Ägäis mit Krieg, er unterstützte den aserischen Angriffskrieg gegen Armenien, griff jüngst die irakischen Kurdengebiete an und besetzte grosse Gebiete in Nordsyrien. Das sind alles eklatante Verstösse gegen das Völkerrecht. Europa und die USA wissen das. Sie belegen aber die Türkei nicht mit Sanktionen wie Russland wegen des Überfalls auf die Ukraine, aus Furcht, diese geopolitische wichtige Regionalmacht als Mitglied des westlichen Bündnisses zu verärgern. Weil das nicht den geopolitischen Interessen der USA und der EU dient, wird es ignoriert – und die Medien ziehen mit.